Wie entstanden die Idyllen mit ausgestopften Löwen und Gazellen im Naturhistorischen Museum Bern? Das Haus erklärt nun deren Geschichte. Gut so, sagt Historikerin Gesine Krüger

Fuchs, Regula

Krüger, Gesine

German

ZORA

Zurich Open Repository andArchiveUniversity of ZurichUniversity LibraryStrickhofstrasse 39CH-8057 Zurichwww.zora.uzh.chYear: 2022«Paarungsszenen sind nie zu sehen» - Kolonialerbe im Schaukasten: einBerner Museum klärt auf (Gesine Krüger im Interview mit Regula Fuchs)Krüger, Gesine ; Fuchs, RegulaAbstract: Wie entstanden die Idyllen mit ausgestopften Löwen und Gazellen im NaturhistorischenMuseum Bern? Das Haus erklärt nun deren Geschichte. Gut so, sagt Historikerin Gesine Krüger.Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of ZurichZORA URL: https://www.zora.uzh.ch/223522Newspaper ArticlePublished VersionOriginally published at:Krüger, Gesine; Fuchs, Regula. «Paarungsszenen sind nie zu sehen» - Kolonialerbe im Schaukasten: einBerner Museum klärt auf (Gesine Krüger im Interview mit Regula Fuchs). In: Der Bund, 16 November2022, 27.Zurich Open Repository andArchiveUniversity of ZurichUniversity LibraryStrickhofstrasse 39CH-8057 Zurichwww.zora.uzh.chYear: 2022«Paarungsszenen sind nie zu sehen» Gesine Krüger im Interview mit RegulaFuchs im Bund, 16.11.2022Krüger, Gesine ; Fuchs, RegulaAbstract: Tiere Afrikas im Museum. Löwen-Idyllen in Schaukästen: Das Naturhistorische Museum Bernbefasst sich mit seiner kolonialistischen Geschichte. Gut so, sagt Historikerin Gesine Krüger.Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of ZurichZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-223522Newspaper ArticlePublished VersionOriginally published at:Krüger, Gesine; Fuchs, Regula. «Paarungsszenen sind nie zu sehen» Gesine Krüger im Interview mitRegula Fuchs im Bund, 16.11.2022. In: Der Bund, 16 November 2022, 27.27Mittwoch, 16. November 2022Der kleineRegula FuchsDas NaturhistorischeMuseumhat seine historischenAfrika-Dioramenmit neuen Infor-mationen versehen. Da heisstes zumBeispiel, dass da einwestliches, kolonial geprägtesBild vonAfrika gezeigtwerde.Ist das nötig?Ich finde es sehr gut, dass dasMuseum nicht einfach die Aus-stellung neu konzipiert, sondernsich mit seiner eigenen Ge-schichte befasst hat – das gefälltmir als Historikerin natürlich. Soeinen selbstkritischen Blick zuentwickeln, ist ja nicht einfach,und es beeindruckt mich sehr,wie gut das in Bern gelungen ist.Die «TiereAfrikas» in Bernstammen zum grossenTeil vonder Berner GrosswildjägerinVivienne vonWattenwyl undihremVater Bernard, die inden 1920er-Jahren Häuteund Knochen aus Ostafrikamitbrachten.War so eineZusammenarbeit üblich?Ein Teil der Tiere, die wir in Na-turkundemuseen sehen, stammtaus Zoos. Aber ich gehe davonaus, dass die Mehrheit gejagtwurde. Um diese grossen Tierezu erlegen, brauchte es natürlichSpezialisten, und darum trafendie Museen VereinbarungenmitGrosswildjägern. Aber es gabauch Museumsdirektoren, dieselber jagten.Wie häufigwaren Frauen alsJägerinnen?Auf Grosswildjagd gingenmeis-tens Männer, aber es war nichtganz ungewöhnlich, dass auchFrauen jagten. Grundsätzlichwar der Kreis der potenziellenGrosswildjägerinnen und -jägerbeschränkt, da diese Art derJagd in der Regel adligen undgrossbürgerlichen Kreisen vor-behalten war.Wiemussman sich solcheSafaris vorstellen?Die Safariwar im 19. Jahrhunderteine Artwanderndes Dorf, luxu-riös ausgestattetmit Köchen undTrägern, die Foto- und Jagdaus-rüstungen, feine Speisen undGetränke, Kleidung und faltbareBadewannen transportierten.Lokale Experten statteten die Sa-faris aus, meistens hatten Ein-heimische aber eine dienendeFunktion. Ganz interessant