Oldenburg, Reinhard

Siller, Hans-Stefan

Vorhölter, Katrin

German

OPUS Augsburg

345Katrin VORHÖLTER, Hamburg & Paderborn,Hans-Stefan SILLER, Würzburg & Reinhard OLDENBURG, AugsburgModellieren als konstruktiver Ansatz zur Implementation vonBNE – Notwendigkeit zukünftiger evidenzbasierte ForschungAls Reaktion auf die weltweiten ökonomischen, sozialen sowie ökologi-schen Veränderungen und Herausforderungen haben sich die Vereinten Na-tionen auf 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch Sustainable De-velopment Goals, SDGs) geeinigt und sich zu deren Umsetzung verpflichtet.Als Rahmen für diese Umsetzung wurde in Deutschland von der KMK undder BMZ die Entwicklung des Orientierungsrahmen Globale Entwicklung(KMK/BMZ, 2016) in Auftrag gegeben, der neben einem allgemeinen, fach-übergreifenden Teil auch fachspezifische Teilausgaben umfasst. Gemäß derKMK/BMZ-Vorgaben sind diese Vorgaben auch in den Ländercurricula zuimplementieren. Entsprechend wird beispielsweise im Bayerischen Curricu-lum (ISB, o. J.) der Erwerb von Wissen über „Umwelt und Entwicklungs-probleme“ sowie „deren komplexe Ursachen sowie Auswirkungen“ gefor-dert, wodurch eine konstruktive Anbindung an die prozessbezogenen Kom-petenzen der Bildungsstandards gegeben wird. Dies wird in der Entwurfs-fassung der Hamburger Bildungsplan für die Sekundarstufe (BSB Hamburg,2022) noch einmal dahingehend expliziert: „Als Grundlagenfach leistet Ma-thematik im Prinzip mit all seinen Kompetenzbereichen Beiträge zur Bil-dung für nachhaltige Entwicklung, insbesondere beim mathematischen Mo-dellieren und mathematischen Darstellen“.Stellenwert des Modellierens im Rahmen der BNEDurch die Verwendung mathematischer Konzepte im Rahmen der BNE kannes Lernenden gelingen zu „erfahren, daß mathematische Begriffe und Tech-niken in vielen Situationen als „Verstärker“ ihres Alltagsdenkens tau-gen.“ (Heymann, 1996, S. 547). Durch die Fokussierung auf das mathemati-sche Modellieren gelingt darüber hinaus, nicht nur die Mathematik zu fokus-sieren, sondern auch interdisziplinär zu denken, da mathematische Model-lieren in unterschiedlichen Kontexten auch als Methode verstanden wird.Weiterhin wird der oftmals in Anwendungskontexten so gern kritisierteWerkzeugaspekt der Mathematik damit in den Hintergrund gedrängt. EineAnwendung von Mathematik „in realen und sinnhaften Kontexten … [an-hand] real existierender Probleme, Fragestellungen oder Zusammen-hänge“ (Siller, 2015, S. 2) wird so in die Tat umgesetzt.Damit begeben wir uns in die Tradition der Grunderfahrung(en) von Winter(1995, S. 37), der forderte, “ Erscheinungen der Welt um uns, die uns alleangehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einerIn: IDMI-Primar Goethe-Universität Frankfurt (Hrsg.),                                                                                                       WTM.https://doi.org/10.37626/GA9783959872089.0Beiträge zum Mathematikunterricht 2022. 56. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik.           346spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen“. So können die Lernen-den durch geeignete Problemstellungen nicht nur erkennen, welchen Mehr-wert mathematische Konzepte für das Durchdringen BNE-spezifischenProbleme bietet, sondern darüber hinaus Argumente für bestimmte Handlun-gen finden sowie aus Modellierungen resultierende Handlungsempfehlun-gen bewerten.Erkennen, Bewerten und Handeln beim mathematischen ModellierenZiel der BNE ist es, die Lernenden zu befähigen, „globale Zusammenhängezu erschließen und im eigenen Handeln daraus abzuleitende Verantwortungfür sich selbst sowie Mitverantwortung für andere und die Entwicklung derWelt zu übernehmen“ (BSB Hamburg, 