Löhr, Isabella

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128 | BuchbesprechungenGeorgina Brewis: A Social History of Student Volunteering. Britain and  Beyond, 1880–1980, New York:  Palgrave Macmillan 2014, 263 S.Rezensiert von Isabella Löhr, LeipzigStudentische Bewegungen werden zu-meist mit Politisierung assoziiert, so zum Beispiel Studenten als Barrikadenkämpfer im Gefolge der Französischen Revolution und in den Revolutionen von 1848, als Verfechter einer antiliberalen und natio-nalistischen Politik in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, als Träger völ-kischer und faschistischer Ideologien in den 1930er und 1940er Jahren oder als treibende Kraft in den Protesten von 1968. Deutlich seltener taucht dagegen die sozia-le Dimension studentischer Bewegungen in Form von gemeinnütziger Arbeit, So-zialhilfe oder einer eng mit Bildung ver-knüpften missionarischen Arbeit auf. Das Buch von Georgina Brewis widmet sich dieser sozialpolitischen Dimension stu-dentischer Bewegungen in Großbritan-nien, die sie anhand von Freiwilligenarbeit thematisiert. Die Studie ist an der Schnitt-stelle zwischen Universitätsgeschichte, ei-ner historischen Auseinandersetzung mit Jugendbewegungen und der Geschichte der Sozialpolitik in Großbritannien ange-siedelt. Die Aufmerksamkeit liegt auf der Entstehung einer „student associational culture“, die sich parallel zur Ausweitung der höheren Bildung in Großbritannien entwickelte. Die Studie unterscheidet sich in ihrem konzeptionellen Zugrif in mehr-facher Hinsicht von anderen Zugängen zur historischen Analyse studentischen Le-bens. Erstens schreibt sie diese Geschichte aus der Perspektive der Studenten. Das be-deutet, es geht nicht um Maßnahmen zur Verbesserung sozialer Bedingungen ins-besondere ab den 1920er Jahren oder um gesellschaftspolitische Bildungsangebote für Studenten, sondern um „volunteering undertaken by young people“. Zweitens verlagert Brewis den Schwerpunkt ihrer Analyse auf die staatlichen Universitäten, womit sie dem Umstand Tribut zollt, dass sich ab den 1880er Jahren mit zwei Drit-teln die deutliche Mehrheit der britischen Studenten und Studentinnen außerhalb der alt eingesessenen Universitäten Oxford und Cambridge befanden. Genau hier liegt ein wichtiger Mehrwert der Studie. In der Einleitung setzt Brewis sich mit den Gründen für die bisher nur marginale Aufmerksamkeit für freiwilliges studen-tisches Engagement auseinander, was, wie sie anschaulich illustriert, aufgrund der sozialen und thematischen Breite dieses Phänomens durchaus erklärungsbedürftig ist. Den Grund dafür sieht Brewis in einer unausgewogenen Überlieferungssituation. Die meisten britischen Universitätsarchi-ve haben die Unterlagen studentischer Vereine nicht aufbewahrt, nachdem diese oftmals als „dispensable ephemera“ ein-geschätzt und anschließend entsorgt wur-den. Der daraus resultierende Rückgrif auf publizierte Tagebücher, Erinnerungen oder private Nachlässe führte zu einer überproportionalen Präsenz von zumeist männlichen Absolventen aus Oxford und Cambridge, die später als Politiker, Li-teraten oder Journalisten öfentlich be-kannt wurden. Die Autorin steuert einer Buchbesprechungen | 129solchen Schlagseite entgegen, indem sie auf studentische Zeitschriften und auf die Archive nationaler studentischer Unionen wie der National Union of Students, der Student Community Action oder der bri-tischen Zweige des International Student Service und der World Student Christian Federation zurückgreift. Gerade weil Bre-wis mit bisher wenig benutztem Material arbeitet und einen Quellenkorpus zusam-mengestellt hat, der sich teilweise einer kleinteiligen Recherche verdankt, hätte ein Archiv- und Quellenverzeichnis der weiteren Forschungen wichtige Impulse geben können. Das Fehlen einer solchen Übersicht ist eine vergebene Chance, die das ausgewählt schmale Literaturverzeich-nis von zweieinhalb Seiten nicht ausglei-chen kann. In dem Rückgrif auf überregional und teilweise international organisierte studen-tische Gruppen liegt ein wichtiger dritter Mehrwert der Studie. Denn einige dieser Gruppen hatten einen religiösen Hinter-grund in der protestantischen Ökumene und bildeten einen wichtigen Teil dessen, was in der Forschung sporadisch unter dem Stichwort des religiösen Internatio-nalismus angedeutet, bisher jedoch nicht weiter systematisch