Für automatisierte Produktionsanlagen gibt es einen fundamentalen Tradeoff
zwischen Effizienz und Flexibilität. In den meisten Fällen sind die Abläufe
nicht nur durch den physischen Aufbau der Produktionsanlage, sondern auch durch
die spezielle zugeschnittene Programmierung der Anlagensteuerung fest
vorgegeben. Änderungen müssen aufwändig in einer Vielzahl von Systemen
nachgezogen werden. Das macht die Herstellung kleiner Stückzahlen unrentabel.
In dieser Dissertation wird ein Ansatz entwickelt, um eine automatische
Anpassung des Verhaltens von Produktionsanlagen an wechselnde Aufträge und
Rahmenbedingungen zu erreichen. Dabei kommt das Prinzip der Selbstorganisation
durch verteilte Planung zum Einsatz. Die aufeinander aufbauenden Ergebnisse der
Dissertation sind wie folgt:
1. Es wird ein Modell von Produktionsanlagen entwickelt, dass nahtlos von der
detaillierten Betrachtung physikalischer Produktionsprozesse bis hin zu
Lieferbeziehungen zwischen Unternehmen skaliert. Im Vergleich zu
existierenden Modellen von Produktionsanlagen werden weniger limitierende
Annahmen gestellt. In diesem Sinne ist der Modellierungsansatz ein Kandidat
für eine häufig geforderte "Theorie der Produktion".
2. Für die so modellierten Szenarien wird ein Algorithmus zur Optimierung der
nebenläufigen Abläufe entwickelt. Der Algorithmus verbindet Techniken für die
kombinatorische und die kontinuierliche Optimierung: Je nach Detailgrad und
Ausgestaltung des modellierten Szenarios kann der identische Algorithmus
kombinatorische Fertigungsfeinplanung (Scheduling) vornehmen, weltweite
Lieferbeziehungen unter Einbezug von Unsicherheiten und Risiko optimieren und
physikalische Prozesse prädiktiv regeln. Dafür werden Techniken der
Monte-Carlo Baumsuche (die auch bei Deepminds Alpha Go zum Einsatz kommen)
weiterentwickelt. Durch Ausnutzung zusätzlicher Struktur in den Modellen
skaliert der Ansatz auch auf große Szenarien.
3. Der Planungsalgorithmus wird auf die verteilte Optimierung durch unabhängige
Agenten übertragen. Dafür wird die sogenannte "Nutzen-Propagation" als
Koordinations-Mechanismus entwickelt. Diese ist von der Belief-Propagation
zur Inferenz in Probabilistischen Graphischen Modellen inspiriert. Jeder
teilnehmende Agent hat einen lokalen Handlungsraum, in dem er den
Systemzustand beobachten und handelnd eingreifen kann. Die Agenten sind an
der Maximierung der Gesamtwohlfahrt über alle Agenten hinweg interessiert.
Die dafür notwendige Kooperation entsteht über den Austausch von Nachrichten
zwischen benachbarten Agenten. Die Nachrichten beschreiben den erwarteten
Nutzen für ein angenommenes Verhalten im Handlungsraum beider Agenten.
4. Es wird eine Beschreibung der wiederverwendbaren Fähigkeiten von Maschinen
und Anlagen auf Basis formaler Beschreibungslogiken entwickelt. Ausgehend von
den beschriebenen Fähigkeiten, sowie der vorliegenden Aufträge mit ihren
notwendigen Produktionsschritten, werden ausführbare Aktionen abgeleitet. Die
ausführbaren Aktionen, mit wohldefinierten Vorbedingungen und Effekten,
kapseln benötigte Parametrierungen, programmierte Abläufe und die
Synchronisation von Maschinen zur Laufzeit.
Die Ergebnisse zusammenfassend werden Grundlagen für flexible automatisierte
Produktionssysteme geschaffen -- in einer Werkshalle, aber auch über Standorte
und Organisationen verteilt -- welche die ihnen innewohnenden Freiheitsgrade
durch Planung zur Laufzeit und agentenbasierte Koordination gezielt einsetzen
können. Der Bezug zur Praxis wird durch Anwendungsbeispiele hergestellt. Die
Machbarkeit des Ansatzes wurde mit realen Maschinen im Rahmen des EU-Projekts
SkillPro und in einer Simulationsumgebung mit weiteren Szenarien demonstriert