Geyer, Susanne

Hartinger, Andreas

German

OPUS Augsburg

   Überzeugungen von Grundschullehrpersonen zum Schriftspracherwerb - Ergebnisse der Pilotierung eines Fragebogens                            susanne.geyer@uni-a.de    9. GEBF-Tagung „Alles auf Anfang? Bildung im digitalen Wandel“, 9. bis 11. März 2022 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg & Leibniz-Institut für Bildungsverläufe  Dr. Susanne Geyer & Prof. Dr. Andreas Hartinger Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und –didaktik Zusammenfassung und Ausblick Vorläufige Ergebnisse Berufsbezogene Überzeugungen von Lehrkräften • lassen sich als “affektiv geprägte Vorstellungen von Lehrpersonen” beschreiben, “die sich auf das Handlungsfeld Unterricht be-ziehen und für wahr oder wertvoll gehalten werden“ (Reusser & Pauli 2014; S. 642 f.).  • adressieren unabhängig vom Inhalt, auf den sie sich beziehen, primär dessen Wahrheitsgehalt (Merk 2020). • haben einen anderen “epistemologischen Status”  als Wissen (Baumert & Kunter 2006, S. 496) (vgl. Abb. 1). • können maßgeblich die Wahrnehmung und Inter-pretation von Unterricht beeinflussen (z.B. Schmidt & Schindler 2020; Blömeke & Olsen 2019). • wirken sich, moderiert über die Unterrichtsgestal-tung, auch auf den Lernerfolg und die Motivation von Schüler*innen aus (vgl. zusammenfassend für andere Domänen z.B. Kunter et al. 2020). • beziehen sich auf unterschiedliche Dimensionen (vgl. Abb. 2) und können fachunabhängig, fachspezifisch und/oder inhaltsspezifisch ausgestaltet sein (Ziepprecht et al. 2019).   Überzeugungen zum Lerngegenstand „Schriftspracherwerb“  • hoher Stellenwert der Rechtschreibung (Kunze 2004), der Textproduktion (Tressel 2018) und der Handschrift (STEP 2019) bei Primarstufenlehrkräften  (kontroverse) Überzeugungen zu Unterrichtszielen in der Grundschule • RS-Sicherheit als vorrangiges Ziel (May 2001), aber auch: Bedürfnis nach richtiger Schreibung entwickelt sich „von selbst“ (Tressel 2018) • „Wissen, was einen guten Text ausmacht“ als Ziel für Ende 4. Klasse (Tressel 2018) Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Anfangsunterricht der Grundschule • zweiphasige didaktische Modellierung: zuerst lauttreues Schreiben, dann ortho-graphisch korrektes Schreiben (Sauerborn 2016, Wiprächtiger-Geppert et al. 2022)  • hohe Bedeutung des Freien Schreibens (Tressel 2018)  • eher Zustimmung für fehlertoleranten Umgang mit eigenen Schreibversuchen als für transmissives Lehr-Lernverständnis (Tressel 2018; Poloczek et al. 2011)   • Schreibmotivation als wichtiger Faktor (Tressel 2018; Sauerborn 2016; May 2001)  • Korrekturen an Kindertexten sind demotivierend. (Sauerborn 2016) • Orthographie kann man durch „Regeln“ und „Üben“ lernen (Wiprächtiger-Geppert et al. 2022), Ablehnen des Einprägens von Wortbildern (Hofmann 2008)  Selbstwirksamkeitserwartungen in Bezug auf den eigenen Schreibunterricht  • positiv mit Blick auf Ideenfindung, Norm (Orthographie, Grammatik) und Steue-rung des Schreibprozesses bei Schüler*innen (Sturm et al. 2016) Überzeugungen als bedeutsamer Aspekt der Lehrerprofessionalität Überzeugungen im Schriftspracherwerb Literatur: Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9, 469-520.  