untersucht wurde. Brewis macht diese christlichen studen-tischen Gruppen hingegen zu einem zen-tralen Pfeiler ihrer Analyse, was ihr eine weit über die Universitäten hinausgehende gesellschafts- und sozialgeschichtliche Kontextualisierung erlaubt. Diesen Ansatz setzt Brewis in neun the-matischen Kapiteln um. Chronologisch angeordnet, decken die Kapitel den Zeitraum von den 1880er Jahren bis in die 1980er Jahre ab, wobei der zeitliche Schwerpunkt auf der ersten Jahrhundert-hälfte liegt, während der Zeitraum von den 1950er Jahren bis ungefähr 1980 in zwei Kapiteln behandelt wird. Die ersten beiden Kapitel widmen sich den Anfängen der christlichen Studentenbewegung, die Brewis zeitlich mit dem Ausbau der hö-heren Bildung ab den 1860er Jahren ver-anschlagt. Dabei zieht sie eine Linie von dem Konzept der „active citizenship“ und „character building“, wie es idealistische Philosophen der Zeit propagierten, zur University Settlement Movement, in der sich ab den 1880er Jahren vor allem Stu-denten in sozialreformerischer Absicht in ärmlichen Gebieten in britischen Städten betätigten. Diese speziische Form gemein-nütziger Arbeit war, so Brewis, konstitutiv für die Herausbildung einer „associational culture“ an Universitäten und Colleges, die vor allem von christlichen Studenten-vereinen getragen wurde. Das folgende Kapitel zeigt das Ausgreifen dieses missionarisch und entwicklungspo-litisch motivierten Engagements innerhalb des britischen Empire. Dabei argumen-tiert Brewis, dass diese speziische Form des sozialen Engagements keine größeren politischen Kontroversen transportierte und deswegen in vielen Fällen zu einer Art Solidarisierung zwischen Studenten aus Großbritannien und aus Indien führte, während der eigentliche Zweck, Brücken in die unteren sozialen Klassen oder Kasten zu bauen, in den meisten Fällen misslang. Dafür bewirkte der soziale Dienst an ver-schiedenen Orten des Empire eine erhöhte Mobilität innerhalb der Studentenschaft, die zunehmend regelmäßig zu beobachten war, und zu einer erhöhten Präsenz von Studentinnen, die sich mit diesem sozialen Dienst eine eigene Domäne erarbeiteten. 130 | BuchbesprechungenDie folgenden drei Kapitel thematisieren die Entstehung einer „student popular front“ in den 1920er und 1930er Jah-ren. Das zentrale Argument lautet, dass sich über das Bindemittel der freiwilligen sozialen Arbeit und der Hinwendung von Studenten und Universität zu gesell-schaftlichen Problemen eine Studentenbe-wegung und eine speziische Art der stu-dentischen Solidarität herausbildete, die sowohl innerhalb des britischen Universi-tätssystems als auch international funktio-nierte. Diese hese veranschaulicht Brewis anhand verschiedener hemenkomplexe. Im Kapitel zur Nothilfe für Studenten aus den ehemaligen Habsburgischen Gebieten und dem Russischen Reich im direkten Anschluss an den Ersten Weltkrieg argu-mentiert sie, dass diese Hilfsaktionen der Entwicklung eines speziischen studen-tischen Internationalismus Vorschub leis-teten. Dazu gehörten die Gründung von nationalen und internationalen Verbänden wie der National Union of Students und European Student Relief, das zur World Student Christian Federation gehörte, Rei-sen im Rahmen dieser Hilfsmaßnahmen vor allem nach Ostmitteleuropa und die zumindest oberlächliche Überwindung von Frontlinien, sobald sich in Person von Helfenden und Hilfe Empfangenden ehemalige Kriegsgegner gegenüberstan-den. Im Kapitel zur Rolle der Studenten im Generalstreik von 1926 ordnet Brewis den Generalstreik in den Kontext neu-er sozialer Programme ein, in denen sich Studenten mit Arbeitslosigkeit und sozia-len Notlagen in Nordengland und Wales auseinandersetzten. In diesem Sinn inter-pretiert sie den studentischen Anteil am Generalstreik weniger als Streikbrechen als vielmehr als Fortsetzung von Freiwilligen-arbeit, sozialer Bildung und der beschrie-benen „associational culture“. Das Kapitel zur Massenarbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise setzt diese Linie fort. Auch hier zeigt die Autorin anhand einer beeindruckenden Breite von Beispielen wie der International Workcamp Move-ment, dass es eine universitätsübergreifen-de studentischen Bewegung gab, die einen großen Zulauf erhielt, weil sie sich in die Gesellschaft hineinbewegte und mit an-deren Organisationen wie den League of Nations Societies an