Die Rolle antizipierter Emotionen und interozeptiver Vorhersagen in der Selbstkontrolle – Untersuchungen auf Verhaltens- und neuronaler Ebene mittels funktioneller Magnetresonanztomographie

Abstract

Aufbauend auf Theorien der affektiven Vorhersage und Modellen der interozeptiven prädiktiven Inferenz wurde in der vorliegenden Habilitationsschrift auf Verhaltens- und neuronaler Ebene mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) in zwei Studiensätzen untersucht, ob antizipierte Emotionen (Studiensatz 1 mit Studien 1-2: Kruschwitz et al., 2018a; Kruschwitz et al., 2018b) und interozeptive Vorhersagen (Studiensatz 2 mit Studien 3-5: Kruschwitz et al., 2014; Kruschwitz et al., 2019; Walter et al., 2020) eine funktionelle Rolle bei der Ausübung von Selbstkontrolle spielen. Studie 1 (Kruschwitz et al., 2018a) konzentrierte sich auf die Existenz antizipierter Emotionen, ihre neuronalen Korrelate und ihre Formbarkeit mittels kognitiver Kontrolle. Neben der Beobachtung, dass Hirnregionen, die der Verarbeitung positiver und negativer affektiver Reize zugrunde liegen, koaktiviert werden können, wenn bivalente Stimuli antizipiert werden, konnte gezeigt werden, dass kognitive Kontrolle durch bewusstes Zukunftsdenken genutzt werden kann, um die Aktivierung antizipierter Emotionen während der Erwartung bivalenter Reize entweder auf die positiven oder die negativen Aspekte zu verlagern. Das untersuchte Szenario nähert sich alltäglichen Selbstkontrollstrategien an, in denen kurz- und langfristige Konsequenzen gegeneinander abgewogen werden müssen. Studie 2 (Kruschwitz et al., 2018b) untersuchte mithilfe einer nahrungsbezogenen Craving-Regulationsaufgabe, ob Hirnregionen, die mit der Verarbeitung von antizipierten Emotionen in Zusammenhang stehen, aktiviert werden, wenn in einer Selbstkontrollsituation über positive und negative langfristige Konsequenzen nachgedacht wird. Wie vorhergesagt konnte gezeigt werden, dass Selbstkontrolle nicht nur mit Aktivierung in kognitiven Kontrollregionen assoziiert war, sondern auch Regionen rekrutiert wurden, die in Kruschwitz et al., 2018a mit der Verarbeitung antizipierter Emotionen in Zusammenhang gebracht wurden. Der Befund der Koaktivierung von kognitivem Kontrollsystem und affektassoziierten Regionen stellt die Sicht des "dualen Systems" zur Selbstkontrolle in Frage, wonach ein rein kognitives Kontrollsystem impulsive emotionale Reaktionen auf unmittelbare Ergebnisse unterdrückt. In Studie 3 (Kruschwitz et al., 2014) wurde eine inspiratorische Atemlastaufgabe etabliert, um interindividuelle Unterschiede in der Wahrnehmung aversiver interozeptiver Störungen zu untersuchen. Indem gezeigt wurde, dass interozeptive Sensitivität durch die menschliche Persönlichkeit beeinflusst wird, lieferte diese Studie eine Voraussetzung für die Annahme, dass individuelle Unterschiede in der Selbstkontrolle auch mit Unterschieden in der interozeptiven Vorhersage zusammenhängen könnten. In Studie 4 (Kruschwitz et al., 2019) wurde dieser vermutete Zusammenhang direkt untersucht, indem die inspiratorische Atemlastaufgabe mit der Selbstkontrollaufgabe aus Studie 2 verknüpft wurde. In Übereinstimmung mit der aufgestellten Hypothese waren Personen, die die Aversität des zukünftigen interozeptiven Zustands genauer vorhersagten (oder sogar überschätzten), besser in der Lage, ihr Verlangen nach ungesunden Snacks durch Antizipation negativer Langzeitfolgen des Verzehrs herunterzuregulieren. Folglich konnte geschlussfolgert werden, dass Selbstkontrolle durch den Grad beeinflusst wird, in dem ein Individuum Vorhersagemodelle seiner eigenen zukünftigen interozeptiven Zustände generiert. In Studie 5 (Walter et al., 2020) wurden die gleichen experimentellen Protokolle wie in Studie 4 in einer fMRT-Umgebung mit einer neuen unabhängigen Stichprobe durchgeführt, um Einblick in den neuronalen Mechanismus zu gewinnen, der Grundlage für den demonstrierten Zusammenhang von Selbstkontrolle und interozeptiven Vorhersagen darstellt. Es konnte erneut festgestellt werden, dass Personen, die zukünftige interozeptive Zustände korrekt vorhersagten (oder sogar überschätzen), effektiver in der Lage waren, ihr Verlangen nach ungesunden Snacks herunterzuregulieren. Auf neuronaler Ebene konnte beobachtet werden, dass die anteriore Insula und das prä-supplementärmotorische Areal (prä-SMA), die in beiden Aufgaben rekrutiert wurden, teilweise zu diesen Effekten beitrugen, da Hirn-Verhaltens-Korrelationen mit diesen Arealen sowohl innerhalb als auch zwischen den beiden Aufgaben gefunden wurden. Zusammenfassend untermauern die hier vorgestellten Ergebnisse die anfangs aufgestellte Hypothese, dass es oft nicht ausreicht, kognitive Repräsentationen von Langzeitergebnissen zu aktivieren, um Versuchungen zu widerstehen, sondern dass Selbstkontrolle auch von affektiven und interozeptiven Repräsentationen abhängt, die durch Antizipationen zukünftiger Ergebnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung hervorgerufen werden

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