Blömeke, S. & Olsen, R. V. (2019). Consistency of results regarding teacher effects across subjects, school levels, outcomes and countries. Teaching and Teacher Education, 77, 170-182. Hofmann, N. (2008). Unterrichtsexpertise und Rechtschreibleistungen. Eine empirische Untersuchung in Heidelberger Grundschulen. Zugriff am 16.02.2022 https://opus.ph-heidelberg.de/frontdoor/deliver/index/docId/23/file/Unterrichtsexpertise_und_Rechtschreibleistung.pdf Kleickmann, T. (2008). Zusammenhänge fachspezifischer Vorstellungen von Grundschullehrkräften zum Lehren und Lernen mit Fortschritten von Schülerinnen und Schülern im konzeptuellen natur-wissenschaftlichen Verständnis. Zugriff am 16.02.2022 https://d-nb.info/992474906/34 Kunter, M., Pohlmann, B., & Decker, A. (2020). Lehrkräfte. In E. Wild, & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (3. Aufl., S. 269–288). Heidelberg: Springer. Kunze, I. (2004). Konzepte von Deutschunterricht. Eine Studie zu individuellen didaktischen Theorien von Lehrerinnen und Lehrern. Wiesbaden: VS. May, P. (2001). Lernförderlicher Unterricht. Untersuchung zur Wirksamkeit von Unterricht und Förderunterricht für den schriftsprachlichen Lernerfolg. Frankfurt a. M.: Lang. Merk S. (2020). Überzeugungen. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 825-832). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Poloczek, S.; Greb, K. Faust, G. & Lipowsky, F. (2011). Lehrerfragebogen. In K. Greb, S. Poloczek, F. Lipowsky & G. Faust (Hrsg.), Dokumentation der Erhebungsinstrumente des Projekts „Persönlichkeits– und Lernentwicklung von Grundschulkindern“. 1. Perle-Instrumente: Schüler, Lehrer und Eltern (Messzeitpunkt 1) (Bd. 2, S.71-121). Frankfurt: GFPF. Reusser, K. & Pauli, C. (2014). Berufsbezogene Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern. In E. Terhardt et al. (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 642-661). Münster, New York: Waxmann. Sauerborn, H. (2016). Darf ich denn Kindertexte in der ersten Klasse verbessern? Zur Unsicherheit von Lehrkräften, Orthographie von Anfang an beim Schreiben zu berücksichtigen. Zugriff am 15.10.2021 https://www.forumlecture.ch/sysModules/obxLeseforum/Artikel/593/2016_3_Sauerborn.pdf Schmidt, F. & Schindler, K. (2020). Wissen und Überzeugungen von Deutschlehrkräften. Aktuelle Befunde in der deutschdidaktischen Professionsforschung. Berlin: Peter Lang Verlag. STEP (2019). Studie über die Entwicklung,Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben. Zugriff am 16.02.2022 https://www.schreibmotorik-institut.com/images/STEP_Studie_2019.pdf Sturm, A., Lindauer, N. & Sommer, T. (2016). „Es fehlen Gefühle und Details in der Geschichte“ – Wissen und Überzeugungen von Lehrpersonen in der Domäne Schreiben. Zugriff am 15.10.2021 https://irf.fhnw.ch/bitstream/handle/11654/24616/2016_3_Sturm_Lindauer_Sommer.pdf?sequence=1&isAllowed=y Tressel, J. (2018). Rechtschreiben und Textschreiben – “Zwei Stränge nebeneinander”?. (Kontroverse) Überzeugungen von Gymnasial- und Grundschullehrenden zum Verhältnis der beiden Lernbe-reiche. In S. Riegler & S. Weinhold (Hrsg.), Rechtschreiben unterrich021ten. Lehrerforschung in der Orthographiedidaktik (S.51-68). Berlin: Erich Schmidt Verlag. Wiprächtiger-Geppert, M.; Riegler, S.; Kusche, D. & Schurig, M. (2022). Überzeugungen von Primarlehrpersonen zu Orthografie und Orthografieerwerb. Zeitschrift für Grundschulforschung Woolfolk