Gutch, Ulrike

Regensburger Beiträge zur Heimatforschung (Universität Regensburg)

51Fundbrocken im Regensburger Anzeiger von 1919/1920von Ulrike GutchDie Soldaten des Ersten Weltkriegs hatten im Feld Unbeschreibliches mitge­macht. Für die, die den Heldentod gefunden hatten, gab es bestenfalls ein Grab auf einem der Soldatenfriedhöfe in der Fremde. Diejenigen, die in der Erfüllung ihrer vaterländischen Pflicht auf dem Schlachtfeld „nur“ invalid geworden waren, mussten sich daheim wegen einer mickrigen Invalidenrente mit den Behörden he­rumschlagen.Dann waren viele, Gott sei Dank, die das Glück hatten, wenigstens gesund an Leib, wenn sehr oft auch nicht an Seele, heimzukehren. Ihnen gegenüber zeigte sich das Vaterland erkenntlich in den „großzügigen“ Entlassungsgeschenken, wie sie zur Information der Berechtigten in den lokalen Blättern veröffentlicht wurde:	 Regensburger	Anzeiger,	Nr.	270	vom	Samstag,	7.	Juni	1919,	Spalte	7 Entlassungsgebührnisse der Kriegsgefangenen	 Zur	Vermeidung	von	Mißverständnissen	macht	die	Kriegsgefangenenhilfe	darauf	aufmerksam,	daß	alle	aus	Kriegsgefangenschaft	zurückkehrenden	Kriegsgefangenen	bei	ihrer	Entlassung	von	der	Heeresverwaltung	einen	Fahrschein	und	Marschgebührnisse	bis	zum	Entlassungsort,	ein	Entlas­sungsgeld	von	50	M,	ferner	Entlassungskleidung	oder	entsprechende	Geld­abfindung	erhalten,	die	Bedürftigen	von	der	Entlassungsstelle	einen	mehr­wöchigen	Urlaub	mit	Gebührnissen.	Die	Entlassungskleidung	besteht	aus:	bürgerlicher	Mütze,	bürgerlicher	Jacke	und	Weste,	bürgerlicher	Hose	und	bürgerlichem	Mantel,	1	Paar	Stiefel	oder	Schnürschuhe,	1	Paar	Strümpfe	oder	Fußlappen,	1	Hemd,	1	Unterhose,	1	Halsbinde	auf	Wunsch.	Zur	Vermeidung	von	Mißbräuchen,	die	durch	Verschweigung	dieser	Tatsachen	verschiedenlich	vorgenommen	werden,	besteht	ein	Interesse	daran,	darauf	hinzuweisen.52Da war eine vermögende Französin, eine „Angehörige des Feindes“, der ein deutscher Landser das Leben gerettet hatte, wesentlich großzügiger. Sie bedankte sich nach dem Krieg bei ihm mit einer Summe, die damals den Gegenwert ei­nes stattlichen Hauses mit Garten darstellte. Hoffentlich hat der gute Mann das Geld sofort in Grund und Boden oder andere Sachwerte umgewandelt und nicht auf die Bank gebracht. Bei letzterem wäre es drei Jahre später in der Inflation wie Schnee in der Sonne weggeschmolzen.	 Regensburger	Anzeiger,	Nr.	46,	Do,	29.	Januar	1920,	Spalte	8	 Bruck, 26. Jan.	Hans	Ehemann,	Schneider,	rettete	während	der	Offensive	im	Jahre	1918	einer	französischen	Grafentochter	das	Leben.	Sie	versprach	dem	Krieger,	ihn	nach	dem	Kriege	zu	belohnen.	Nun	trafen	als	Belohnung	20.000	Mark	ein.Zu allen Zeiten gibt es die Kriminellen, die die Ängste und Sorgen der Men­schen um ihre Angehörigen schamlos ausnützen um sich zu bereichern, wobei in unseren Tagen sich an die Opfer unter anderem über Telefon (etwa im „Enkel­trick“) oder Internet (zum Beispiel im „Romance­Scamming“) herangemacht wird. In früherer Zeit gab es dieses bequeme Kontaktieren nicht. Dennoch konn­ten Gauner genauso ihre gewissenlosen Maschen durchziehen und Gutgläubige und Unerfahrene um ihre sauer ersparten Mittel bringen. Am Ende des Ersten Weltkriegs konnte, solange unsere Kriegsgefangenen nicht heimgekehrt waren, eine Parallele zum „Enkeltrick“, nämlich der „Kriegsgefangenentrick“, die Runde machen:	 Regensburger	Anzeiger,	Nr.	274	vom	Mittwoch,	11.	Juni	1919,	Spalte	8	 Eine	Betrügerin	treibt	sich	in	hiesiger	Gegend	umher.	Sie	nennt	sich	Her­mine	Hertlein	und	gibt	sich	als	Norwegerin	aus.	Sie	macht	sich	an	Leute	heran,	die	Verwandte	in	der	Gefangenschaft	haben.	