Buttlar, Jann

Nellen, Wolfgang

Potrykus, Ingo

Willenbockel, Hanna

German

Latein und Griechisch in Nordrhein-Westfalen (LGNRW - E-Journal)

Nach der ersten Ernte: Wie war das mit dem Golden Rice?

Biologie in unserer Zeit (BiuZ - E-Journal)

                                                                                            ß POLITIK UND GESELLSCHAFT GENTECHNIKDEBATTE Nach der ersten Ernte: Wie war das mit dem Golden Rice? Auf dem gentechnisch veränderten Golden Rice ruhten und ruhen große Hoffnungen, den Vitamin-A-Mangel in vielen Ländern des Südenszu beheben und damit mangelbedingten Erblindungen und Todes-fällen vorzubeugen. Auf den Philippinen wurde nun im vergangenen Jahr – nach mehr als 20 Jahren Auseinandersetzungen um das Für und Wider – erstmals eine kleine Ernte von etwa 70 Tonnen eingefahren. Die Kolleg/-innen von BioWissKomm haben dies zum Anlass für ein Interview mit Ingo Potrykus genommen, dessen Name wie kaum ein anderer mit dem Golden Rice verbunden ist. BioWissKomm: Bei der Entwick-lung des Golden Rice gab esProbleme wie bei jedem wissen-schaftlichen Projekt: Bei derersten Version lag der b-Carotin-Gehalt viel zu niedrig.Potrykus: Falsch, obwohl dies der publizierten Sachlage nach stimmt. Unser erster Prototyp hatte im hete-rozygoten Zustand 1,6 Mikrogramm/ Gramm Provitamin A. Der heute in den Philippinen angebaute Goldene Reis hat 4–5 Mikrogramm. Es wäre – nach Aussage des Chef-Reiszüch-ters vom IRRI (International RiceResearch Institute) Gurdev Khush– ein Leichtes gewesen, diese Lücke in ein paar Rückkreuzungen zu schließen. BioWissKomm: Bei einer späte-ren Version wurde ein „Event“,also eine der vielen genetischveränderten Reispfanzen zurweiteren Züchtung ausgewählt,die anschließend suboptimaleErträge brachte.Potrykus: Stimmt, aber warum? Pfan-zenzüchtung liest „richtige Events“aus, indem sie Hunderttausendevon Individuen auf ihre Reaktion aufklimatische und agronomische Bedin-gungen im Feld untersucht. DieGMO-Vorschriften verbieten striktdas Ins-Feld-Bringen von GMOs, be-vor sie „dereguliert“, d. h. zum An-bau freigegeben sind. Jetzt testen Siemal die Reaktion auf agronomischeund Umweltbedingungen in einerKlimakammer! Die GMO-Vorschriftenverunmöglichten für viele Jahre jedevernünftige Arbeit.BioWissKomm: In der Wissen-schaft sind solche RückschlägeRoutine: Man geht ins Labor,sucht die Fehler und arbeitet ander Optimierung. Potrykus: Das waren keine Routine-Rückschläge, sondern durch dieGMO-Regeln verursachte Umwege.Ja, der Gedankengang ist richtig, aberunsere Probleme waren zu 99 Pro-zent durch die GMO-Regeln bedingt.BioWissKomm: Bei einem Projektmit solcher öffentlichen Auf-merksamkeit wurden Rückschlä-ge als „Scheitern“ interpretiert.Was müssen Wissenschaft undWissenschaftskommunikationtun, um in der Öffentlichkeitmehr Verständnis für und Ein-sicht in wissenschaftliche Ar-beitsweise zu erzeugen?Potrykus: Mehr Wissenschaftsjourna-listen und mehr Geld für Redaktio-nen, damit sie Wissenschaftsjourna-listen einstellen können. Und für alle Medien: mehr politische Ausge-wogenheit. Generell sehe ich in den Medien ein Hauptproblem. Sachlich korrekte und informative Artikel, die Raum für eigene Interpretation las-sen, sind in der Minderheit. Mei-nung statt Information ist für mich kein guter Journalismus. BioWissKomm: Das Konzept desGolden Rice, nämlich Grundnah-rungsmittel mit Vitaminen undanderen wichtigen Inhaltsstoffenanzureichern, hat sich in derWissenschaft durchgesetzt: Esgibt z. B. bereits gentechnischoptimierte Cassava und Hirse.Weitere Pfanzen sind in Arbeitoder bereits im Feldversuch. Wosehen Sie den größten Bedarf fürdie Zukunft der Welternährung?Potrykus: Es war das Golden Rice-Projekt, welches das Konzept der„Biofortifkation“ – der Verbesserungdes Gehalts an Mikronährstoffen imErntegut – initiiert und ihm zumDurchbruch verholfen hat. Der Erfolgdieses Projekts hat die Gates Founda-tion bewogen, massiv