Deventer, Jörg

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Comparativ (E-Journal)

Buchbesprechungen Pavel Himl: Die 'armben Leüte' und die Macht. Die Untertanen der süd-böhmischen Herrschaft Cesky Krumlov/Krumau im Spannungsfeld zwischen Gemeinde, Obrigkeit und Kirche (1680-1781) (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Bd. 48), Lucius & Lucius, Stuttgart 2003,373 S. Die vorliegende Studie weckt allein schon deswegen ein besonderes Inter-esse, weil sie zum einen das Ergebnis einer - immer noch viel zu seltenen -tschechisch-deutschen Forschungsko-operation darstellt, zum anderen, weil mit Böhmen ein Territorium in den Mittelpunkt des Interesses rückt, das erst in den letzten Jahren zum Untersu-chungsterrain für aktuelle Fragen der Frühneuzeitforschung geworden ist. Die Saarbrückener Dissertationsschrift des tschechischen Historikers Pavel Himl liegt gleichsam im Schnittpunkt von zwei Untersuchungsfeldern bzw. Methodentrends der gegenwärtigen Forschung: der sozialgeschichtlichen, historisch-anthropologisch ausgerichte-ten Erforschung vormoderner Guts-herrschaftsgesellschaften und der Be-schäftigung mit individuellen und kollektiven Erfahrungen „mittlerer und kleinerer Akteure der Geschichte" (P. Münch). Im Kern geht es in der fun-dierten, aus Quellen gearbeiteten Studie um die Rekonstruktion von Wahrneh-mungen und Verhaltensweisen der ländlichen Bevölkerung in Bezug auf die drei „Sozialgebilde" (S. 10) Herr-schaft, Gemeinde und Kirche. Ausge-hend von der These, „daß die Bauern selbständig und bewußt handelnde In-dividuen waren" (S. 13), konzentriert sich die Untersuchung nicht auf die Perspektive „von oben", d. h. auf die Analyse obrigkeitlicher Normierungs-prozesse, sondern auf die Inblicknahme von „Handlungsfreiräumen" und „Handlungsstrategien" bäuerlicher In-dividuen und Gruppen gegenüber den drei in der ländlichen Welt dominie-renden und institutionelle Formen auf-weisenden ,,Bezugsobjekte[n]/-systeme[nl" (S. 337). Nach einer ausführlichen Darstel-lung des Forschungsstandes in der tschechischen und deutschen Ge-schichtswissenschaft werden mit der Behandlung der räumlichen und demo-graphischen Entwicklung, der gefor-derten Untertanenpflichten, der Rechtsstellung der Bauern und des Sy-stems der Gerichtsbarkeit zunächst Basisinformationen zu den herrschaft-lichen Strukturen in dem mit über 200 Dörfern größten Dominium im damali-gen Böhmen geliefert, das im Untersu-chungszeitraum im Besitz der adeligen Familien Eggenberg (bis 1719) und Schwarzenberg war (S. 35-119). A n die Rekonstruktion herrschaftlicher Normen und Idealvorstellungen schließt sich die Untersuchung der Mit-tel und Wege ihrer Um- und Durchset-zung, also die Herrschaftspraxis, an (S. 121-184). Dem Umstand Rechnung tragend, daß sich in der Herrschaft Krumau die normativen Texte zur Re-gulierung der Untertanenverhältnisse ganz überwiegend an die obrigkeitli-chen Beamten richteten, steht dabei zum einen der vielschichtige Verwal-COMPARATIV 15 (2005), Heft 1, S. 157-175. 158 Buchbesprechungen tungsapparat, zum anderen das Profil der örtlichen Amtsträger im Mittel-punkt. Überzeugend arbeitet der Vf. hier die „ambivalente Stellung" (S. 150) der dörflichen Funktionseliten (Richter und Geschworene) als obrig-keitliche Exponenten im Dorf und gleichzeitig als Oberhaupt der dörfli-chen Selbstverwaltung heraus. Über die Untersuchung innerdörfli-cher Konflikte gibt das folgende Kapitel auf der Ebene der Gemeinde Einblicke in das komplexe Beziehungsgefüge zwischen dem Einzelnen und der länd-lichen Gesellschaft (S. 185-229). Dabei stellt der Vf. heraus, daß die Grenzen zwischen Familie, Nachbarschaft, Ge-meinde und Gerichtssprengel „nur an-nähernd gezogen werden können" (S. 209). Um die verschiedenen Funktio-nen der Dorfgemeinschaft identifizie-ren und differenzieren zu können, plä-diert Himl für einen um die Örtlichen Amtsträger und eine sog. „dörfliche Öffentlichkeit" erweiterten Begriff von „Gemeinde" (S. 227). Eine Würdigung der hier gewonnenen Befunde zu Me-chanismen und Grenzen informeller (Nachbarschaft) und institutionalisier-ter (Klage beim Dorfgericht und beim Grundherrn) Formen der Konfliktregu-lierung sowie zur Konstituierung einer „dörflichen Öffentlichkeit" im Rahmen von Ehrkonflikten würde den Rahmen einer Rezension sprengen. Dies gilt auch für das folgende Ka-pitel, in dem ebenso anschaulich wie reflektiert Selbstbehauptungsstrategien der Untertanen gegenüber der grund-herrlichen Obrigkeit bzw. deren Reprä-sentanten beleuchtet werden (S. 231-295). Im Zentrum der Beschreibung von individuellem Ungehorsam und kollektivem Widerstand sowie inner-gemeindlichen Meinungsbildungspro-zessen bei Konflikten mit der Herr-schaft steht eine detaillierte