In Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft besteht weitgehend Konsens über die Notwendigkeit, unser kollektives Handeln zeitnah und konsequent auf den Schutz und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen auszurichten. Wie kann eine Transformation im Sinne des Europäischen Green Deal erreicht werden und wie können technologische Lösungen dazu beitragen

Präg, Elke

Wolperdinger, Markus

Ökologisches Wirtschaften (E-Journal)

 M it Verabschiedung des European Green Deal (EGD) im Dezem-ber 2019 haben sich die Mitgliedsstaa-ten der Europäischen Union das Ziel gesetzt, dem Klimawandel konsequent entgegenzutreten (Europäische Kom-mission 2019). Angestrebt ist unter an-derem die vollständige Vermeidung von Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 unter der Voraussetzung, dass gleichzeitig alle Menschen von diesen Veränderungen profitieren. Der Fokus liegt dabei nicht nur in der Reduzierung von Kohlenstoffdioxid (CO2), Schwefelhe-xafluorid (SF6) oder anderen klimaschäd-lichen Gasen, sondern auch in der Eta-blierung einer kreislauforientierten Pro-duktion. Eine essenzielle Vorgabe des Europäischen Green Deals ist die umfas-sende und langfristige Nutzung der ver-fügbaren Ressourcen sowie den Kohlen-stoffkreislauf zu schließen, zugunsten sowohl der Wirtschaftlichkeit als auch der Gesundheit und Zukunft aller Men-schen.Leitbild European Green DealDem Leitbild des EGD folgend, wird in den Staaten Europas mit zunehmen-der Aktivität an innovativen Lösungen für die Herausforderungen des Klima-wandels geforscht und neue Konzepte in die industrielle Realität übertragen. Innerhalb der Unternehmen schärfen Expert/innen der Nachhaltigkeit das Bewusstsein im Management und bei den Mitarbeitenden und motivieren zur Transformation der Produktion im Sinne einer energie- und rohstoffeffizi-enten Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig wird auf politischer Ebene die Förderung von Projekten mit Bezug zu einer nach-haltigen Nutzung biogener Ressourcen sowie der Aufbereitung und Mehrfach-nutzung von Rohstoffen aus Abfall, Rest-stoffen, Abwasser und Abluft verstärkt. Dies geht einher mit einem zunehmen-den Bewusstsein darüber, dass technolo-gische Erneuerung im Einklang stehen muss, nicht nur mit ökonomischen, son-dern auch mit ökologischen und sozia-len Bedürfnissen der Menschen.Grundsätzliches Umdenken notwendigBasis des politischen Handelns in Deutschland sind insbesondere die vom Bund und von mehreren Ländern defi-nierten Nachhaltigkeits-, Innovations- oder Bioökonomiestrategien und die dort festgelegten Ziele, wie beispielsweise die der Landesstrategie Nachhaltige Bioöko-nomie des Landes Baden-Württemberg (2019). Neben einer ressourcenschonen-den Kreislaufwirtschaft zugunsten des Klimas und der Biodiversität eint alle Strategien das Streben nach einer ver-stärkten Nutzung biologischen Wissens für die Lösung der anstehenden Aufga-ben. Für Industrie und Forschung bedeu-ten die politischen Vorgaben die Notwen-digkeit eines grundsätzlichen Umden-kens und fundamentale Umstellungen von oft seit langer Zeit etablierten Pro-duktionsabläufen. Diese Veränderungen verlangen von allen Beteiligten ein ho-hes Investment sowohl an finanziellen Mitteln als auch an Innovationskraft, um weiterhin im weltweiten Wettbewerb be-stehen zu können. Nicht selten müssen auf dem Weg der „biologischen Transfor-mation“ hin zu einem zunehmend bio-ökomisch ausgerichteten Wirtschafts-system und zu einer nachhaltigen Kreis-laufwirtschaft völlig neue Prozesswege entwickelt und umgesetzt werden. Ein wesentlicher Aspekt ist die Veränderung der Rohstoffbasis, fort