Hoy, A., Davis, H.A. & Pape, S.J. (2006). Teacher knowledge and beliefs. In P.A. Alexander & P.H. Winne (Hrsg.), Handbook of educational psychology (S. 715-737). London: L. Erlbaum Associ-ates. Ziepprecht, K.; Gimbel, K.; Motyka, M. & Mayer, J. (2019). Fachunabhängige, fachspezifische und inhaltsspezifische professionelle Überzeugungen von Lehramtsstudierenden. In T. Leuders, E. Christphel, M.Hemmer, F. Korneck & P. Labudde (Hrsg.), Fachdidaktische Forschung zur Lehrerbildung (S. 263-272). Münster:Waxmann.  Zielsetzung und Forschungsfragen Ziel der hier berichteten Pilotierungsergebnisse ist es, einen ersten Baustein für die Erforschung von schreibbezogenen Überzeugungen von Grundschullehrkräften zu Beginn des systematischen Schriftspracherwerbs im ersten Schulbesuchsjahr beizusteuern. Neben der grundsätzlichen Frage, ob es gelingt, einen Fragebogen zu entwickeln, der reliabel die Überzeugungen von Lehrkräften (und Studierenden) misst, sollen auch erste deskrip-tive Befunde in den Blick genommen werden. Folgende Fragestellungen ergeben sich:  1. Welche epistemologischen Überzeugungen haben Grundschullehramtsstudierende (bzw. Grundschullehrkräfte) zur Bedeutsamkeit von Orthographie, Textproduktion und Handschrift? 2. Welche Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Schriftspracherwerb finden sich bei Grundschullehramtsstudierenden (bzw. Grundschullehrkräften)?  3. Welche Zielsetzungen nehmen Grundschullehramtsstudierende (bzw. Grundschullehrkräfte) für ihren schriftsprachlichen Anfangsunterricht in den Blick? Methode  Stichprobe: 152 Studierende LA GS; Ø Alter = 22,53 Jahre; SD = 3,89; Ø Fachsemester = 4,78; SD=1,32;                        22 Lehrkräfte; Ø Alter = 46,27 Jahre; SD = 10,11; Ø Berufserfahrung = 18,86 Jahre; SD = 8,75  Instrument:  • Online-Fragebogen gliedert sich in drei Teile (vgl. Tabelle 1) • Itemformat für Überzeugungen: fünfstufige Likert-Skalierung mit Antwortoptionen „stimmt gar nicht“ (1) bis „stimmt völlig“ (5) • Format für Unterrichtsziele: 6 Dominanzpaarvergleiche zu 1) Motivation, 2) Orthographie, 3) Texte verfassen, 4) Handschreiben. Das Antwortverhalten wurde auf inkonsistente Triaden geprüft. • Für die Operationalisierung wurden bestehende Items (z.B. zum Lehren und Lernen von Kleickmann 2008) für den Schriftspracherwerb adaptiert, teilweise wurden Items aus der Perle-Studie (von Cor-vacho del Toro & Pohl 2009 in Poloczek 2011) übernommen und teilweise wurde an die qualitativen Ergebnisse von den Studien von Sauerborn (2016) und Tressel (2018) angeknüpft und daraus eigene Items formuliert.  Studierende (n=152) eigene Texte schreiben Rechtschreib-sicherheit  Freude am  Schreiben Handschrift  entwickeln Gesamt   eigene Texte schreiben   58 48 62 168 18,4% Rechtschreibsicherheit  94   37 74 205 22,5% Freude am Schreiben 104 115   31 250 27,4% Handschrift entwickeln 90 78 121   289 31,7%  Gesamt  288 251 206 167 912   % Anteil  31,6% 27,5% 22,6% 18,3%      Rangfolge I II III IV     Tabelle 3. Deskriptive Statistik zu Forschungsfrage 3 Tabelle 2. Deskriptive Statistik zu Forschungsfragen 1 und 2 n = 152 Studierende; n = 22 Lehrkräfte M Min Max SD Bedeutsamkeit von Orthographie 3,73 2,38 5,00 0,53 4,16 3,00 5,00  0,58 Bedeutsamkeit von Textproduktion 3,69 2,13 4,75 0,50 4,07 3,50  4,88  0,42 Bedeutsamkeit von Handschreiben 