Studierende mit Beeinträchtigung stehen im Studium oft vor besonderen Herausforderungen. Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich ihre Studienbedingungen nochmals erschwert. Welche Auswirkungen hatte das auf das Abbruchrisiko dieser Studierendengruppe

Lörz, Markus

Netz, Nicolai

Rußmann, Mareike

German

SSOAR - Social Science Open Access Repository 

www.ssoar.infoStudierende mit Beeinträchtigung: AbbruchrisikosteigtRußmann, Mareike; Lörz, Markus; Netz, NicolaiVeröffentlichungsversion / Published VersionZeitschriftenartikel / journal articleEmpfohlene Zitierung / Suggested Citation:Rußmann, M., Lörz, M., & Netz, N. (2023). Studierende mit Beeinträchtigung: Abbruchrisiko steigt. Forschung & Lehre,30(1), 34-35. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-87557-0Nutzungsbedingungen:Dieser Text wird unter einer CC BY-NC-SA Lizenz(Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergebe unter gleichenBedingungen) zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu denCC-Lizenzen finden Sie hier:https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.deTerms of use:This document is made available under a CC BY-NC-SA Licence(Attribution-NonCommercial-ShareAlike). For more Informationsee:https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.034                                      I N K L U S I O N                                                                                                                                         Forschung & Lehre    1|23Studierende mitBeeinträchtigungAbbruchrisiko steigtSeit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonventionim Jahr 2009 sind Bildungsein-richtungen in Deutschland dazu ange-halten, Menschen mit Behinderung einRecht auf Bildung zu gewährleisten.Entsprechend hat das Thema der Inklu-sion in den vergangenen Jahren an Re-levanz gewonnen – vor allem im (vor-)schulischen Bereich. Doch wie gestaltetsich die Lage von Menschen mit Beein-trächtigung im Hochschulbereich?Laut Daten der 21. Sozialerhebunghatten 2016 beinahe ein Viertel allerStudierenden eine Beeinträchtigung.Etwa die Hälfte von ihnen (elf Prozentaller Studierenden) empfanden dieseals studienerschwerend. Im Jahr 2012lag der Anteil noch bei sieben Prozent. Dieser steigende Anteil darf jedochnicht darüber hinwegtäuschen, dass einStudium Menschen mit Beeinträchti-gung immer noch vor große Herausfor-derungen stellen kann. Die einschlägigeForschung zeigt, dass Beeinträchtigun-gen den erfolgreichen Abschluss desStudiums erheblich erschweren können. Im Zuge der Corona-Pandemie undden damit einhergehenden Kontakt -beschränkungen haben sich die Studi-enbedingungen für Studierende mit stu-dienerschwerender Beeinträchtigungnochmals verschlechtert: Sie berichtenhäufiger von gestiegenen Prüfungsan-forderungen, ungünstigen Vorausset-zungen für die digitale Lehre undSchwierigkeiten, Beziehungen im fami-liären Umfeld zu pflegen. Vor diesemHintergrund hat das DFG-Projekt „Vul-nerabilität von Studierenden in Zeitender Corona-Pandemie“ die Abbruch -intention von Studierenden mit studi-enerschwerender Beeinträchtigung un-tersucht.Die Ergebnisse zeigen, dass der An-teil Studierender mit der Intention, dasStudium abzubrechen, zwischen 2016und 2020 deutlich angewachsen ist(Abbildung 1). Unter Studierenden ohneBeeinträchtigung stieg dieser Anteil von4,3 Prozent auf 6,2 Prozent (+1,9 Pro-zentpunkte). Unter Studierenden mitstudienerschwerender Beeinträchtigungvergrößerte er sich sogar von 8,5 Pro-zent auf 17,7 Prozent (+9,2 Prozent-punkte). Folglich scheint ein erfolgrei-cher Studienabschluss für Studierendemit studienerschwerender Beeinträchti-gung im Zuge der Corona-Pandemie zueiner noch größeren Herausforderunggeworden zu sein.Blick auf verschiedene Beein-trächtigungsartenEin differenzierter Blick auf verschiedeneBeeinträchtigungsarten verdeutlicht, dassStudierende mit psychischer Beeinträch-tigung im Jahr 2020 am häufigsten einenStudienabbruch in Betracht zogen – ge-folgt von Studierenden mit Lernbeein-trächtigung, Studierenden mit sonstigerBeeinträchtigung und Studierenden mitphysischer Beeinträchtigung (Abbildung2). Unter Studierenden mit psychischerBeeinträchtigung (+9,2 Prozentpunkte)und Studierenden mit physischer Beein-trächtigung (+8,7 Prozentpunkte) sinddie Anteile von Studierenden mit Studi-enabbruchintention zwischen 2016 und2020 am stärksten angewachsen. Relativgesehen haben sich die Anteile unterdiesen Studierenden fast bzw. mehr alsverdoppelt. Unter Studierenden mitLernbeeinträchtigung und sonstiger Be-einträchtigung sind die entsprechendenAnteile immer noch deutlich, jedoch we-niger stark als unter Studierenden mitpsychischer und physischer Beeinträch-tigung angestiegen (jeweils um etwafünf Prozentpunkte).Studierende mit Beeinträchtigungsind also keine homogene Gruppe, son-dern unterscheiden sich hinsichtlichder (Entwicklung ihrer) Abbruchinten-tionen. Insbesondere Studierende mitpsychischer und physischer Beeinträch-tigung scheinen mit den pandemiebe-dingten Veränderungen, wie dem Wech-sel auf digitale Lernformate, größereSchwierigkeiten gehabt zu haben.  