den britischen Uni-versitäten kooperierte. Auch die Nothilfe-programme für gelohene Studenten aus Deutschland, Initiativen im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs und des Chine-sisch-Japanischen Krieges ab 1937 sieht Brewis als Auslöser für die Festigung einer breiten studentischen Bewegung, die auf einem sozialen Proil beruhte, das poli-tische Demonstrationen und soziales En-gagement selbstverständlich vorsah. Für die späten 1940er und 1950er Jahre zeigt Brewis, dass humanitäre Hilfe, Flücht-lingsarbeit und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich solidarisierend auf nationaler und internationaler Ebene wirkten wie nach dem Ersten Weltkrieg. Allerdings war hier eine neue, verstärkt staatlich geförderte Generation am Werk, die sich kritisch gegenüber den paterna-listischen Dimensionen der Settlement-Bewegung oder den Workcamps zeigte. Entsprechend kamen neue hemen auf wie das World Refugee Year der Vereinten Nationen 1959, Kritik an Rassismus und Apartheid sowie internationale Bildungs-ungleichheit, die in Form internationaler Kampagnen und einer weit ausgreifenden, moralisch und christlich unterlegten Frei-willigenarbeit angegangen wurden. Die Buchbesprechungen | 131Politisierung studentischer Bewegungen ab den 1960er Jahren thematisiert Bre-wis schließlich nicht als solche. Stattdes-sen untersucht sie die Auswirkungen der „New Left“, indem sie den Übergang von sozialem Dienst zu „social action“ ana-lysiert, der sich in der Hinwendung und gleichzeitigen Kritik an Entwicklungshil-feprogrammen niederschlug, die sie als alternative Protestformen interpretiert. Von dieser Hinwendung zu entwicklungs-politischen hemen proitierten vor allem Entwicklungshilfeorganisationen wie Ox-fam, die mit hird World First ein eigenes studentisches Netzwerk einrichtete, das genau diese Zielgruppe für die eigenen Zwecke anwerben sollte. Brewis zeigt, dass die daraus hervorgehenden Freiwil-ligenprogramme im Ausland eine bereits international orientierte und mobile Stu-dentenbewegung ansprachen, dass diese Tendenz dadurch aber quantitativ ausge-weitet und verfestigt wurde. An die Stelle des sozialen Dienstes trat eine politisierte humanitäre Aktion, die sich allerdings in der Praxis nicht immer eindeutig vom tra-ditionellen Sozialdienst unterschied. Die Studie bringt eine beeindruckende Fülle von hemen vor, die sie überzeu-gend argumentativ zusammenführt. Die hese, dass sich seit den 1880er Jahren in Großbritannien eine Studentenbewe-gung formierte, die auf einer sozialrefor-merisch-paternalistischen und christlichen Grundlage beruhte und die maßgebliche Impulse aus internationalen Konlikten bezog, leuchtet ein und ist durchweg sehr gut nachvollziehbar. Das gleiche gilt für die vielen Beispiele, mit denen Brewis veranschaulicht, dass und wie die stu-dentische Freiwilligenarbeit universitären Campus und gesellschaftspolitische Pro-bleme schrittweise miteinander verband. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Autorin einige hemen konsequenter beibehalten hätte, so zum Beispiel die Rol-le christlicher Studentenverbände, die nur in den ersten und letzten Kapiteln auftau-chen. Das gleiche gilt für die Gender-Per-spektive: In den ersten Kapiteln wird die Freiwilligenarbeit als Vehikel für Studen-tinnen dargestellt, sich neue Handlungs-spielräume und Verantwortungsbereiche zu erarbeiten, eine Perspektive, die danach allerdings verschwindet. Schließlich ist die Studie sehr britisch ausgerichtet, womit die imperialen Kontexte der studentischen Freiwilligenarbeit und Stichworte wie Zi-vilisierungsmission nur am Rand oder gar nicht auftauchen. Diese Kritik steht allerdings hinter der beeindruckenden Syntheseleistung zurück, die dieses Buch darstellt. Brewis gelingt eine erfrischende und kenntnisreiche Erweiterung der So-zialgeschichte der höheren Bildung, die jedem Leser zu empfehlen ist, der sich für Universitätsgeschichte und die Geschichte sozialer Bewegungen interessiert.

Georgina Brewis: A Social History of Student Volunteering. Britain and  Beyond, 1880–1980, New York:: Palgrave Macmillan 2014, 263 S.

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Georgina Brewis: A Social History of Student Volunteering. Britain and Beyond, 1880–1980, New York:: Palgrave Macmillan 2014, 263 S.

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