Damit sich eine befruchtete Eizelle – die Zygote – zum Embryo entwickeln kann, müssen im Genom die Weichen neu gestellt werden. Kürzlich wurden zwei Pionierfaktoren identifziert, denen im Stellwerk der embryonalen Genexpression eine Schlüsselfunktion zukommt

Hille-Rehfeld, Annette

Latein und Griechisch in Nordrhein-Westfalen (LGNRW - E-Journal)

Wie die Zygote aus den Startlöchern kommt

Biologie in unserer Zeit (BiuZ - E-Journal)

Oozyte Meiose mütterliche Gl Zygote Zwei-Zell-Embryo 1 s !G2 !M IGll S ! G2 Minor ZGA Major ZGA -----··············!;.1.~NA Transkriptions- ••• • •••••••··•••••••••••••••• a ktivität •••• •· zygotische m RNA .......................... ;· ····························:::.::· •·······•················•··········· Befruchtung Inaktiv ierung der Oozyte Protamin-Histon-Austausch (d') DNA-Demethy lierung (d'9) Reorganisation der Nukleosomen (d'9) Z y 9 0 t i S C h e G e n a k t i V i e r U n 9 (ZGA) TREFFPUNKT FORSCHUNG ENTWICKLUNGSBIOLOGIE Wie die Zygote aus den Startlöchern kommt Damit sich eine befruchtete Eizelle – die Zygote – zum Embryo ent-wickeln kann, müssen im Genom die Weichen neu gestellt werden. Kürzlich wurden zwei Pionierfaktoren identifziert, denen im Stellwerk der embryonalen Genexpression eine Schlüsselfunktion zukommt. Die Entwicklung der Zygote zum Embryo erfordert umfangreiche Veränderungen bezüglich der Gen-regulation. Denn unmittelbar nach der Befruchtung wird das in den beiden Pronuklei getrennt vorliegen-de Erbgut beider Eltern noch nicht abgelesen; stattdessen dominieren die von der Eizelle in die Zygote eingebrachten mütterlichen Boten-RNAs und Proteine das Geschehen in der Zelle. Besonders das väterli-che Chromatin ist äußerst dicht gepackt, da während der Spermato-genese die mit der DNA assoziierten Histone durch Protamine (kleine, argininreiche, globuläre Proteine) ersetzt wurden. Um eine gleichwer-tige Expression des mütterlichen und väterlichen Genoms sicherzu-stellen, muss dieser Austausch kurz nach der Befruchtung rückgängig gemacht werden. Außerdem sind Eizelle und Spermium hoch speziali-sierte Zellen, deren Eigenschaften während der Differenzierung durch epigenetische Modifzierungen wie Methylierungen der Nukleobasen festgelegt wurden. Erst wenn auch diese Veränderungen rückgängig gemacht wurden, erlangt die Zygote die für die Embryonalentwicklung erforderliche Totipotenz und kann einen kompletten Organismus mit all seinen Geweben bzw. Organen bilden. Das „Ausradieren“ der Keim-zell-spezifschen epigenetischen Modifzierungen im Genom wird als Reprogrammierung bezeichnet und geschieht im Zusammenspiel von DNA-Replikation und Demethylasen. Die Reprogrammierung setzt bereits in der Zygote ein und ist auf dem Zwei-Zell-Stadium abgeschlossen [1]. Nach neusten Erkenntnissen an Mäusen werden väterliche Gene ABB. 1 Stark vereinfachtes Schema der Regulationsmechanismen, die nach der Befruchtung der Eizelle zur zygotischen Genaktivierung (ZGA) führen [1, 2]. Die zweite Phase der zygotischen Genaktivierung (Major ZGA) erfordert den Pionierfaktor Nr5a2, der an Enhancer-Elemente im Bereich der sog. Short Interspersed Nuclear Elements (SINE) B1 bindet und das Chromatin öffnet [3]. Grafk: A. Hille-Rehfeld. Biol. Unserer Zeit 2/2023 (53) www.biuz.de erstmals während der S/G2-Phase der Zygote transkribiert (Abbil-dung 1). Zu diesem Zeitpunkt be-dingt die Zusammensetzung der Nukleosomen