Auch gibt es Hinweise, dass die He-                  |  MAR E I K E  RUSSMANN  |  MARKUS  LÖR Z  |  N I CO LA I  N E T Z  |Studierende mit Beeinträchtigung stehen im Studium oft vor besonderenHeraus forderungen. Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich ihre Studien -bedingungen nochmals erschwert. Welche Auswirkungen hatte das auf dasAbbruch risiko dieser Studierendengruppe? A U T O R I N / A U T O R E NMareike Rußmann istwissenschaftliche Mit-arbeiterin am Deut-schen Zentrum fürHochschul- und Wis-senschaftsforschung(DZHW).Dr. Markus Lörz ist Lei-ter der Forschungs-gruppe „Entstehungund Abbau von Bil-dungsungleichheitenim Kindes- und Ju-gendalter“ am DIPF-Leibniz-Institut für Bil-dungsforschung undBildungsinformation.Dr. Nicolai Netz ist Lei-ter der Nachwuchs-gruppe „Mobilität vonHochqualifizierten“ amDZHW.1|23     Forschung & Lehre                                                                                                                                         I N K L U S I O N                    35rausforderungen im Studium je nachBeeinträchtigungsart variieren. Weiter-führende Analysen zeigen beispielswei-se, dass die recht häufigen Studienab-bruchintentionen von Studierenden mitpsychischer Beeinträchtigung in ver-gleichsweise hohem Maße durch derengeringeres Selbstwirksamkeitsempfindenzu erklären sind. Bei Studierenden mitLernbeeinträchtigung spielt hingegeneine mangelnde soziale Integrationeine größere Rolle, während einge-schränkte finanzielle Ressourcen fürStudierende mit physischer Beeinträch-tigung eine größere Bedeutung haben.Maßnahmen zur Verbesserung der Stu-diensituation von Studierenden mit Be-einträchtigung sollten demnach gezieltauf die besonderen Herausforderungender jeweiligen Studierendengruppe ein-gehen.Letztlich gilt es aber, die Hoch-schullehrenden umfassender für die Be-dürfnisse von allen Studierenden mitBeeinträchtigung zu sensibilisieren. Siesollten besser über verfügbare Unter-stützungsangebote und Nachteilsaus-gleiche informiert werden, um Studie-renden mit studienerschwerender Be-einträchtigung schnell und bedarfsge-recht helfen zu können. Auch ist es mitBlick auf die zunehmende Bedeutungdigitaler Lernformate wichtig, die Si-tuation Studierender mit Beeinträchti-gung bereits in der Lehrplanung zu be-rücksichtigen.8,517,74,36,20481216202016a 2020aStudierende mitstudienerschwerenderBeeinträchtigungStudierende ohnestudienerschwerendeBeeinträchtigungAbbildung 1: Anteile Studierender mit Studienabbruchintention (in Prozent)Datenquelle: 21. Sozialerhebung (2016), SITCO-Studierendenbefragung (2020)Anmerkungen: Die Abbruchintention wurde auf einer fünfstufigen Skala von „gar nicht“ bis„sehr häufig“ erfasst. Dargestellt werden Anteile Studierender, die (sehr) häufig über einen Stu-dienabbruch nachdenken sowie die dazugehörigen 95%-Konfidenzintervalle. Die breitereSpannweite der Konfidenzintervalle bei Studierenden mit Beeinträchtigung hängt eng mit dergeringeren Größe dieser Gruppe zusammen. Um die Vergleichbarkeit der beiden Datensätze zugewährleisten, wurde das Analysesample auf deutsche und bildungsinländische Studierende,die an denselben 22 Hochschulen studieren, begrenzt.0510152025PsychischeBeeinträchtigungPhysischeBeeinträchtigungLernbeeinträchtigung SonstigeBeeinträchtigung2016a 2020aIiiiiiiiiiii iiiiiiiiiii11,2iiiiiii20,4iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii6,5iiiiiii15,2iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii12,3iiiiiii17,2iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii9,9iiiiiii15,8                          Psychische                             Physische                  Lernbeeinträchtigung      Sonstige Beeinträchtigung                iiiiiiiiiii     ii Beeinträchtigung                 Beeinträchtigung   Abbildung 2: Anteile Studierender mit Studienabbruchintention nach Art der studienerschwe-renden Beeinträchtigung (in Prozent) Datenquelle: 21. Sozialerhebung (2016), SITCO-Studierendenbefragung (2020) Anmerkungen: Siehe Abbildung 1

Studierende mit Beeinträchtigung: Abbruchrisiko steigt

https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/document/87557/1/ssoar-ful-2023-1-rumann_et_al-Studierende_mit_Beeintrachtigung_Abbruchrisiko_steigt.pdf

Studierende mit Beeinträchtigung: Abbruchrisiko steigt

Abstract

Similar works

Full text

Available Versions

SSOAR - Social Science Open Access Repository