2010). Entsprechend wurden das Er-kennen, Bewerten und Handeln als Kernkompetenzen des Lernbereichs Glo-bale Entwicklung im Orientierungsrahmen festgelegt. Diese wurden bereitsfür die Sekundarstufe I fachspezifisch gedeutet (Reiss et al., 2016); die Erar-beitung des Orientierungsrahmens für den Mathematikunterricht der Sekun-darstufe II erfolgt momentan.Die Kernkompetenz des Erkennens zielt darauf ab, Lernenden die Möglich-keiten, aber auch Grenzen mathematischer Konzepte für die Bearbeitung vonProblemen aus dem Bereich der nachhaltigen Entwicklung als solche sowiedie Subjektivität von Modellierungsprozessen wahrzunehmen. Damitkommt diese Kernkompetenz in vielen Phasen des Modellierungsprozesseszum Tragen. Aufbauend auf das Erkennen folgt im OrientierungsrahmenGlobale Entwicklung das Bewerten dargebotener sowie selbst erzielter Er-kenntnisse mithilfe mathematischer Konzepte. Dieses ist im Modellierungs-prozess primär in den Phasen des Verstehens (bei der Bewertung dargebote-ner Modellierungen) sowie des Vermittelns (im Falle selbstständig durchge-führter Modellierungen) zu verankern. Das Handeln ist gemäß des Orientie-rungsrahmens Globale Entwicklung ein Resultat aus den beiden vorherigenKernkompetenzen; bei der Verortung in den Modellierungsprozess stelltman jedoch fest, dass aus der Modellierungsperspektive heraus das Handelnprimär im Prozess des Mathematisierens und des mathematischen Arbeitensund damit als Vorstufe des Bewertens zu verankern ist.AufgabenbeispielZur Illustration möchten wir im Folgenden anhand eines Aufgabenbeispielsaufzeigen, wie sich oben dargestellte Theorieelemente im Aufgabenprozessmanifestieren. Als Ausgangspunkt dient das Fahrradleihsystem StadtRad derStadt Hamburg, das mit dem Ziel der Reduktion des CO2-Ausstoßs durch dieStadt Hamburg subventioniert wird. Die Betreibergesellschaft möchte si-cherstellen, dass der Bedarf an Rädern an möglichst an jeder Leihstation und347zu jeder Zeit erfüllt werden kann. Daher soll herausgefunden werden, wieviele Räder von welcher Station zu welcher gebracht werden müssen.Zunächst müssen Lernende erkennen, dass die Anwendung mathematischerKonzepte bei der Bearbeitung dieses Problems sinnvoll ist. Darüber hinausmüssen sie recherchieren, welche Daten zu den Ausleihvorgängen vorliegenund wie genau diese Daten beschaffen sind. Bestenfalls finden sie Datens-ätze, in denen die Ausleihvorgänge aller Stationen zu verschiedenen Zeiteninkl. der Information, an welchen Stationen die Fahrräder wieder zurückge-geben wurden, hinterlegt sind. Auf der Basis solcher Daten lässt sich dannerkennen, dass die Stationen als Punkte eines Übergangsgraphen und dieAusleihvorgänge als Übergangsraten interpretiert werden können, bzw. diegesamte Situation mithilfe einer Übergangsmatrix betrachtet werden kann.Diese Tätigkeit sowie die Verwendung der Übergangsmatrix zur Beantwor-tung der Frage, zu welchen Zeiten wie viele Fahrräder von welcher Stationzu welcher transportiert werden müssen, können der Kernkompetenz desHandelns zugeordnet werden. Die Betrachtung mehrerer Ausleihvorgänge,beispielsweise in Abhängigkeit vorgegebener Zeitabstände, führt dazu, dassSchüler*innen mathematische Handlungen ausführen. Das Darlegen der Er-gebnisse kann sowohl der Kernkompetenz des Handelns als auch der Be-wertung zugeordnet werden. Schließlich kann die Erkenntnis, dass die Über-gangsraten tageszeitabhängig sind, und Modellierungen diese Zeitabhängig-keit berücksichtigen sollten, um sinnvolle Vorschläge für die Umverteilungder Fahrräder geben zu können, der Kernkompetenz des Erkennens zuge-ordnet werden.Insgesamt können Lernende den Wert mathematischer Modellierung als in-terdisziplinäre Methode zur Analyse dieser