Unter	dem	Vorbringen,	ihr	Bruder	sei	vor	kurzem	aus	der	amerikanischen	Gefangenschaft	zurück­gekehrt,	und	habe	Grüße	von	dem	betreffenden	Gefangenen	mitgebracht,	lockt	sie	aus	den	Leuten	auch	dadurch	Geld	und	Lebensmittel	heraus,	daß	sie	erklärt,	es	gehe	dem	betreffenden	Gefangenen	nicht	besonders	gut,	sie	wäre	aber	bereit	Geld	und	Lebensmittel	mit	nach	Norwegen	zu	nehmen,	dort	würde	sie	diese	abschicken	und	in	3	bis	4	Tagen	könne	der	Gefangene	die	Sendung	bekommen.	Die	Betrügerin	verschwindet	dann	mit	den	ihr	übergebenen	Waren.	Sie	wird	beschrieben:	22–23	Jahre	alt,	etwa	1.70	Meter	groß,	volles	Gesicht,	ebensolche	Figur,	blond,	links	im	Oberkiefer	53große	Goldplombe,	Lodenhut,	braunes	Kostüm,	weiße	Bluse	und	führt	einen	Lederhandkoffer	bei	sich.Wir glauben naiverweise, dass in Kriegszeiten die Heeresgüter wie Panzer, Kraftfahrzeuge, Flugzeuge, Waffen und so weiter vom Staat zur Verfügung gestellt werden und Privatgüter wie Autos, Motorräder oder Pferde unangetastet bleiben. Aus Erfahrung in meiner Verwandtschaft weiß ich, dass dem leider nicht so ist. So wurde im Zweiten Weltkrieg nicht nur mein Onkel eingezogen, auch sein Auto wurde abgeholt – auf Nimmerwiedersehen, es war schließlich kriegsnotwendig. Ähnliches war im Ersten Weltkrieg meinem väterlichen Großvater, der Bauer war, widerfahren. Kurz nachdem er in den Krieg hatte gehen müssen, kassierte eine Kommission seine zwei Pferde – die wurden an der Front gebraucht, der Hof konnte sich ja mit Zugochsen durchbringen. Nur eines davon bekam er nach dem Kriege wieder, immerhin, auch wenn es mitgenommen war und Hochpäppeln benötigte. Das ganze Dorf lief damals zusammen und bestaunte dieses Wunder, denn auch anderen Bauern im Ort hatte man Pferde weggenommen, aber sie hat­ten keines mehr zurückbekommen.Sicher, Pferde an der Front können fallen und Fahrzeuge zum Schrott ver­schlissen werden, aber sie können ebenso nur ramponiert oder sogar relativ gut durchkommen, und dann möchte man meinen, würden sie zurückgegeben, so­fern sie von Privat wären. Allerdings findet solch eingezogenes Privates so selten den Weg zum Eigentümer zurück, daß die Frage erlaubt ist, ob nicht so manches davon sich unter den Heeresgütern befindet, die in den Turbulenzen nach Kriegs­ende auf nicht immer saubere Art verhökert werden oder verschwinden, wie wir hier erfahren müssen:	 Regensburger	Anzeiger,	Nr.	99,	Mo.	1.	März	1920,	Spalte	12	 Verschleuderung von Heeresgut.	Millionenwerte	sind	bei	der	überstürz­ten	Demobilmachung	dem	Volksvermögen	dadurch	entzogen	worden,	daß	aus	Heeresbeständen	Pferde	in	größerer	Anzahl	gestohlen	oder	von	unbe­fugten	Privat­	und	Militärpersonen	oder	durch	unzuständige	Stellen	(Sol­datenräte	usw.)	verschenkt	oder	zu	Schleuderpreisen	abgegeben	worden	sind.	An	diesen	unrechtmäßig	abgegebenen	Pferden	konnte	ein	Eigentumsrecht	nicht	erworben	werden,	so	daß	die	derzeitigen	Besitzer	die	Beschlagnahme	und	Wegschaffung	der	Pferde	zu	gewärtigen	haben.	Die	B.V.H.	(Bayerische	Verwertungsgesellschaft	für	Heeresgeräte)	ist	aber	bereit,	im	Fall	eines	wirt­schaftlichen	Bedürfnisses	solche	Pferde	zu	einem	angemessenen	Preise	den	derzeitigen	Besitzern	rechtmäßig	zu	übereignen.	Dieses	Entgegenkommen	54ist	jedoch	an	die	Voraussetzung	geknüpft,	daß	freiwillige	Meldung	durch	die	Pferdebesitzer	bis	31.	März	erfolgt	(siehe	Bekanntmachung	im	Anzeigenteil	unserer	heutigen	Nummer).	Zweifellos	werden	viele	Pferdehalter,	welche	in	den	damaligen	unruhigen	Zeiten	Pferde	auf	nicht	rechtmäßige	Weise	oder	zu	ganz	geringen	Preisen	an	sich	gebracht	haben,	mit	Freuden	diese	Gelegenheit	benützen,	nunmehr	die	Pferde	unter	günstigen	Bedingungen	zu	unanfechtbarem	Eigentum	erwerben	zu	können.

Fundbrocken im Regensburger Anzeiger von 1919/1920

https://www.heimatforschung-regensburg.de/3165/1/4_THG_2020_Gutch.pdf

Fundbrocken im Regensburger Anzeiger von 1919/1920

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