in den Ansatzder Biofortifkation zu investieren –auch und besonders in GMO-unab-hängige Projekte. In Ertragssteigerungund Ertragssicherung investiert wei-terhin die Industrie. Und das wird sobleiben, solange Nahrungsmittelquali-tät nicht durch höhere Preise hono-riert wird. Deswegen würde ich wei-terhin den Bereich der „Mikronähr-stoffe“ bearbeiten, mit dem Ziel, denGehalt in Grundnahrungsmitteln (vorallem Getreide) in Bezug auf mög-lichst viele Vitamine, Mineralien undessenzielle Aminosäuren zu erhöhen– gleichzeitig in ein und derselbenPfanze! Wir haben bereits im glei-chen Jahr wie über den Vitamin A-Reis, über Reis mit erhöhtem Eisenge-halt publiziert. Gegenwärtig arbeitetdas IRRI an einem Vitamin-A/Eisen/ Zink-Reis (Eisen- und Zink-Anämie sindRiesenprobleme). Dieses Konzept derOptimierung möglichst vieler Mikro-SCH Ö PF E R D E S GO LD E N R I CE  Ingo Potrykus ist Professor emeritusfür Pfanzenwissenschaften an derETH Zürich. Er ist ein Pionier derPfanzengentechnik und entwickelte,zusammen mit Peter Beyer (Univer­sität Freiburg) den Golden Rice im Rahmen eines humanitären Projektszur Ernährungssicherheit. Sein per­sönlicher und wissenschaftlicherLebenslauf ist in seiner Autobiografedargestellt (https://www. annualreviews.org/doi/abs/10.1146/ annurev­arplant­043014­114734). © 2023 Die Autoren. Biologie in unserer Zeit  www.biuz.de 2/2023 (53) Biol. Unserer Zeitveröffentlicht durch VBIO e.V. unter der CC-BY-SA 4.0-Lizenz 117                                                                                                                           POLITIK UND GESELLSCHAFTWA S  I S T GO LD EN R I CE ? Reis ist bekanntlich ein Grundnahrungsmittel in Asien undder Hauptlieferant für Kalorien. In vielen Schwellen- undEntwicklungsländern Asiens gibt es deshalb den „verbor-genen Hunger“: Hohe Kosten und Mangel an vielseitigerErnährung führen zu Defziten bei Mikronährstoffen. Eingroßes Problem ist die Vitamin-A-Defzienz (VAD), die zuErblindung und Tod führt. Man rechnet mit ca. 250.000 bis500.000 Opfern pro Jahr.Ingo Potrykus und Peter Beyer haben Ende der 1990erJahre begonnen, Reis gentechnisch mit Vitamin A anzurei-chern. Dazu wurden zunächst drei, später nur noch zweiGene aus anderen Organismen in den Reis eingebaut, um dieProduktion von Vitamin A im Reiskorn möglich zu machen.Dabei entsteht das gelb-orange b-Carotin, das z. B. ausMöhren bekannt ist und dem Reis eine goldgelbe Farbe gibt.b-Carotin wird im menschlichen Körper in Vitamin A umge-wandelt. Der Gehalt im Reiskorn ist so hoch, das 60 Gramm(trockener) Reis pro Tag ausreichen, um den Vitaminmangelzu beheben.Potrykus und Beyer hatten von Anfang an ein humanitäresProjekt angestrebt. In Verhandlungen wurde der Patentschutzaufgehoben, so dass Kleinbauern das Saatgut kostenlos erhal-ten und auch nachzüchten können. Auch das Einkreuzen inlokale Sorten ist erlaubt und wird vom International RiceResearch Institute (IRRI) unterstützt. Doch bis zur ersten Ernte2022 war es ein langer, steiniger Weg. Einerseits gab es Verzö-gerungen bei der Entwicklung, andererseits gab es massiveStörkampagnen, die Versuchsanbau und Genehmigungenlange Zeit verhindert haben. Experten kalkulieren, dass dieseAuseinandersetzungen die Nutzung um mindestens 12 Jahreverzögert und die Kosten um 65 Millionen Dollar erhöht ha-ben. Den Zeitverlust kann man nach Zahlen der WHO auch inetwa 1,5 Millionen vermeidbare Todesopfer umrechnen.ABB. Geschälte und polierte Körner vom ursprüng-lichen weißen Reis (links), Golden Rice 1 (mitte) undGolden Rice 2 (rechts). Die goldgelbe Farbe entstehtdurch die Einlagerung von b-Carotin. Foto: GoldenRice Humanitarian Board. nährstoffe in ein und derselben Pfanze müsste natürlichausgeweitet werden auf möglichst viele Grundnahrungs-pfanzen. Dies erfordert eine Kooperation zwischen Gen-technik und Pfanzenzüchtung. BioWissKomm: Wie lange hätte Golden Rice (in derheutigen Version) ohne die „Opposition“ gedauert,um ihn aufs Feld zu bringen?Potrykus: Nach Aussage des Chef-Reiszüchters am IRRI drei Jahre oder acht Rückkreuzungsgenerationen. Wäre Golden Rice kein GMO gewesen, würde er seit 2003 genutzt und hätte in den fast 20 Jahren Millionen von Kindern vor Erblinden und Tod bewahrt. BioWissKomm: Wie lange hättees mit konventionellen Kreu-zungsmethoden gedauert?Potrykus: Unendlich. Geht nicht. DieReiszüchtung hat vergeblich allesversucht, dieses Ziel zu erreichenund hat deswegen die Gentechnikum Hilfe gebeten. Unser Projekt wardie Antwort auf diesen Hilferuf. BioWissKomm: Wie lange hättees mit der „neuen Gentechnik“CRISPR-Cas gedauert?Potrykus: Genau so lang wie mit „konventioneller“ Gentechnik, da CRISPR das nur mit Hilfe der Gen-technik machen könnte. Ein CRISPR-Golden Rice müsste all die regulato-rischen GMO-Hürden überwinden, die wir überwunden haben. Er brächte keinen Vorteil. BioWissKomm: Das sollten wirvielleicht erläutern: Auch mitCRISPR müsste „Fremd-DNA“eingebracht werden. Selbst nachReformierung des EU-Gentech-nikrechts würde das Produktderselben strengen Regulierungunterliegen wie konventionelleGentechnik. Potrykus: Ich warne vor einem gras-sierenden Hype und einer Konfusionum CRISPR. CRISPR ist eine effzien-te Technik zum Einführen von Muta-tionen. CRISPR wird „verkauft“ alsTechnik, die das Genom nicht andersals die Natur verändert. Und daraufberuht der Anspruch, von den GMO-Vorschriften ausgenommen zu wer-den. CRISPR hat Vorteile in Bezugauf loss-of-function-Projekte, hat abergroße Schwierigkeiten bei gain-of-function-Projekten. Ich beobachtezunehmend die kuriose Situation,dass man mit CRISPR ganz normaleGentechnik betreibt (man ersetzt nurAgrobacterium durch CRISPR), undwundert sich dann, dass die regulato-rischen Autoritäten das zu Recht alsGentechnik verstehen – und regulie-ren. Pech, dass die Anzahl an attrak-tiven loss-of-function-Projekten sehrbeschränkt ist. Andererseits bestehtkein Zweifel daran, dass man „Gen-technik“ betreibt – mit allen Konse-quenzen, wenn man „Fremd-DNA“mit CRISPR überträgt und diese nichtwieder entfernt. Gene Editing kannGentechnologie nicht ersetzen; siekann sie ergänzen. Gain-of-function-Projekte wie z. B. Golden Rice ge-hen, mit komplizierten Ausnahmen, nur mit Hilfe der Gentechnik. Man gewinnt in Bezug auf die Regulation überhaupt nichts. Aber hat man sich eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, was das in Bezug auf Patentlimitierung heißt? Die Agro-bacterium-Patente sind praktisch alle abgelaufen. Bei CRISPR stehen wir am Anfang eines jahrzehntelan-gen, komplizierten Patentstreites. Für die Anwendung ein Horror. BioWissKomm: Ein solcherPraxiserfolg von Golden Ricewürde die Glaubwürdigkeit derOrganisationen schädigen, dieihn über viele Jahre bekämpfthaben. Erwarten Sie eine neueKampagnewelle, um z. B. die Ak-zeptanz für Golden Rice in derBevölkerung zu untergraben? Potrykus: Ja.BioWissKomm: Herr Potrykus,wir danken Ihnen ganz herzlichfür das Interview! Die Fragen stellten Hanna Willen-bockel, Jann Buttlar und Wolfgang Nellen. Eine ausführlichere Version dieses Interviews fnden sie unter https://www.biowisskomm.de/2023/01/keine-ganz-normale-ernte-2/ Nachtrag der Redaktion:Der Supreme Court in Manila hatam 18. April 2023 geurteilt, dassder Anbau von Golden Rice (undBt-Brinjal) gestoppt werden muss.Damit ist die vorsichtig optimis-tische Sichtweise des Interviewsmit Ingo Potrykus hinfällig. Aufdie Frage, ob er weitere Aktionender NGOs gegen Golden Rice er-wartet, hatte Potrykus mit einemsimplen „Ja“ geantwortet. Dasbestätigt sich nun. DOI:10.11576/biuz6427 © 2023 Die Autoren. Biologie in unserer ZeitBiol. Unserer Zeit 2/2023 (53) www.biuz.de veröffentlicht durch VBIO e.V. unter der CC-BY-SA 4.0-Lizenz 118

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Nach der ersten Ernte: Wie war das mit dem Golden Rice?

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