Einsatz immersiver virtueller Realitäten präsentiert über ein Head-mounted Display in der neurologischen Rehabilitation

Abstract

Der Einsatz von virtueller Realität (VR) in der psychologischen Forschung, der Psychotherapie und in der Neuropsychologie ist nichts Neues. Allerdings hat sich in den letzten Jahren durch die Entwicklung und stetige Verbesserung von Head-mounted Displays (HMD) eine völlig neue Darbietungsweise von virtuellen Inhalten aufgetan. Durch die hohe Immersion wurde eine bis dato nicht für möglich gehaltene Erlebnisqualität von virtueller Realität ermöglicht. Im Gegensatz zu anderen psychologischen Disziplinen fand der Einsatz von Head-mounted-Displays in der Neuropsychologie bisher noch wenig Beachtung. Anders als wenn virtuelle Realität auf einem PC-Bildschirm oder Fernseher dargestellt wird, versetzt ein Head-mounted Display den Benutzer viel direkter und unabdingbarer in die künstlich geschaffene Umwelt. Der englische Dichter und Philosoph Samuel Taylor Coleridge bezeichnete 1817 die Fähigkeit und Bereitschaft des sich Einlassens auf ein fiktives (literarisches) Werk als „willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“ (Coleridge, 2009). Auch bei Filmen oder Computerspielen willigt der Zuschauer oder Spieler ein, sich auf die Illusion einzulassen. Die Schwelle zur „willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit“ wird durch den hohen Grad an Immersion und Präsenz, der durch HMDs erzeugt wird, sowie die völlige Ausblendung der realen Umwelt noch einmal deutlich reduziert. Neuropsychologische Störungsbilder können Denkvermögen, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprachvermögen, Motorik, Persönlichkeit, Verhalten und visuelle Wahrnehmung beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund ist es entsprechend von hoher Bedeutung, zunächst die Technik der VR und HMDs genau zu beleuchten, um den Patienten durch deren Anwendung keinen Schaden zuzufügen, und gleichzeitig das enorme therapeutische Potenzial dieser Geräte darzustellen. Die vorliegende Arbeit schafft zunächst einen Überblick über das breitgefächerte Gebiet der VR und die Technik der HMDs sowie deren Einsatz. Die technischen Aspekte der Darstellung von virtuellen Inhalten werden aufgezeigt und bio-psychologischen Gesichtspunkten gegenübergestellt. Als Ausgangsebene der Recherche wird speziell die therapeutische Nutzung von HMDs bei Menschen mit neuropsychologischen Störungsbildern herangezogen und mögliche Fallstricke und Nebenwirkungen eruiert. Ebenso wird anhand aktueller Beispiele das Spektrum des Einsatzgebietes von virtueller Realität präsentiert auf HMDs aufgezeigt. Die zwei anschließenden Studien untersuchen den Einsatz von HMDs an neurologischen Patienten. In der ersten Studie wurden grundlegende Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Verträglichkeit von VR präsentiert über ein HMD bei neurologischen Patienten gewonnen. Bei 20 Patienten zwischen 30 und 85 Jahren mit den Krankheitsbildern Hirninfarkt, Hirnblutung, Critical-Illness-Polyneuropathie und Schädel-Hirn-Trauma wurden die physiologischen Parameter Hautleitwert und Pulsfrequenz erhoben sowie das emotionale und das körperliche Wohlbefinden und die Akzeptanz des Verfahrens abgefragt. Es wurde eine virtuelle Entspannungstherapie mit einer akustische Phantasiereise und der Kontrollbedingung „Mandala ausmalen“ verglichen. Eine maßgebliche Erkenntnis war, dass durch die Umsetzung der vorangegangenen theoretischen Überlegungen dieser Arbeit keinerlei Nebenwirkungen bei den Patienten zu beobachten waren, welche durch die HMDs ausgelöst wurden. Ebenso zeigte sich eine hohe Akzeptanz des Virtual-Reality-Verfahrens durch die teilnehmenden Patienten. Bei den objektiven Parametern konnte kein signifikanter Effekt nachgewiesen werden. Es zeigte sich dagegen ein positiv empfundenes Arousal, welches die Patienten subjektiv als angenehm und entspannend interpretierten. Die zweite Studie untersuchte, ob die Anwendung von VR präsentiert über ein HMD bei 28 Patienten mit linksseitigem visuellem Neglect als Add-on einer konventionellen Neglect-Therapie überlegen ist. Die eingesetzte Technologie löste bei den Neglect-Patienten keine Nebenwirkungen aus. Therapeutisch zeigte sich ein unmittelbarer Effekt nach der ersten VR-Anwendung bei einer Linienhalbierungsaufgabe und einem Zahlendurchstreichtest. Dieser Effekt verschwand jedoch zwei bis drei Tage nach der ersten Anwendung wieder vollständig. Die Hälfte der Patienten nahm dreimal innerhalb einer Woche an der VR-Therapie teil. Bei ihnen konnte ein signifikanter Effekt auch zwei bis drei Tage nach der dritten VR-Anwendung nachgewiesen werden. Die Patienten verbesserten sich signifikant in der Linienhalbierungsaufgabe, im Zahlendurchstreichtest und in den Saarbrücker Lesetexten. Die gefundenen Ergebnisse beider Studien ermutigen zu weiterer Forschung über den Einsatz von virtueller Realität präsentiert über Head-mounted Displays zur Unterstützung und Erweiterung der Therapie bei neuropsychologischen Störungsbildern

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