Schatzschneider, Isabel

German

Open Access-Zeitschriften an der WWU Münster (Westfälische Wilhelms-Universität)

THEOLOGISCHE REVUE  118. Jahrgang – Oktober 2022 –    Maaroufi, Asmaa el: Ethik des Mitseins. Grundlinien einer islamisch-theologischen Tierethik. – Freiburg: Alber 2021. 236 S. (Horizonte islamischer Religionsphilosophie, 4), geb. € 49,00 ISBN: 978-3-495-49227-7  El Maaroufi beabsichtigt mit ihrer Diss., Grundlagen einer islam.-theol. Tierethik zu entwickeln. Um dieses Ziel zu erreichen, verbindet sie koranische Prinzipien und Narrationen mit einem phänomenologisch-hermeneutischen Ansatz (22). Das Tier1 wird in die Begegnung des Menschen im Mitsein einbezogen und lässt so das ethische Bewusstsein des Menschen erwachen (205). Anhand multiperspektivischer Narrationen aus dem Koran zeigt die Vf.in, dass aus der „Begegnung mit dem Menschen schöpfungstheologische Implikationen“ abgeleitet werden können, die „theologisch-(tier-)ethische Wegmarken bestimmen lassen“ (207).  Um diese These zu begründen, geht die Vf.in im zweiten Kap. „Zur Grundperspektivierung der islamischen Ethik“ auf allgemeine Prinzipien der islam. Ethik ein. Als zentrale Tugenden ethischen Handelns stehen Charakteristiken wie Güte, Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Der Mensch, so führt M. aus, ist von Natur aus ein ethisches Wesen (44–52). Der Mensch hat durch den Schöpfungsprozess göttliche Eigenschaften eingehaucht bekommen, ist so zu einem moralischen Wesen erschaffen worden und unterscheidet sich damit von allen anderen Wesen (52f). Der Mensch nimmt daher die Sonderstellung eines ḫalifa (Nachfolger, Statthalter, Stellvertreter oder auch Beauftragter) ein, die in der Verantwortung (amāna) über alle Lebewesen begründet wird (64f). Im dritten Kap. „Das Tier als ein ethisches Moment“ stellt M. ethische und philos. Konzepte zum Tier von der Antike über die islam. Epoche bis in die Moderne dar. Der philos. als auch theol. Diskurs über Tiere (inbegriffen die islam. Geisteswissenschaft) war geprägt durch Mensch-Tier-Vergleiche (76). In der Antike, so stellt es die Vf.in dar, wurde die Unterscheidung von Mensch und Tier anhand eines stark differentialistischen Ansatzes betrachtet (Top-Down-Verfahren), wohingegen Skeptiker mittels eines assimilationistischen Ansatzes (Bottom-up-Ansatz) die Verwandtschaft von Mensch und Tier begründeten (93). Solche philos. Ansätze hätten die islam. Geisteswissenschaft geprägt und die koranische Sichtweise, laut der Vf.in, getrübt (107).  Die islam. Geisteswissenschaft beschäftig(t)e sich aufgrund der zahlreichen Erwähnungen des Tieres in den Primärquellen (Koran und Aḥadīṯ/Überlieferungen Moḥammad’s) in theol., rechtlichen, literarischen, zoologischen und philos. Texten mit dem Wesen und den Rechten von nicht- 1 El Maaroufi zweifelt an, dass es einen Begriff für das Tier im Koran gibt. Der arabische Begriff für Tier ḥayawān bezieht sich theologisch auf das Kollektiv Lebewesen und schließt damit auch den Menschen mit ein (95f). Auch bei dem Begriff dābba existieren Meinungsverschiedenheiten, ob dieser sich lediglich auf Herdentiere bezieht oder ob alle Tiere sowie Engel und Dschinnen gemeint sind (102f). Theologische Revue 118 (Oktober 2022)                                             DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2022-4383 2  menschlichen Lebewesen. In der theol.-islam. Literatur werden Tiere als Zeichen und Wunder der Schöpfung gedeutet. Islam. Theolog:innen nehmen die Natur und alle Lebewesen als weitere Offenbarung neben dem Koran wahr (118). Tiere werden als soziale Wesen, die über ein Bewusstsein verfügen und Glück und Schmerz empfinden können, betrachtet. Des Weiteren fokussiert sich M. auf koranische Narrationen. Anhand von Erzählungen, etwa des Propheten Sulaymān (Salomo) und seinen Fähigkeiten, mit einer Ameise und einem Wiedehopf zu kommunizieren, zeigt sie auf, wie Tiere mit eigenen Perspektiven erscheinen. Solche Erzählungen lassen Tiere in „die Wirklichkeit des Menschen einbrechen