Ederer, Matthias

German

Open Access-Zeitschriften an der WWU Münster (Westfälische Wilhelms-Universität)

THEOLOGISCHE REVUE  118. Jahrgang – Oktober 2022 –    Neef, Heinz-Dieter: Geschichte, Schuld und Rettung. Studien zur Redaktion, Komposition und Theologie von Ri 1,1–3,30. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021. (XI) 224 S. (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 162), geb. € 90,00 ISBN: 978-3-7887-3521-0  E. A. Knauf wirft in seinem Richterbuchkommentar sehr zugespitzt die Frage auf: „Wenn Richter zwischen Jos 24 und 1 Sam 1 fehlen würde, würden wir es vermissen?“ (Ernst Axel Knauf, Richter, Zürich 2016 (ZBK.AT 7), 10), eine Frage, die Heinz-Dieter Neef in seiner Monografie gleich zu Beginn – wie ein motivierendes Momentum – aufnimmt, mit dem Ziel, ihr klar zu widersprechen und zu zeigen, „dass in den ersten Kapiteln des Richterbuchs eine höchst differenzierte und gut durchdachte Theologie vorliegt“ (VII), die letztlich unter den drei zentralen Schlagworten verhandelt werden könne, die sich bereits im Titel des Werks finden: Geschichte, Schuld und Rettung. Eine ausführliche Hinführung zur Fragestellung der Studie leistet das Kap. § 1 unter der Überschrift „Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung“ (3–48). Hier entfaltet N. einen sehr ausführlichen Durchgang durch die Forschungsgeschichte zum Richterbuch, v. a. in den letzten ca. 30 Jahren (§ 1 1–3; 3–35), der die methodischen Ausrichtungen der besprochenen Werke und auch die verschiedenen inhaltlichen Fragestellungen deutlich werden lässt. Berücksichtigt sind dabei Richterbuchkommentare (in deutscher und englischer Sprache) sowie eine Auswahl einschlägiger Monografien. Darüber hinaus skizziert N. – in äußerst knappen Zügen – die „theologische Frage“ (§ 1 4; 36–39), die Septuaginta-Fassungen von Ri (§ 1 5; 40–42) und die Wirkungsgeschichte des Buchs (§ 1 6; 43–44), bevor er schließlich in § 1 7 (45–48) „Aufgabe und Methode“ seiner Studie näher definiert. Dabei setzt er sich das Ziel, einerseits die Entstehungsgeschichte (primär diejenige von Ri 1,1–3,30, letztlich aber auch die des gesamten Buchs) zu erhellen und andererseits das theol. Profil von Ri herauszuarbeiten. Mit Blick auf ersteres, die Literargeschichte, wird N. letztendlich für eine Zuordnung zum DtrG bzw. zu einer dtn. Redaktion plädieren, wobei er – mit einer recht pragmatischen Begründung (z. B. 194) – auf die Annahme mehrerer, aufeinander aufbauender Redaktionen verzichten will.  Das theol. Profil des Ri aber lasse sich – so N. – unter der Trias „Geschichte, Schuld und Rettung“ zusammenfassen, wobei die genaue inhaltliche Füllung dieser Begriffe in einer eingehenderen Analyse von Ri 1,1–3,30 zu erheben sei (46), die N. in den Kap.n § 2–§ 7 der Monografie unternimmt. Interessant ist hier die ungewöhnliche, aber an keiner Stelle näher begründete Abgrenzung des zu untersuchenden Textes, der den „eigentlichen“ Prolog des Richterbuchs in Ri 1,1–3,6 ebenso einschließt, wie die Othniel-Perikope in Ri 3,7–11 und die erste „eigentliche“ Richter-Erzählung (Ehud und Eglon) in Ri 3,12–30.  