eine vergleichsweise lockere Packung des Chromatins, so dass eine große Bandbreite von Ge-nen leicht für die Transkriptionsma-schinerie zugänglich ist. Diese erste Phase der zygotischen Genaktivie-rung (minor zygotic gene activa-tion) ist nur von kurzer Dauer, denn im Zwei-Zell-Stadium ändert sich die Zusammensetzung der Nukleosomen erneut. Die dann dominierenden Histon-Varianten fördern eine dich-tere Packung des Chromatins und erschweren so die Transkription. Infolgedessen erfordert die zweite Phase der zygotischen Genaktivie-rung (major zygotic gene activa-tion) besondere Transkriptions-faktoren, die in der Lage sind, die Chromatinstruktur lokal zu lockern und der Transkriptionsmaschinerie Zutritt zu den Promotoren zu ver-schaffen: die so genannten Pionier-faktoren [2]. Beim Zebrafsch und bei Fröschen scheint es sich um bekannte Faktoren zu handeln, die auch eine eingeschränkte Differen-zierungsfähigkeit von Stammzellen, die Pluripotenz, aufrechterhalten. Bei Säugetieren dagegen sind die Pluripotenz-Faktoren Oct4 und Nanog nicht an der zygotischen Genaktivierung beteiligt. Retrotransposon-ähnlicheSegmente … Pionierfaktoren bei Säugetieren zu identifzieren, war das Ziel einer Kooperation von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Bio-chemie in Martinsried und vom Bio-zentrum in Wien [3]. Sie analysier-ten zunächst systematisch die Basen-sequenzen in der Umgebung von mehr als 2500 Genen, die spezifsch während des Zwei-Zell-Stadiums von Mausembryonen exprimiert werden. Etwa 8 kb stromaufwärts des kodie-renden Bereichs fanden sie fast zweimal häufger als bei den übrigen Genen eine Konsensus-Sequenz mit großer Ähnlichkeit (90 %) zu einer © 2023 Die Autoren. Biologie in unserer Zeit veröffentlicht durch VBIO e.V. unter der CC-BY-SA 4.0-Lizenz 136 TREFFPUNKT FORSCHUNG Familie von Retrotransposons, die bei der Maus als „Short Interspersed Nuclear Element (SINE) B1“ be-zeichnet wird und mit den Alu-Se-quenzen des Menschen verwandt ist. Im Umfeld dieser Konsensus-Sequenz war zweierlei bemerkens-wert: Die Gene in der Nähe der Konsensus-Sequenz waren während der zygotischen Genaktivierung vergleichsweise leicht für die Tran-skriptionsmaschinerie zugänglich und der Grad der Histon-Acetylie-rung des Chromatins war in diesem Bereich erhöht. Weiterhin felen innerhalb der Konsensus-Sequenz bekannte Motive auf, an die be-stimmte Kernrezeptoren binden. Von diesen könnten Nr5a2 und Esrrb während der zygotischen Gen-aktivierung bedeutsam sein, denn bei Ausschaltung jedes einzelnen dieser Rezeptoren sterben homo-zygot-negative Embryonen während der Implantationsphase ab. Außer-dem sind beide Rezeptoren in der mütterlichen Boten-RNA repräsen-tiert und als Proteine bereits wäh-rend des Zwei-Zell-Stadiums nach-weisbar. Nr5a2 lässt sich durch eine Pyri-midin-haltige niedermolekulare Sub-stanz (SR1848) hemmen. Unter Ein-wirkung von SR1848 konnten Em-bryonen keine Blastocysten bilden, sondern fragmentierten und starben wenige Tage nach der Befruchtung. Die Autoren werteten dies als ersten Hinweis darauf, dass Nr5a2 für die Etablierung von Pluripotenz bedeut-sam ist. … binden den Pionierfaktor Nr5a2 Weiterhin zogen die Wissenschaftler im Experiment durch einen Trick das Nr5a2-Protein aus dem Verkehr. Dafür injizierten sie Antikörper ge-gen Nr5a2 in embryonale Zellen, zusammen mit einer an den Fc-Re-zeptor gekoppelten