Denzel, Markus A.

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Comparativ (E-Journal)

BUCHBESPRECHUNGENDie 2015 im Rahmen des Deutsch-Chine-sischen Wissenschaftsforums an der Beijing Daxue (Peking Universität) entstandene knapp 70seitige Studie des renommierten Historikers Wolfgang Reinhard unter-sucht die Bedeutung des Staatskredits für die Entstehung des modernen Staates, der dem Autor als „der wichtigste Exportarti-kel Europas“ während der Europäischen Expansion gilt (S. 5). Seine grundlegende hese ist, dass „der moderne Staat … in Europa Hand in Hand mit dem öfent-lichen Kredit, genauer dem Kriegskredit, entstanden [ist]. … Durch den Staatskre-dit wurde dabei machtpolitisch Schwäche in Stärke verwandelt“ (S. 20) – oder an-ders ausgedrückt: Die politische Macht des europäischen Staates und letztlich sei-ne Überlegenheit über außereuropäische Reiche resultierte aus seinem Vermögen, sich vor allem im Kriegsfall durch Kredi-taufnahme zu inanzieren.Als Voraussetzungen für die Vergabe von öfentlichem Kredit in Europa sieht Wolf-gang Reinhard die Stadtwirtschaft und die Kapitalbildung durch expandierende Handelsaktivitäten. Der öfentliche Kredit basierte auf einer „einzigartigen Symbio-se von Politik und Kapital“ (S. 22), d. h. letztlich auf einer – in Asien überhaupt nicht vorstellbaren – ‚Partnerschaft‘ zwi-schen Herrschenden und Kaufmanns-Bankiers, die auf der Unantastbarkeit des Privateigentums und einer seit der grie-chischen Antike nachweisbaren, jahrhun-dertelangen Erfahrung in diesem Geschäft beruhte. Seit dem Mittelalter nahm die öfentliche, rechtlich immer stärker ge-schützte Kreditaufnahme in zahlreichen europäischen Staaten zu. Im England des 18. Jh.s erlangte dieses System im Gefol-ge andauernder Kriege gegen Frankreich – nach einigen Krisen – durch staatliche bzw. parlamentarische Garantie des öfent-lichen Kredits in einer inancial revolution seine Vollendung. Entscheidend für den langfristigen Erfolg dieses Kreditsystems war neben der Konsolidierung der Schuld, der Möglichkeit des Handels mit Staats-anleihen und einer ausgereiften Finanzor-ganisation vor allem das „Vertrauen in die Solidität des britischen Kredits, die durch Wolfgang Reinhard: Staatsmacht und Staatskredit. Kulturelle Tradition und politische Moderne (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 56), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2017, 69 S. Rezensiert von  Markus A. Denzel, Leipzig154 | Buchbesprechungendie interessengeleitete Symbiose von Re-gierung, Unterhaus und Geldgebern zu-stande gekommen war“ (S. 47).Während die europäischen Staaten im 19. Jh. das englische System der öfent-lichen Kreditvergabe übernahmen, war dies im chinesischen, osmanischen und Mogul-Reich nicht der Fall, und auch eine vergleichbare eigenständige derartige Entwicklung fand nicht statt. Gründe dafür sind unterschiedliche Traditionen von Eigentum, Recht und Herrschaft, aber auch die fehlende Notwendigkeit für derartige öfentliche Kredite. Diese Staaten verfügten über einen weitaus grö-ßeren Reichtum als und konnten zudem auf die Ressourcen ihrer Untertanen fast unbeschränkt zugreifen. Daher wurde pri-vates Kapital nicht benötigt und nicht in organisierter Form für öfentliche Kredite bereit, auch wenn die Voraussetzungen da-für (Handelskapital und Stadtwirtschaft) vorhanden gewesen wären. Die asiatischen Potentaten inanzierten ihre Kriege weit-gehend selbst, ja streckten sogar aus der Privatschatulle kurzfristige Kredite für die Reichskasse vor (so etwa der osmanische Sultan), weshalb die politische Moderni-sierung nicht durch konsolidierte, garan-tierte öfentliche Kredite initiiert wurde. Als sie im späteren 19. Jh. auf Kredite angewiesen waren, fehlten entsprechende Tradition und Erfahrung sowie einheimi-sche Kreditgeber. Die Konsequenz, eine zunehmende Abhängigkeit der asiatischen Reiche von europäischen Kreditgebern vor dem Ersten Weltkrieg, ist bekannt. Soweit die Argumentation des Autors.Wolfgang Reinhard gelingt mit seinem großen Essay bzw. seiner konzis gefassten Monographie ein genialer Wurf: In seiner kontrastiven Analyse der divergierenden Entwicklungen in Europa und Asien, wie Reiche sich zu modernen Staaten entwi-ckelten, oder auch nicht, und welche Kon-sequenzen dies für ihre Machtentfaltung hatte, wird die entscheidende Rolle des Staatskredits für diesen Prozess in nicht zu verkennender Weise verdeutlicht. Was zu-nächst als ein Nachteil erscheinen mochte, nämlich mangelnder Reichtum und feh-lende Zugrifsmöglichkeiten auf den Be-sitz der Untertanen, konnten die Macht-haber in Europa seit dem Mittelalter in den Vorteil einer öfentlichen, rechtlich geschützten Kreditaufnahme umwandeln. Diese kulturelle Tradition trug wesentlich zur Herausbildung von moderner Staats-macht bei, die nicht nur zu einer „Verstaat-lichung der Welt“ führte, wie Wolfgang Reinhard es ausdrücken würde, sondern auch zu einer politisch-militärischen Überlegenheit gegenüber den asiatischen Reiche im 19. Jh. Mit seiner tiefgreifend analytischen und sehr gut lesbaren Studie leistet Wolfgang Reinhard einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des speziischen Unterschieds zwischen europäischem Staat und asiatischem Reich – ein Unterschied, der bis in das Staatsverständnis des aktu-ellen China hineinreicht.

Wolfgang Reinhard: Staatsmacht und Staatskredit. Kulturelle Tradition und politische Moderne (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 56), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2017

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Wolfgang Reinhard: Staatsmacht und Staatskredit. Kulturelle Tradition und politische Moderne (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 56), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2017

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