Einflussfaktoren der Behandlung von medizinisch unerklärten Symptomen: Therapieprädiktoren und ärztliche Kommunikationsstile

Abstract

Medizinisch unerklärte Symptome (MUS) sind in der Allgemeinbevölkerung sowie in der Primärversorgung hoch prävalent und zählen im Rahmen von somatoformen Störungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Europa (Haller, Cramer, Lauche & Dobos, 2015; Wittchen et al., 2011). Betroffene entwickeln exzessive symptombezogene Kognitionen, Emotionen oder Verhaltensweisen, welche die Lebensqualität erheblich einschränken (Xiong et al., 2017). Neben dem Leidensdruck der Patient*innen entstehen häufig auch erhebliche gesundheitsökonomische Kosten durch eine hohe Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (Rask et al., 2015). Aufgrund der verschiedenen Behandlungsaspekte von MUS ist sowohl eine adäquate Psychotherapie als auch eine angemessene Arzt-Patienten-Kommunikation von zentraler Bedeutung, allerdings besteht in beiden Bereichen weiterhin ein Optimierungspotential (Husain & Chalder, 2021; van Dessel et al., 2014). In der vorliegenden Dissertation werden spezifische Faktoren, die potentiell das Behandlungsergebnis beeinflussen können, näher untersucht. Während Studie 1 und Studie 2 unterschiedliche Prädiktoren des psychotherapeutischen Behandlungserfolges bei MUS Patient*innen analysieren, wird in Studie 3 der Einfluss der Arzt-Patienten-Kommunikation auf den Placeboeffekt in einer gesunden Stichprobe näher beleuchtet. Bei der Behandlung von MUS stellt die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ein wichtiges Kernelement dar. Eine Möglichkeit den bisher moderaten Behandlungserfolg zu optimieren (van Dessel et al., 2014), liegt in der personalisierten Psychotherapie. Um die Therapie an die spezifischen Bedürfnisse der Patient*innen anzupassen, müssen zuvor individuelle Merkmale der Betroffenen identifiziert werden, die mit dem Behandlungserfolg assoziiert sein können. Im ersten Teil der Dissertation werden daher mit Hilfe von Meta-Analysen verschiedene Therapieprädiktoren der KVT untersucht. In Studie 1 können signifikante aggregierte Zusammenhänge zwischen den folgenden kognitiv-emotionalen Prädiktoren zu Behandlungsbeginn und einem ungünstigeren Therapieergebnis belegt werden: eine komorbide affektive Erkrankung oder Angsterkrankung, eine höhere Katastrophisierung oder somatosensorische Verstärkung sowie eine geringere Symptomakzeptanz oder Selbstwirksamkeit. Die aggregierten Zusammenhänge verstärken sich insbesondere bei Patient*innen mit Reizdarmsyndrom oder chronischem Erschöpfungssyndrom. In Studie 2 zeigen sich signifikante aggregierte Zusammenhänge zwischen folgenden klinischen Prädiktoren zu Behandlungsbeginn und einem ungünstigeren Therapieergebnis: eine höhere Symptomintensität, ein geringeres physisches oder sozial-emotionales Funktionsniveau, eine längere Symptomdauer sowie höhere potentielle symptom-bezogene Anreize. Die aggregierten Zusammenhänge unterscheiden sich weder in den spezifischen MUS-Störungsbildern noch in der methodischen Studienqualität. Da Ärzt*innen häufig die ersten Ansprechpersonen von MUS-Patient*innen sind (Creed, Barsky & Leiknes, 2011), stellt auch die Arzt-Patienten-Kommunikation einen potentiellen Einflussfaktor in der Behandlung von MUS-Patient*innen dar (Husain & Chalder, 2021). In der klinischen Praxis wird zwischen dem patientenzentrierten und dem arztzentrierten Kommunikationsstil differenziert (Mead & Bower, 2000). Neben dem positiven Einfluss des patientenzentrierten Stils auf verschiedene Gesundheitsvariablen bei MUS (Weiland et al., 2012) wird zunehmend untersucht, inwiefern die Behandlung auch durch den Placeboeffekt optimiert werden kann (Enck et al., 2013). Hierbei kann der ärztliche Kommunikationsstil den Placeboeffekt entscheidend beeinflussen (Zion & Crum, 2018). Zwar wurde bereits ein Einfluss eines spezifischen ärztlichen Kommunikationsstils auf den Placeboeffekt belegt (Howe et al., 2017; Kaptchuk et al., 2008), dennoch fehlen bislang experimentelle Studien, die den Einfluss verschiedener ärztlicher Kommunikationsstile auf den Placeboeffekt vergleichen. Im zweiten Teil der Dissertation wird daher eine standardisierte Arzt-Patienten-Interaktion mit den genannten ärztlichen Kommunikationsstilen entwickelt und in einem experimentellen Design zunächst an einer nicht-klinischen Stichprobe implementiert (Studie 3). Der Einfluss der ärztlichen Kommunikationsstile auf den Placeboeffekt und den Symptombericht wird nach einer einwöchigen Placeboeinnahme untersucht. Die Ergebnisse belegen keinen signifikanten Einfluss der ärztlichen Kommunikationsstile auf den Placeboeffekt. Dennoch zeigen die Kommunikationsstile unterschiedliche Auswirkungen auf den Placeboeffekt, wenn die negative Affektivität der Proband*innen mitberücksichtigt wird. Der Symptombericht ist signifikant höher nach einem patientenzentrierten Arztgespräch als nach einem arztzentrierten oder nach keinem Arztgespräch. Als mögliche Erklärung für die nicht signifikanten Placeboeffekte muss die gesunde Stichprobe ohne eigenes Behandlungsanliegen in Betracht gezogen werden. Ebenso könnte der Einnahmezeitraum zu kurz gewesen sein um Placeboeffekte zu induzieren. Die im Rahmen der Dissertation durchgeführten Studien konnten einerseits Therapieprädiktoren der KVT bei MUS-Patient*innen beleuchten, wodurch der Weg für eine personalisiertere Anpassung der Psychotherapie an individuelle Patientenmerkmale geebnet werden kann. Andererseits konnte der patientenzentrierte ärztliche Kommunikationsstil als potentieller Einflussfaktor auf den Symptombericht gesunder Proband*innen belegt werden. Dies kann gezielt genutzt werden, um Personen zu ermutigen offen über ihre Beschwerden zu berichten. Inwiefern die ärztlichen Kommunikationsstile auch als Einflussfaktoren auf den Placeboeffekt eingesetzt werden können, muss in weiteren klinischen Studien näher untersucht werden

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