Problemsituation erkennen, han-deln, indem sie Mathematik als Werkzeug nutzen, um dieses Problem ratio-nal zu betrachten sowie die Resultate der selbstständigen Modellierung iminterdisziplinären Kontext und in Diskussionen bewerten.Grundlegende Fragestellungen zukünftiger ForschungDie obigen Ausführungen stellen bislang theoretisch abgeleitete Erkennt-nisse dar, die es in Zukunft gilt empirisch zu fundieren. Insbesondere stelltsich die Frage, ob das von einem spezifischen Lernangebot intendierte BNE-bezogenen Ziel realisiert wird, also ob die Schüler*innen den spezifischen Mehrwert, den ihnen mathematischeVerfahren und Konzepte sowie vorliegende Daten in der Auseinanderset-zung mit BNE-Kontexten bieten können, erkennen.348 Schüler*innen zielgerichtet mathematische Verfahren und Konzepte zurBearbeitung von Problemen aus dem BNE-Kontext nutzen und in diesemSinne (mathematisch) handeln. Schüler*innen Ergebnisse vorgelegter bzw. selbst durchgeführter Model-lierungen selbstständig bewerten, um in Diskussionen zum Thema BNEevidenzbasiert Stellung nehmen zu können.Da es sich bei Erkennen, Handel und Bewerten um sehr komplexe Prozessehandelt, sollen Analysen ebendieser Bearbeitungsprozesse auf der Basis vonVideoaufnahmen und Bildschirmaufnahmen von Kleingruppenarbeiten mit-hilfe der fachspezifischen Operationalisierungen der Kernkompetenten ausdem Orientierungsrahmen Globale Entwicklung durchgeführt werden. Aufdiese Weise kann nicht nur rekonstruiert werden, in welchem Maß es denSchüler*innen gelingt, die Mathematik und den Rest der Welt zu verknüp-fen, um Schlussfolgerungen für Probleme der BNE zu ziehen, sondern auch,welche spezifischen mathematischen Verfahren und Konzepte an welchenStellen des Modellierungsprozesses genutzt und damit empirisch herausge-stellt werden, wie die Kernprozesse sich in den Modellierungsteilprozessenmanifestieren.LiteraturBSB Hamburg. (2010). Globales Lernen: Hamburger Unterrichtsmodelle zum KMK-Orientierungsrahmen Globale Entwicklung [Didaktisches Konzept]. https://li.ham-burg.de/contentblob/2817728/701c4d4459cbc2b98d055 cfde3131074/data/pdf-glo-bales-lernen-didaktisches-konzept-pdf-6-3-mb).pdfBSB Hamburg. (2022). Bildungsplan Stadtteilschule Jahrgangsstufe 5-11: Mathematik.https://www.hamburg.de/contentblob/15964806/4cfccd95726d4b322ba8fb9f9739273f/data/mathematik-sts-2002.pdfHeymann, H. W. (1996). Mathematikunterricht in der Gymnasialen Oberstufe. Zeit-schrift für Pädagogik, 42(4), 541–556.ISB (o.J.). Schulart- und fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsziele sowie All-tagskompetenz und Lebensökonomie. https://www.lehrplanplus.bayern.de/uebergrei-fende-ziele/grundschule#24777KMK / BMZ (Hrsg.). (2016). Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Ent-wicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Cornelsen.Reiss, K., Ufer, Stefan, Ulm, V. & Wienholtz, G. (2016). Mathematik – fachdidakti-scher Teil. In KMK / BMZ (Hrsg.), Orientierungsrahmen für den Lernbereich glo-bale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. (S. 300–308). Cornelsen.Siller, H.-St. (2015). Realitätsbezug im Mathematikunterricht. Der Mathematikunter-richt, 61(5), 2–6.Winter, H. (1995). Mathematikunterricht und Allgemeinbildung. Mitteilungen der Ge-sellschaft für Didaktik der Mathematik, 21(61), 37–46.

Modellieren als konstruktiver Ansatz zur Implementation von BNE – Notwendigkeit zukünftiger evidenzbasierte Forschung

https://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/files/108453/108453.pdf

Modellieren als konstruktiver Ansatz zur Implementation von BNE – Notwendigkeit zukünftiger evidenzbasierte Forschung

Abstract

Similar works

Full text

Available Versions

OPUS Augsburg