und befreit sie so aus ihrer Reduzierung auf ein bloß funktionelles Etwas“ (107). Die kritische Betrachtung der Subjekt-Objekt-Dichotomie hin zu einer Betrachtung des Tieres im Mitsein widmet sich die Vf.in verstärkt in dem vierten Kap. „Zur Ethik des Mitsein“. Durch hermeneutisch-phänomenologische Ansätze geprägt von Martin Heidegger, Jaques Derrida, Martin Buber und Emmanuel Lévinas analysiert M. das Mensch-Tier-Verhältnis als ein Mit-anderen-sein. Die Seinsart des Menschen befindet sich konstant in Beziehung zu anderen und kann folglich nicht isoliert betrachtet werden. Das In-der-Welt-sein menschlichen Daseins ist folglich immer Mitsein (175). Das Mitsein, da wo der Mensch dem Anderen begegnet, wird von M. als der Anfang der Moral betrachtet und bildet daher den wesentlichen Grundstein der Ethik (183). Auch in den islam.-theol. Quellen wird das Dasein des Menschen als Seinsart des Mit-einander-seins betrachtet. Der Mensch ist fortwährend auf alle Mitgeschöpfe und insbes. auf Gott bezogen (184). Durch die Begegnungen mit dem Tier wird das Ethische zum Vorschein gebracht. Die Monografie von M. leistet einen wertvollen Beitrag zu dem bereits existierenden Forschungsstand der Animal Studies (AS), phänomenologischen Forschungen sowie zu den historischen und gegenwärtigen Entwicklungen einer Tierethik im Islam. Das Thema Tierethik im Islam beleuchtet sie von einem bislang wenig erforschten Blickwinkel der Ethik des Mitseins. Die Vf.in wählt einen multiperspektivischen Ansatz. M. bezieht sich sowohl auf islam.-theol. Argumente als auch auf islamwissenschaftliche und interreligiös-komparative Zugänge. Es finden philos.-anthropologische und mystische Ansichten Berücksichtigung (24). Mithilfe dieser Ansätze verfolgt die Vf.in „die koranischen Narrationen in ihrer genauen Konkretheit phänomenologisch erlebbar“ (24) zu machen. Gerade die Kombination aus diesen verschiedenen Ansätzen lässt das Tier als Subjekt erscheinen und ermöglicht es den Koran aus der Perspektive der Tiere zu lesen.  Weiterhin sind moderne islamwissenschaftliche und islam.-theol. Literatur zur rechtlichen wie moralischen Stellung von Tieren hauptsächlich in englischsprachiger Literatur verfasst. Die Diss. von M. stellt die erste Monografie in deutscher Sprache zu dem Themengebiet Tiere im Islam dar. Darüber hinaus ist ihr Werk die erste holistische Arbeit zu Tieren und Ethik im Islam.  Das Ziel von M. war es nicht ein abschließendes Werk zur Tierethik im Islam darzulegen. Sie erarbeitete vielmehr Grundlinien einer islam.-theol. Tierethik im Bezugnahme des Korans. Das Ethische sollte so in den Begegnungen zwischen Mensch und Tier zum Vorschein kommen (206). Für weitere wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet Tiere und islam. Ethik ist es notwendig konkrete ethische Imperative für Tiere zu erarbeiten und praxisorientierte Ansätze zu entwickeln. Hierbei ist es nicht nur notwendig Tiere in die islam. Ethik miteinzubeziehen, sondern auch rechtliche Normative weiter auszuarbeiten. Schließlich ist das Werk von M. nicht nur eine gewinnbringende wissenschaftliche Erörterung zu philos. und islam.-theol. Ansichten zu Tieren; es lässt ferner den:die Leser:in innehalten, über das Mitsein mit anderen Lebewesen zu reflektieren.  Theologische Revue 118 (Oktober 2022)                                             DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2022-4383 3  Über die Autorin:  Isabel Schatzschneider, MA, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Nachwuchsforschergruppe "Norm, Normativität und Normenwandel" des Departments Islamisch-Religiöse Studien der Universität Erlangen-Nürnberg (isabel.schatzschneider@fau.de)   

Maaroufi, Asmaa el: Ethik des Mitseins. Grundlinien einer islamisch-theologischen Tierethik

https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/thrv/article/download/4383/4508

Maaroufi, Asmaa el: Ethik des Mitseins. Grundlinien einer islamisch-theologischen Tierethik

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