von rein fossil-ba-sierten und nur einmal genutzten, hin zu biogenen, regenerierten und im Kreis-lauf geführten Rohstoffen.Dieser neue Rohstoffmix hat andere Eigenschaften als etablierte Rohstoffe und erfordert daher eine andere Art der Vorbehandlung und Verarbeitung als bisher verwendete fossile Rohstoffe. Dass sich der Aufwand einer Umstel-lung lohnt, zeigt sich zunehmend daran, dass immer mehr Verbraucher nachhal-tig hergestellte und umweltschonende Produkte fordern. Der dadurch entste-hende market-pull wird erheblich zu ei-ner Beschleunigung der Restrukturie-rung hin zu einer zunehmend bioöko-nomisch und nachhaltig ausgerichteten Wirtschaftsform beitragen. Bei dieser Transformation leisten außeruniversi-täre Forschungseinrichtungen mit ihrer anwendungsorientierten Forschungs-agenda, signifikante Beiträge. Beispiels-weise setzt sich das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrens-technik IGB mit unterschiedlichen Ge-schäftsfeldern dafür ein, konkret um-setzbare Lösungen für die industrielle Anwendung zu entwickeln.Im Forschungsbereich Gesundheit des IGB werden unter anderem Präzisi-onswerkzeuge zur Heilung von Krank-heiten entwickelt. Beispielsweise wer-den Viren neu „programmiert“, um, statt dem Menschen zu schaden, aktiv an der Bekämpfung von Krankheiten mitzu-wirken (Stichwort Virus-basierte Thera-pien). Das neue Konzept „Kläranlage als Wissenschaft, Wirtschaft und Politik unter einem HutDer European Green Deal und seine PerspektivenIn Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft besteht weit-gehend Konsens über die Notwendigkeit, unser kollektives  Handeln zeitnah und konsequent auf den Schutz und den Erhalt unserer  Lebensgrundlagen auszurichten. Wie kann eine Transformation im Sinne des Europäischen Green Deal erreicht werden und wie können technologische Lösungen dazu beitragen?Von Elke Präg und Markus Wolperdinger8 ÖkologischesWirtschaften   2.2022 (37)AktUELLE BErichtEDOI 10.14512/OEW370208ÖkologischesWirtschaften 2.2022 (37)  |  DOI 10.14512/OEW370208© 2022 E. Präg, M. Wolperdinger; licensee IÖW and oekom verlag. This is an article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution Non-Commercial No Derivates License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de), which permits copying and redistributing the material in any medium or format, provided the original work is properly cited, it is not used for commercial purposes and it is not remixed, transformed or built upon. The access to the digital version of this article is reserved to subscribers of ÖkologischesWirtschaften until one year after the date of pub-lication; after one year it is available to all readers.Bioraffinerie“ dient dazu, aus den Stoff-strömen der Abfallbehandlung nicht nur wichtige Rohstoffe zurückzugewinnen, sondern auch Nahrungs- und Futtermit-tel zu erzeugen. Basierend auf neuen Prozesswegen zur Verarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen, biogenen Reststoffen und Kohlenstoffdioxid wer-den unter anderem die Herstellung von Biopolymeren, biobasierten Chemika-lien und Materialien erforscht. Diese be-sitzen oft nicht nur vergleichbare Eigen-schaften wie konventionelle, auf Erdöl basierte Produkte, sondern können die-sen in ihrer Funktionalität überlegen sein. Geschäftsfeldübergreifend finden beispielsweise Sensoren aus der Medi-zintechnik Verwendung bei der Mes-sung von Substanzen in Abwässern oder das aus der Umwelt entnommene CO2 dient als Kohlenstoffquelle für wichtige Basischemikalien.Aus den vielfältigen Projekten, Inter-aktionen und Gremientätigkeiten des IGB zeigt sich deutlich, dass ein