3,75 1,75 5,00 0,65 4,00 3,00  5,00  0,70 Lehren und Lernen transmissiv 3,21 1,55 4,73 0,51 3,00 2,18  4,27 0,52  Lehren und Lernen konstruktivistisch 4,03 3,00 5,00 0,46 3,83 1,83 4,67  0,64   Auch im digitalen Zeitalter scheinen Orthographie, Textproduktion und Handschreiben für die Befragten sinnvoll und notwendig. hier: keine Relativierung des Stellenwerts der Orthographiebeherrschung (wie z.B. bei Wiprächtiger-Geppert et al. 2021; Tressel 2018)  Die Befragten weisen eher konstruktivistische als transmissive Überzeugungen zum SSE auf (passend zu Befunden von Poloczek 2011).  Das Schreiben eigener Texte erhält als Ziel die höchste Priorität für den Anfangsunterricht, gefolgt von „Rechtschreibsicherheit“, „Schreibmotivation“ und „Handschrift entwickeln“.   allerdings:  weitere Operationalisierungen und Itemformulierungen nötig, um der Mehrdimensionalität des Konstrukts und der Disziplinspezifität von Überzeugungen Rechnung zu tragen  Ausblick: Inwieweit es einen Zusammenhang zwischen den Lehrkräfteüberzeugungen zum Schriftspracherwerb und der Leistungs– bzw. Persönlichkeitsentwicklung von Schüler*innen am Ende der ersten Jahrgangsstufe gibt, soll im weiteren Verlauf geprüft wer-den. Abb. 1. Überzeugungen als handlungsleitendes Konstrukt im Unterricht  Abb. 2. Klassifizierung nach Merk 2020; Oser & Blömeke 2012; Woolfolk et al. 2006 Tabelle 1. Aufbau des Fragebogens mit Beispielitems Überzeugungen zur persönlichen und  gesellschaftlichen Bedeutsamkeit von … Orthographie  8 Items α = .680 „Ich glaube, dass eine gut entwickelte Rechtschreibung sehr nützlich ist, da sie auch noch heute als persönliche Visitenkarte dient.“ Textproduktion 8 Items α = .615 „Für mich gehört eine empfängerorientierte Ausdrucksweise zu einer zentralen zeitgemäßen Kor-respondenz im Berufsalltag.“ Handschreiben  4 Items α = .542 „Flüssiges Schreiben mit der Hand ist wichtig, um Inhalte besser verinnerlichen zu können.“ Überzeugungen über das Unterrichten Zielsetzungen für den eigenen Unterricht Mir ist in meinem Unterricht wichtig, dass…  Überzeugungen zum Lehren/Lernen im SSE   transmissiv 11 Items α = .759 „Damit wirklich alle Kinder Texte schreiben können, muss die Lehrkraft ihnen eine genaue Struktur hinsichtlich des Aufbaus vorgeben.“ konstruktivistisch 6 Items α = .660 „Kinder sollten in selbst verfassten Texten Wörter aus ihrem eigenen Wortschatz verwenden, auch wenn diese nicht fehlerfrei verschriftet werden.“ berufsbezogene Informationen zur Lehrperson Anmerkung: Für die Lehrkräftestichprobe ergab sich eine etwas andere Rangfolge:                         I) eigene Texte schreiben (36,4 %) , II) RS-sicherheit (29,5 %), III) Handschrift (21,2%),  IV) Freude am Schreiben (12,9%) Anmerkung: Studierendenstichprobe (n = 152) in schwarz gedruckt; Lehrkräftestichprobe (n = 22) in orange gedruckt … die Kinder mit Bleistift und Füller eine flüssige Handschrift entwickeln.             … die Kinder ermutigt werden, eigene kreative Texte zu schreiben. 

Überzeugungen von Grundschullehrpersonen zum Schriftspracherwerb - Ergebnisse der Pilotierung eines Fragebogens

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Überzeugungen von Grundschullehrpersonen zum Schriftspracherwerb - Ergebnisse der Pilotierung eines Fragebogens

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