E3-Ubiquitin-Protein-Ligase, die spezifsch das mit Antikörpern markierte Nr5a2-Protein ubiquitiniert und so dem Abbau am Proteasom zuführt. Infolgedessen verringerte sich die Menge der wäh-rend der zygotischen Genaktivie-rung gebildeten Transkripte etwa auf die Hälfte des Kontrollwerts. Auch die Ausschaltung von Nr5a2 durch Silencing mittels siRNA ver-ringerte die Transkription während der zygotischen Genaktivierung, wenngleich mit geringerer Effzienz. Das Spektrum der Gene, deren Ex-pression Nr5a2 erfordert, repräsen-tierte 72 Prozent der während der zygotischen Genaktivierung gebilde-ten Transkripte. An welchen Stellen im Genom der Rezeptor Nr5a2 im Zwei-Zell-Stadium bindet, ermittelten die Wis-senschaftler durch Markierung des Rezeptors mit spezifschen Antikör-pern, anschließende Fragmentierung der DNA und Sequenzierung der durch die Antikörper erkenntlichen Fragmente mit gebundenem Rezep-tor. Dabei bestätigte sich, dass Nr5a2 tatsächlich im Bereich der oben ge-nannten Konsensus-Sequenz bindet, und zwar bevorzugt in der Nähe des Transkriptionsstartpunkts von Ge-nen, die während der zygotischen Genaktivierung verstärkt exprimiert werden und durch die Ausschaltung des Rezeptors betroffen sind. Ein Abgleich mit früher publi-zierten Daten zum Chromatin im Zwei-Zell-Embryo zeigte, dass die Bindestellen von Nr5a2 in Regionen von offenem Chromatin liegen und als Enhancer-Elemente fungieren. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Koinzidenz, denn die Aus-schaltung des Rezeptors Nr5a2 führ-te dazu, dass das Chromatin der Zwei-Zell-Embryonen weniger zu-gänglich für DNA-Insertionen durch das Enzym Transposase 5 war. Die Autoren schlossen daraus, dass die Bindung von Nr5a2 eine Öffnung des Chromatins bewirkt. Reagenz-glasversuche zeigten, dass die Bin-dung bevorzugt an der Stelle erfolgt, an der die beiden Enden des jeweils ein Nukleosom umwickelnden DNA-Fadens zusammentreffen. An dieser Stelle bindet auch der Pluripotenz-faktor Oct4. Demnach ist Nr5a2 tatsächlich als Pionierfaktor einzu-stufen, der durch Öffnung des Chromatins die Genexpression er-leichtert. Auch die Bindung von Esrrb ist für die zygotische Genaktivierung bedeutsam, wie entsprechende Ex-perimente zeigten. Allerdings bindet dieser Rezeptor neben Enhancer-Elementen auch an den Promotorbe-reich von Genen, während sein Ein-fuss auf die zygotische Genaktivie-rung verglichen mit dem von Nr5a2 weniger ausgeprägt erschien. Damit wurden am Beispiel der Maus erstmals Pionierfaktoren iden-tifziert, die für die zygotische Gen-aktivierung bei Säugetieren erforder-lich sind. Da Nr5a2 ein bei allen bislang untersuchten Metazoa kon-serviertes Protein darstellt, darf man gespannt sein, welche Funktion ihm bei anderen Organismen zukommt. Zwar sind die in der vorliegenden Publikation gefundenen Bindungs-motive spezifsch für die Maus, doch spekulieren die Autoren, ob die damit verwandten Alu-Sequenzen beim Menschen ebenfalls eine Pio-nierfunktion von Nr5a2 vermitteln können. Literatur [1] R. Fraser, C. J. Lin (2016). Reproduction 152, R211–R222. [2] F. Aoki (2022). J. Reprod. Dev. 68, 79–84. [3] J. Gassler et al. (2022). Science 378, 1305–1315. Annette Hille-Rehfeld, Stuttgart © 2023 Die Autoren. Biologie in unserer Zeit  www.biuz.de 2/2023 (53) Biol. Unserer Zeitveröffentlicht durch VBIO e.V. unter der CC-BY-SA 4.0-Lizenz 137 

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