grund-sätzliches Umdenken in der Indust-rie und in der Gesellschaft im Sinne des Klimaschutzes sowie eine ernstge-meinte Bereitschaft zur Transformation unserer Gesellschaft eine Grundvoraus-setzung für das Gelingen des EGD ist. Das Verständnis einer nachhaltigen Pro-duktion muss in allen sozialen Gruppen selbstverständlich werden und die Rele-vanz eines Produktes darf sich nicht, wie bislang, durch seinen monetären Wert definieren. Vielmehr sollte der gesamt-gesellschaftliche Wert, bemessen durch die Dimensionen seiner Nachhaltigkeit, stärker im Vordergrund stehen. Mutige Schritte der Wirtschaft sind unumgäng-lich, um von der derzeit noch weitge-hend linearen zu einer zirkulären Pro-duktion zu gelangen. Nur so können be-grenzte Ressourcen bestmöglich genutzt und gleichzeitig unsere Umwelt erhal-ten werden.Große chancen durch BioökonomieDiese Ziele sind erreichbar, wenn eine gut ausgebaute Forschungsland-schaft das Fundament legt. Die Entwick-lung und Nutzung unseres Wissens über Materialien, Strukturen und Prinzipien der lebendigen Natur führt heute und in Zukunft zu einer breiten Palette neuer industrieller Anwendungen. Die Wirt-schaft kann ihre Transformation zu einer nachhaltigen Bioökonomie mit den Er-kenntnissen der Forschung vorantreiben und zum Wohl von Mensch und Um-welt anwenden. Der dazu erforderlichen Translation der Forschungsergebnisse in die industrielle Praxis kommt dabei eine essenzielle Rolle zu. Dieser Aspekt sollte konzentriert, in Zusammenarbeit des Bundes und der Bundesländer in Deutschland und im Kontext der Euro-päischen Union angegangen werden.Um den EGD im vorgesehenen Zeit-rahmen umzusetzen, sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Die Heraus -  forderungen sind riesig, die Ziele des EGD ambitioniert. Gleichermaßen erge-ben sich durch die Bioökonomie groß-artige Chancen, mit  außergewöhnlichen Innovationen die Transformation der Wirtschaft und der Gesellschaft zu voll-ziehen zum Wohle der heutigen wie auch zukünftiger Generationen.LiteraturEuropäische Kommission (2019): The European Green Deal. www.ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_deMinisterium für Umwelt, Klima und Energiewirt-schaft Baden-Württemberg, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (Hrsg.) (2019): Landes-strategie Nachhaltige Bioökonomie Baden-Württemberg. www.biooekonomie.baden-wuerttemberg.deAUtOr/iNNEN + kONtAktDr. Elke Präg ist wissenschaftliche Referentin der Institutsleitung und Dr. Markus  Wolperdinger ist Institutsleiter des Fraunhofer IGB und  stellvertretender Vorsitzender des Bioökonomie-rates der Bundesregierung.Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und  Bioverfahrenstechnik IGB, Nobelstraße 12,   70569 Stuttgart. Tel.: +49 711 970-4410,   E-Mail: elke.praeg@igb.fraunhofer.de,   markus.wolperdinger@igb.fraunhofer.de,   Internet: www.igb.fraunhofer.deNachhaltigkeitA–ZBestellbar im Buchhandel und unter www.oekom.de. Auch als E-Book erhältlich.D i e  g u t e n  S e i t e n  d e r  Z u k u n f tJ wie JournalismusAuch wenn die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor dem Klimawandel warnt – die Medien ver-halten sich seltsam passiv. Wie kann das sein? Die Klimakrise geht uns alle an. 28 namhafte Autor*innen erklären, warum der Klimawan-del eine journalistische Herausforderung ist, und weisen Wege aus dem Kommunikations-dilemma.KLIMA° vor acht e.V. (Hrsg.)Medien in der Klima-Krise272 Seiten, Broschur, 19 EuroISBN 978-3-96238-385-59ÖkologischesWirtschaften   2.2022 (37)AktUELLE BErichtE

Der European Green Deal und seine Perspektiven

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