istübrigens der ZusammenhangzwischenGrosswildjagd undNa-turschutz: Grosswildjägerwarendie Ersten, die festgestellt haben,dass die Tiere verschwinden –logisch, sie selberwaren ja dafürverantwortlich. Eine Konsequenzwar, einheimische Jäger zu Wil-derern zu erklären und lokaleJagdtraditionen zu verbieten.Die vonWattenwyls hättenvon kolonialen Strukturenprofitiert, um die erlegtenTierenach Bern zu bringen, heisst esimMuseum.Was bedeutet daskonkret?In den 1920er-Jahren war derafrikanische Kontinent fast voll-ständig kolonisiert. Wenn vonkolonialen Strukturen die Redeist, beginnt das schon bei derAusstellung von Jagdlizenzenund anderenDokumenten durchdie Kolonialbehörden, zum Rei-sen wurden die durch kolonialeZwangsarbeit erbauten Eisen-bahnnetze und Strassen genutzt,auch Kranken- undMissionssta-tionen konnten wichtig sein.Manche Jäger tranken mit denGouverneurenTee oderGin&To-nic. Es gab in dieser Zeit gar kei-ne Möglichkeit, sich ausserhalbdieser kolonialen Strukturen zubewegen.Also hatte die SchweizmitJagdunternehmungen à la vonWattenwyl Anteil am kolonialenProjekt?Natürlich. Und das ist ja nur einkleiner Aspekt der SchweizerVerstrickung mit dem Kolonia-lismus. WirtschaftshistorischeStudien haben belegt, wieSchweizer Firmen von Sklaven-handel und Kolonialismus pro-fitierten. Die Schweizer Wirt-schaft insgesamt war bis zumEnde des Kolonialismus in Struk-turen tätig, die kolonial geprägtwaren,wie auch nicht? Daran istnichts Erstaunliches. Erstaunlichist vielleicht,wie langeman sichin der Schweiz selbst erzählenkonnte,manhabe nichtsmit demKolonialismus zu tun gehabt.Of-fensichtlich galt es, eine gewisseUnschuld für sich zu reklamie-ren. Aber niemand ist historischunschuldig.Welche Rolle spielte dieWissenschaft für die Grosswild-jagd? Die NaturhistorischenMuseenwaren schliesslichAbnehmer derTiere.Die Verwendung für wissen-schaftliche Zwecke konnte derJagd einen Nimbus des Nützli-chen verleihen. Vom vermeintli-chen Schutz einheimischer Dör-fer vorwild gewordenen Elefan-ten und gefährlichen Löwen bishin zumDienst anWissenschaftund Naturschutz konnte dieGrosswildjagd so immer wiederveredelt werden. Nurwenige Jä-ger sagen oder schreiben, dasssie einfach grosse Tiere tötenmöchten. Im Dienst derWissen-schaft zu jagen,warnatürlich einedlerer Beweggrund, als Tro-phäen im eigenen Salon aufzu-hängen. Allerdings darf mannicht vergessen, dass zu jenerZeit zoologische und botanischeSammlungen angelegt wurden,die tatsächlich für die Wissen-schaft wichtig waren.Dioramen gibt es seit den1930er-Jahren.Wie kammanüberhaupt auf diese Form derPräsentation?Es ist eine historische Form derKontextualisierung. Man zeigtedie Tiere in ihrerUmgebung, umeinen Eindruck davon zu geben,wie sie sich in ihremLebensraumverhalten.Das ist bei der Präsen-tation eines einzelnen Tiers ineiner Vitrine nicht möglich. Indieser Hinsicht beinhalten diefrühenDioramen bereits Gedan-ken der Ökologie – die Vorstel-lung einer grundsätzlichen Ver-netzung derTiere untereinander,mit anderen Spezies undmit ih-rem Lebensraum. Sozusagen einkleines Stück von einem ganzenÖkosystem.Aber die Dioramen führen jaauch eine total inszenierteNatur vor.Wie geht dasmit ihremBildungsauftragzusammen?Ja, sie bewegen sich in einemSpannungsfeld zwischen Bil-dung und Spektakel.Häufig sindDioramen ja wie eine Bühne ge-staltet,mit Hintergrund undVor-dergrund. Die Tiere treten auf.Interessant ist aber nicht nur,dass sie inszeniert sind, sondernauch, was sie zeigen – und vorallem, was nicht. Paarungs-szenen etwa sind nie zu sehen.Nur ganz seltenwerden Kämpfegezeigt oder dass sich Tiere ge-genseitig töten. Meistens be-kommt das Publikum eine Fami-lienidylle zu