Fallstudie: die Analyse der durch die Erhöhung von Frondiensten ausgelösten „Bauern-revolte" im Gerichtssprengel Deutschreichenau zwischen 1690 und 1751, bei der es im Kern um den Un-tertanen- bzw. Leibeigenenstatus ging. Dabei kommt der Vf. zu dem Ergebnis, daß die widerständigen Verhaltenswei-sen der Bauern „nicht auf die Beseiti-gung oder grundlegende Veränderung der von der Herrschaft geprägten sozia-len Ordnung" abzielten; gleichwohl waren sie im Rahmen ihres Abwehr-kampfes gegen Lastenerhöhungen und die Einschränkung tradierter Rechte der Gemeinde wie etwa im Bereich des Waisenwesens „keine unreflektierte Reaktion auf die äußeren Verhältnisse, sondern von den Bauern planmäßig, bewußt und z. T. mit Erfolg eingesetzte Mittel zur Gestaltung ihrer Lebens-welt." (S. 295). Ausgehend von dem Befund, daß die Pfarrer in den Konflikten innerhalb der Gemeinde und mit der Obrigkeit kaum in Erscheinung traten (Himl er-klärt dies mit dem starken Einfluß der Grundherren auf religiöse Angelegen-heiten im Rahmen der obrigkeitlichen Rekatholisierung), widmet sich das letzte Kapitel den Beziehungen zwi-schen Untertanen und örtlicher Geist-lichkeit (S. 297-333). Dabei dienen als Quellengrundlage kanonische Visita-tionen, die allerdings nur für die Zeit zwischen 1760 und 1783 überliefert sind. Daß dieser Teil der Arbeit im Vergleich mit den anderen Kapiteln qualitativ etwas abfällt, mag u. a. damit zusammenhängen, daß der Vf. kein Anhänger bzw. auch kein kreativer Kritiker der Konfessionalisierungsthe-se ist; das bestätigt auch ein Blick in Buchbesprechungen 159 das Literaturverzeichnis. Schade, daß zu häufige Druckfehler und ein an manchen Stellen verrenktes Deutsch (obwohl der Vf. anscheinend auf deut-sche Korrektoren zurückgreifen konn-te) den Lesefluß hin und wieder stören. Insgesamt jedoch können diese Ein-wände den Wert der Studie kaum schmälern, enthält sie doch zahlreiche neue, durchaus auch übergreifende Geltung beanspruchende Befunde, die eine Reihe von Grundannahmen der Forschung zur ländlichen Gesellschaft im frühneuzeitlichen Böhmen auf-weicht bzw. korrigiert. Jörg Deventer Karl-Heinz Füssl: Deutsch-amerika-nischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung - Wissenschaft - Politik, Campus Verlag, Frankfurt a. M./New York 2004,325 S. Die deutsch-amerikanischen Kulturbe-ziehungen im 19. und 20. Jh. gehören seit langem zum Kerngeschäft der deutschen Nordamerikahistoriker. Von der deutschen Migration in die USA, über die Emigration nach 1933 und die Demokratisierung in der Nachkriegs-zeit bis zu akademischen Austauschbe-ziehungen und gegenseitigen Wahr-nehmungen - um nur einige der traditionellen Schwerpunkte zu nennen - sind zentrale, wenn auch längst nicht alle Aspekte der bilateralen Kulturbe-ziehungen zwischen beiden Ländern erforscht worden. Was allerdings bis-her fehlte, war eine systematische Dar-stellung des wechselseitigen Kultur-transfers seit seinen Anfängen. Karl-Heinz Füssl hat sich dieser Aufgabe angenommen und verfolgt im vorlie-genden Band den Anspruch, diesen Kulturaustausch auf den Feldern der Bildung, Wissenschaft und Politik im Hinblick auf seine Institutionen und Akteure zu untersuchen. In sieben Ka-piteln zeichnet er ein eindrucksvolles Panorama der wechselseitigen Einflüs-se und Impulse vom beginnenden 19. Jh. bis in die 1960er Jahre. Er geht da-bei chronologisch vor, wobei die gro-ßen politischen Zäsuren - 1914, 1933, 1945 und 1955 - zugleich die Bruchli-nien des Kulturaustauschs kennzeich-nen. Kulturtransfer unterlag, so der Autor, stets politischen Interessenla-gen, und dessen Verwerfungen und Kontinuitäten sind nur im Kontext der wechselnden Stellung der beiden Mächte im internationalen politischen System erklärbar. Füssls Studie setzt mit den ersten Kontakten am Ausgang des 18. Jh.s und der Verbreitung der Fröbelschen Kindergartenbewegung in den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s ein und behandelt die Herausbildung der expe-rimentellen Kindheitsforschung - fo-kussierend auf Stanley Hall - und die Ausbau- und Expansionsphase des amerikanischen Schulsystems sowie deren widersprüchliche Rezeption und Reflexion im Deutschen Reich. Weit-gehende Ignoranz und Kritik einerseits, wenig kompatible Strukturen anderer-seits, die - wie im Falle der Arbeits-schule Kerschensteiners - eine Über-nahme verhinderte, kennzeichneten auch das akademische Milieu. Der Strom amerikanischer Studenten an deutsche Universitäten ebbte schon vor der Jahrhundertwende ab, und die uni-versitäre Reform in den U S A folgte strukturell nicht der deutschen Univer-sität. Bis weit ins 20. Jh. hinein brach-ten deutsche Akademiker wenig Respekt gegenüber der jungen ameri-

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