Ebner, Katharina

German

Münchener Theologische Zeitschrift (Katholisch-Theologische Fakultät der LMU München)

Buchbesprechungen FELIX KRAUSE, Sozial verantwortete Selbstbestimmung in der Medizin. Ein anerkennungstheoreti-scher Ansatz selbstbestimmten Handelns, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2016, 333 Seiten, 78,28 €. ISBN 978-3-631-67201-3. Im Februar 2020 entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe unzulässig sei und begründete dies mit dem Verweis auf die persönli-che Autonomie, die sich auch im Umgang mit Krankheit erweisen solle. Die Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, obliege allein dem Individuum, das dafür auch die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen dürfe. Die gesellschaftliche wie fachwissenschaftliche Debatte um dieses Urteil drehte sich in der Folge auch kontrovers um den durch das Gericht verwendeten Autonomiebegriff.  Eine Klärung der Reichweite, Geltung, Interpretation und Anwendung von Autonomiebegriffen in der Medizin möchte die 2015 an der Universität Osnabrück eingereichte Dissertation von Felix Krause leisten. Ausgehend von einer begriffskritischen Rekonstruktion entwickelt der Verf. in Auseinandersetzung mit Honneths Anerkennungstheorie ein auf die medizinische Praxis ausgerich-tetes Modell sozial verantworteter Selbstbestimmung.  Nach der Problemstellung folgt eine ausführliche Darstellung und Diskussion verschiedener phi-losophischer Autonomiekonzepte, zunächst in anthropologischer dann in philosophisch-ethischer Lesart. Dabei zeigt er in Auseinandersetzung mit Honneth, Mackenzie und Anderson, dass ein auf menschliche Handlungspraxis und Ermächtigung zielendes Modell von Selbstbestimmung auf in-tersubjektive Anerkennung angewiesen ist, erweitert damit den medizinethisch einschlägigen Au-tonomiebegriff bei Beauchamp und Childress, und diskutiert unter Einbezug moralpsychologischer Überlegungen zu Selbstkonzept und Selbstvertrauen, wie voraussetzungsreich ein angemessenes Reden von Autonomie ist.  Den inhaltlichen Kern der Arbeit macht die vom Verf. im Anschluss an die genannten medizin-ethischen Positionen entwickelte Matrix einer sozial verantworteten Selbstbestimmung aus: Im Modell konzentrischer Kreise macht er deutlich, dass für eine selbstbestimmte Handlung Vorbe-dingungen notwendig sind, namentlich ein Selbstkonzept sowie die Kompetenz und Informiertheit, um schließlich freiwillig, ohne Manipulation oder Zwang zur selbstbestimmten Entscheidung / Handlung zu gelangen (256). Dem Verf. ist es ein berechtigtes Anliegen, selbstbestimmte Ent-scheidungen als Ergebnis von Verantwortungsübernahme zu kennzeichnen. Denn um zu einer au-tonomen Handlung zu kommen, brauche es befähigende soziale Beziehungen. Die Anwendung auf eine „anerkennungssensible Praxis der sozial verantworteten Selbstbestimmung in der Medizin“ (277) erfordere deshalb eine eindringliche Reflexion darauf, in welcher Verfassung Patientinnenund Patienten in der Regel sind. Dabei spricht nach Ansicht des Verf. vieles dafür, dass es sichnicht um „normal chooser“ im Sinne von Beauchamp und Childress handelt, sondern um in unter-schiedlichem Maße vulnerable Personen.Die Arbeit ist flüssig zu lesen und besticht durch klare Argumentationsführung. Grundsätzlich lesefreundlich sind die Rekapitulationen am Ende der Kapitel sowie die vorangestellte Inhaltsüber-sicht. In der ersten Hälfte der Arbeit fällt auf, dass die Sekundärliteratur bisweilen eher additiv und mit ausführlichen direkten Zitaten referiert wird, so dass einige Längen entstehen. Hier hätte man sich eine stärkere Ausrichtung auf die Fragestellung der Arbeit gewünscht, gerne auch verbunden mit einer Einordnung und Bewertung der einzelnen Positionen, alternativ auch einen vorangestell-ten allgemeinen Forschungsüberblick. Stattdessen kommt die relevante und umfassend erschlosse-ne deutsch- wie englischsprachige Fachliteratur jeweils in den einzelnen Kapiteln zu Wort. Den größten Raum nehmen dabei medizinethische Publikationen ein, auf denen der Verf. aufbaut. Me-Buchbesprechungen298thodisch wurde ein erfahrungsbasierter Ansatz gewählt, was in der Darlegung und Diskussion der einschlägigen philosophischen und (theologisch-)ethischen Positionen weniger, stärker dann aber in der Entfaltung der „sozial verantworteten Selbstbestimmung“ zum Ausdruck kommt.  Was die fachliche Verortung der Arbeit betrifft, so formuliert der Verf. den Anspruch, eine phi-losophische Abhandlung vorzulegen, die am Ende lediglich theologisch-ethische Anknüpfungs-punkte anzeigt. Der knappe Ausblick zur Relevanz für die Theologische Ethik (297–302) mit anei-nandergereihten Hinweisen auf die Anschlussfähigkeit des Vorgestellten an Grundbegriffe und normative Grundlagen wirkt dabei etwas nachgeschoben und hätte besser in die Argumentations-gänge der Arbeit integriert oder auch weggelassen werden können. Denn der Aufweis der lebens-weltlichen Relevanz der Fragestellung und grundlegende Überlegungen zur Autonomie als Kern einer theologischen Anthropologie und Ethik haben die Anschlussfähigkeit in den Augen der Re-zensentin bereits erwiesen. Das mindert jedoch den Gesamteindruck einer gelungenen Bearbeitung eines drängenden medizinethischen Anliegens nicht. Die Arbeit bietet auch für Verfassungsrichter eine bereichernde Lektüre.  Katharina Ebner 

Felix Krause, Sozial verantwortete Selbstbestimmung in der Medizin. Ein anerkennungstheoretischer Ansatz selbstbestimmten Handelns, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2016

https://mthz.ub.uni-muenchen.de/MThZ/article/download/5329/5626

Felix Krause, Sozial verantwortete Selbstbestimmung in der Medizin. Ein anerkennungstheoretischer Ansatz selbstbestimmten Handelns, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2016

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