sehen, Kleinfami-lien in friedlicher Interaktion.Also weder Liebe noch Tod, we-der Sex noch Crime.Ein Stück bürgerlichesZeitalter imNaturkunde-museum also.Absolut! Vielleicht ist es überin-terpretiert, aber dieAfrika-Diora-men im Naturhistorischen Mu-seumBernwurden 1936 eröffnet,also zwischen den Weltkriegen.Was wir da sehen, hat viel mitBürgerlichkeit undmit der Sehn-sucht nach einer heilen Naturund nach Normalität zu tun.Podiumsgespräch: Grosswildjagdund Kolonialgeschichte. Mit GesineKrüger, Solomon Sebuliba (Um-weltbiologe), Antoine Spillmann(Safari Club Internationale) undStefan Hertwig (Leiter Wirbeltieream Naturhistorischen Museum).Do, 17. Nov., 19 Uhr. Anmeldungerforderlich: www.nmbe.ch.«Paarungsszenen sind nie zu sehen»Tiere Afrikas im Museum Löwen-Idyllen in Schaukästen: Das Naturhistorische Museum Bern befasst sich mitseiner kolonialistischen Geschichte. Gut so, sagt Historikerin Gesine Krüger.Im neu gestalteten Eingangsbereich ist etwa zu erfahren, dass viele Tiere in der Afrika-Sammlung von einer Grosswildjagd in den 1920er-Jahren stammen. Foto: Nelly Rodriguez (NMBE)Afrika-Spezialistin Gesine KrügerGesine Krüger ist Historikerin undProfessorin für Neuere Geschichteam Historischen Seminar derUniversität Zürich. Sie forschthauptsächlich zur kolonialen undpostkolonialen Geschichte Afrikas.Krüger befasst sich auch mit demVerhältnis von Mensch und Tier inhistorischer Perspektive sowie mitder Geschichte der Jagd. In einemAufsatz zeigt sie, dass Tierliebeund Jagd sich nicht ausschliessen.Krüger tritt an einem Podium desNaturhistorischen Museums zumThema Grosswildjagd und Koloni-algeschichte auf. (reg)«ImDienst derWissenschaft zujagen, war natürlichein edlererBeweggrund,als Trophäen imeigenen Salonaufzuhängen.»Gesine KrügerHistorikerinDie Geschichten dahinter: Das Dioramen-UpdateDie Dioramen im NaturhistorischenMuseum Bern kennt jedes Kind:die Löwen, Zebras und Gazellenhinter Glas, die inmitten vongemalten Landschaften, künstli-chen Tümpeln und Felsen stehen.Viele von ihnen stammen aus den1930er-Jahren, als das Museum anseinen jetzigen Standort an derBernastrasse zog. Wie stark dieDioramen Ausdruck ihrer Entste-hungszeit sind, darauf verweisenneue Informationstafeln und einefrisch gestaltete Eingangszone beider Afrika-Sammlung.Zu erfahren ist beispielsweise,wie sehr die Dioramen eine kolo-nial geprägte Illusion von Afrikawiedergeben – die menschenleereWildnis lade geradezu dazu ein,von Europäern entdeckt zu wer-den. Das Museum erläutert auch,dass viele der präparierten Tiere1923/24 von der Berner Grosswild-jägerin Vivienne vonWattenwylund ihrem Vater Bernard erlegtwurden. Letzterer schloss mit demMuseum die Vereinbarung ab,dass er die Tiere jagen und demHaus zur Verfügung stellen würde,wenn dieses die Frachtkostenübernähme.Auf den Informationstafeln beiden einzelnen Schaukästen stehtzudem, wie gefährdet die Tieresind und woher die tierischenObjekte kommen. Auch weisen dieTafeln auf Fehler hin – bei den«Tieren Afrikas» gibt es etwa einenasiatischen Geier – oder darauf,dass am Flusspferd kaum etwasecht ist. Damit bekommen diealtbekannten Schaukästen eineganz neue Dimension – und dasPublikum erfährt die hoch span-nenden Geschichten dahinter. (reg)

«Paarungsszenen sind nie zu sehen» - Kolonialerbe im Schaukasten: ein Berner Museum klärt auf (Gesine Krüger im Interview mit Regula Fuchs)

https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/223522/1/Interview_mit_Gesine_Kruger

«Paarungsszenen sind nie zu sehen» - Kolonialerbe im Schaukasten: ein Berner Museum klärt auf (Gesine Krüger im Interview mit Regula Fuchs)

Abstract

Similar works

Full text

Available Versions

ZORA