Theologische Revue 118 (Oktober 2022)  DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2022-4372 2  Entlang dieser Zielsetzung analysiert N. unter § 2–§ 7 die einzelnen Abschnitte von Ri 1,1–3,30, d. h. Ri 1,1–36 in § 2 (49–93) unter der Überschrift „Siege und Niederlagen“, Ri 2,1–5 in § 3 (94–111) unter der Überschrift „Das Versagen Israels“, Ri 2,6–10 in § 4 (112–128) unter der Überschrift „Josuazeit und Richterzeit“, Ri 2,11–3,6 in § 5 (129–160) unter der Überschrift „Der Rahmen der Richtererzählungen“, in § 6 (161–167) die Othniel-Perikope in Ri 3,7–11, sowie in § 7 (168–191) die Ehud/Eglon-Erzählung (Ri 3,12–20). Alle genannten Abschnitte werden dabei jeweils durch eine Übersetzung des Bibeltextes mit knappen textkritischen (sowie ggf. auch philologischen) Anmerkungen und einer forschungsgeschichtlichen Orientierung eröffnet, an die sich sodann spezifische, mit der konkreten Perikope verbundene Fragestellungen (Struktur, inhaltliche bzw. theol. Akzente und/oder Fragen der Textgenese) anschließen.  Ein Fazit bzw. eine Zusammenschau der Erträge des exegetischen Durchgangs durch Ri 1,1–3,30 bietet schließlich § 8 „Geschichte – Schuld – Rettung“ (192–201). Äußerst knapp und summarisch sind dabei die Kap. § 8 2 „Philologie“ (195–196), § 8 3 „Redaktion“ (197), § 8 4 „Überlieferung und Tradition“ (198) und § 8 5 „Komposition“ (199), wobei hier bemerkenswert ist, dass wesentliche intertextuelle Bezüge – unter dem Label „Vernetzungen“ – mit unter den sprachlichen Besonderheiten des Textes subsummiert sind und dabei lediglich in Listenform, also ohne jede inhaltliche Auswertung, dargeboten sind (196). Ausführlicher gehalten sind im Schlusskap. allein § 8 1 „Gliederung und Forschung“ (192–194), wo N. seine Thesen zum historischen Gehalt und zur Entstehungsgeschichte auf den Punkt bringt und v. a. § 8 6 „Theologie: Geschichte, Schuld und Rettung“ (200–201), auf das unten noch genauer einzugehen ist.  Zuvor aber sei – mit Blick auf die Monografie als Ganze – festgehalten, dass sich v. a. in den Kap.n § 2–§ 7 eine Fülle von interessanten exegetischen Beobachtungen zu Ri 1,1–3,30 finden, die bisweilen durchaus zu Diskussion und Widerspruch anregen können (leider ist es im engen Rahmen einer Rez. nicht möglich, dies näher zu entfalten). V. a. aber machen sie die Studie von N. zu einem Werk, das allen, die sich vertieft mit Ri 1,1–3,30 beschäftigen wollen, unbedingt zu Lektüre und Auseinandersetzung zu empfehlen ist. Abschließend aber möchte ich (kritisch) auf die bereits im Titel der Studie präsente Trias der Begriffe „Geschichte, Schuld und Rettung“ eingehen, die N. im Schlusskap. seiner Studie als „drei grundlegende Aussagen“ (200) profiliert, unter denen sich die gesamte Botschaft von Ri 1,1–3,30 (bzw. die des gesamten Ri) zusammenfassen lasse. Insgesamt aber bleibt dabei das erste Schlagwort, „Geschichte“, recht unscharf. So verbindet N. im Rahmen der Zusammenschau von § 8 6 (200) mit „Geschichte“ im Wesentlichen Orts-, Personen-, Stammes- oder Götternamen und hält dazu fest: „Die in 1,1–3,30 genannten Namen, die geographischen, topographischen und religionsgeschichtlichen Begriffe sagen natürlich über den tatsächlichen Verlauf der Geschichte sehr wenig aus, aber sie zeigen zumindest an, welchen Raum und welche Zeit der Verfasser bzw. Redaktor vor sich hat.“ (200) Ist „Geschichte“ also ausschließlich eine vage „Genre-Zuschreibung“ („Geschichtliches“) – oder ist auch der Aspekt einer theol. Geschichtsdeutung mit eingeschlossen (so in § 8 1; 193)? Dieser jedoch ist auch über die beiden nachfolgenden Schlagworte „Schuld“ und „Rettung“ im Blick, sodass sich in diesem Fall der „Eigenwert“ von „Geschichte“ (gegenüber „Schuld“ und „Rettung“) deutlich nivelliert. „Schuld“ und „Rettung“ lenken – wie bereits angedeutet – das Augenmerk primär auf die inhaltlich-theol. Schwerpunktsetzung von Ri 1,1–3,30 (bzw. des gesamten Ri-Buchs): N. skizziert – mit Fokus auf Ri 2,1–10.11–13.20–22 (Schuld und Schuldaufweis) bzw. auf dem „Richterschema“ in Ri 2,14–19 – ein klares Schema, das bei Israels Schuld (benannt z. B. in Ri 2,2 und ausführlich beschrieben in Ri 2,11–Theologische Revue 118 (Oktober 2022)  DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2022-4372 3  13) ansetzt und in die Rettung Israels durch die von Gott eingesetzten Richter einmündet. Zentral ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch die Perikope Ri 10,6–16, über die die Umkehr Israels als ein zwischen „Schuld“ und „Rettung“ vermittelndes, in Ri 1–3 aber nicht (eindeutig) belegtes Momentum einzuspielen ist (dazu 156–159; 201–202). Letztlich profiliert N. also die Abfolge von Schuld – Umkehr – Rettung als zentrales geschichtstheologisches Konzept des Ri-Buchs, wobei er die zentrale Pragmatik der Erzählung darin erkennt, dass „der Deuteronomist zeigen [möchte], dass Israel durch die Not hindurch zur Erkenntnis der Schuld kommt“ (201). Damit ist jedoch weit über den eigentlichen „Prolog“ in Ri 1–3 ausgegriffen, wobei Ri 10,6–16, ein Text, der in der Monografie gar nicht eingehender untersucht wird, als eigentlicher theol. Zielpunkt des Buches erscheint. In Ri 1–3 (und speziell in Ri 2,14–19.20–21) jedoch liegt m. E. der Fokus v. a. auf einem sehr vielfältigen und zunächst widersprüchlich oder spannungsvoll erscheinenden Reagieren Gottes auf Israels unbeirrbar fortgesetzte bzw. immer tiefgehender betriebene Abkehr (Ri 2,17.19); auf einem Reagieren, das mehr ist als allein „Rettung“. Vielmehr beschreibt Ri 2,14–19.20–21 ein Gegen- und Ineinander von Zorn und Strafe einerseits und („unverdientem“) Erbarmen (bzw. einer Treue Gottes trotz bleibender Untreue Israels) und Rettung andererseits. Kurzum: Ri 2 zeichnet eine vergleichsweise komplexe Dynamik nach, die sich in dem Schema von „Schuld“ (,Umkehr) und „Rettung“ nicht zur Gänze abbildet. Anzufragen ist somit, ob die von N. vorgegebene Trias tatsächlich vermag, die zentralen theol. Vorstellungen von Ri 1–3 präzise und umfassend auf den Punkt zu bringen. Dass diese Frage berechtigt ist, zeigt nicht zuletzt auch ein spannendes theol. Konzept, das N. überzeugend als für Ri 1–3 wesentlich herausarbeiten kann und das ebenfalls nicht in der Trias aufscheint: Gemeint ist die Vorstellung einer direkten göttlichen Vergeltung im Sinne einer „Spiegelstrafe“, die N. – begrifflich unscharf – unter dem Label „TEZ“ führt. Belegt ist diese einmal in der Rede des Adoni-Besek in Ri 1,7 als zentrales Theologumenon letztlich für das gesamte Kap. Ri 1 (66; 83–84) sowie im Zusammenhang mit dem göttlichen Zorn über Israel in Ri 2,14–15 (139). So bestimmt sie entscheidend die Geschichtstheologie in Ri 1–3 – wie gesagt, ohne in N.s Trias von „Geschichte, Schuld und Rettung“ eingeschlossen zu sein.    Über den Autor:  Matthias Ederer, Dr., Professor für Exegese des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern (matthias.ederer@unilu.ch)   

Neef, Heinz-Dieter: Geschichte, Schuld und Rettung. Studien zur Redaktion, Komposition und Theologie von Ri 1,1–3,30

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Neef, Heinz-Dieter: Geschichte, Schuld und Rettung. Studien zur Redaktion, Komposition und Theologie von Ri 1,1–3,30

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