Steiniger, Judith

ZORA

Christine Christ-von Wedel: Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. Katharina von Zimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit

Zwingliana

267BuchbesprechungenBächtold erarbeitete die Edition aufgrund eines weitgehend voll-ständig erhaltenen Autographs. Die Kommentierung ist kurz, bün-dig, zweckmässig und damit leserfreundlich gehalten. BesondereErwähnung verdient der über 400 Seiten starke Registerband, derüber ein reiches Orts- und Personenverzeichnis sowie ein nützlichesSprachglossar verfügt. (= Teilband 3) Darüber hinaus findet sichdarin auf 62 Seiten ein Verzeichnis der handschriftlichen und ge-druckten Quellen, die Bullinger für seine immense Arbeit verwen-dete und die er in der Regel erwähnt. Bächtold hat sich dabei dieaußerordentliche Mühe gemacht, nachzuweisen, wo Bullinger dieentsprechenden Texte finden konnte, ob in seiner eigenen Biblio-thek, der Stiftsbibliothek am Grossmünster oder gar in der Bü-chersammlung eines seiner Zürcher Kollegen. Die vorliegende Aus-gabe kann als rundum gelungene editorische Meisterleistung be-zeichnet werden.Freilich hält man in diesen Tagen diese schönen und sauber ge-druckten Bände etwas wehmütig in den Händen angesichts dessen,dass wissenschaftlich edierte und kommentierte Editionen in derSchweiz zunehmend einen schweren Stand haben. So wird auch dieBullinger-Briefwechsel-Edition per Ende 2020 eingestellt werdenmüssen. Computerlinguisten sollen es nun richten. Bei allem Re-spekt vor den heutigen Möglichkeiten computergestützter Zeichen-erkennung: Die Erfassung und Erläuterung von Textsinn, und dar-um geht es in historisch-kritischen Editionen ebenso wie in sinn-vollen Übersetzungen, wird eine Maschine niemals leisten können.Es ist mir kein Land bekannt, in welchem man so fahrlässig mit dereigenen Geschichte und ihrem Reichtum an Quellen umgeht. His-toriker wissen, dass sich das rächen wird!Urs B. Leu, ZürichChristine Christ-von Wedel, Die Äbtissin, der Söldnerführer undihre Töchter. Katharina von Zimmern im politischen Spannungs-feld der Reformationszeit. Unter Mitarbeit von Irene Gysel, JeannePestalozzi und Marlis Stähli, Zürich: Theologischer Verlag Zürich,2019, 356 S. – ISBN 978–3–290–18255–7.Das Erscheinen dieses Buches im Zürcher Reformationsjahr 2019wurde am Abend des 24. Oktober 2019 im bis auf den letzten268 BuchbesprechungenPlatz besetzten Fraumünster Zürich unter Mitwirkung prominen-ter Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft feierlich began-gen. Das Buch fand äußerst lebhaftes Interesse und erschien auchbald darauf in einer zweiten Auflage. Die Erarbeitung und Heraus-gabe wurde ermöglicht von einer Reihe kirchlicher, öffentlicherund privater Sponsorinnen und Sponsoren, Stiftungen und Vereine,(siehe dazu 13 f.) was von dem ehrenden Andenken Zürichs an dieÄbtissin Katharina von Zimmern zeugt. Durch die großartige Leis-tung der Autorin Christine Christ-von Wedel und die unermüdlicheMitarbeit von Irene Gysel, Jeanne Pestalozzi und Marlis Stähli isteine hochinteressante Darstellung entstanden, die nicht nur für diekünftige Erforschung der Geschichte der Eidgenossenschaft im 16.Jahrhundert und der Zürcher Reformationsgeschichte unentbehr-lich sein wird, sondern auch ein weiteres Publikum anzusprechenvermag. Bei der Arbeit an dem Buch, das eigentlich zunächst einRoman werden sollte, (9f.) wurden so viele Dokumente in denArchiven gefunden, dass man zu der Entscheidung gelangte, sichausschließlich an die historischen Fakten zu halten. Daher wird nurdas dargestellt, was historisch gesichert ist. Was offen bleibt, wirdfolgerichtig in Form von Fragen oder mitunter auch als vorsichtigeVermutung formuliert. (vgl. etwa 108f.; 159f.; 234) Zudem ist derText meisterhaft und so klar und lebendig geschrieben, dass mansich bei der Lektüre in die Zeit hineinversetzt fühlt. Ihrem doppel-ten Ziel, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen und leicht les-bar zu sein, (10) wird die Arbeit in höchstem Maß gerecht. Einigeausgewählte Aspekte seien hier paraphrasierend hervorgehoben,um einen Eindruck von der Vielschichtigkeit des Werkes zu geben.Der Obertitel des Buches »Die Äbtissin, der Söldnerführer undihre Töchter« wird durch den Untertitel präzisiert: »Katharina vonZimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit«.Leider sind nicht sehr viele Zeugnisse von und über Katharina vonZimmern überliefert worden. (17f.) Erhalten sind heute nur nochverhältnismäßig wenige Dokumente, darunter immerhin »dieÜbergabeurkunde des Fraumünsterstiftes mit einer vorangegange-nen Verzichtserklärung«. (18; vgl. auch 63; 64, Abb. 14; 73f. mitAbb. 17) Zeitgenössische Aussagen über Katharinas Persönlichkeitsind nicht bekannt. Es ist auch kein Bildnis von ihr überliefert. (9)Doch auf der Grundlage ausgedehnter Nachforschungen und Ar-269Buchbesprechungenchivstudien haben die Autorin und ihre Mitarbeiterinnen das weit-verzweigte familiäre Umfeld Katharinas (so etwa das ihrer KusineTruchsessin Katharina von Waldburg, bis zur Berner ReformationVorsteherin des Klosters Königsfelden; 18; 24–32) erschlossen unddiese neu gewonnenen Details vor dem Hintergrund der Ereignissedes Reformationszeitalters präsentiert, wie der Untertitel des Bu-ches erkennen lässt. Dabei wertete die Autorin nicht nur schriftli-che Testimonien aus, sondern interpretierte beispielsweise, teils aufder Basis von bereits vorliegenden Studien, verschiedene Schnitze-reien, Sinnsprüche und allegorische Friese, (26; 130–143) mit de-nen Katharina von Zimmern von 1506 bis 1508 Korridore undStuben eines Traktes im Fraumünster geschmückt hatte – darunterKatharinas Motto, das Signet »WW V WW«. Darin stehen das»V« für den Stoss ins Herz, die vier »W« für die Nagelwunden unddie fünf Wunden zusammen für die Erlösung der Welt durch denKreuzestod Christi. (130–132 mit Abb. 41 f.) Solche materiellenZeugnisse geben mit ihrer Symbolik Auskunft über Katharinas Per-sönlichkeit, aber sie müssen erst auf scheinbaren Umwegen er-schlossen werden. (130) Wie Christine Christ-von Wedel nach-weist, spiegeln die allegorischen Ornamente in ihrer Vieldeutigkeit– sie waren für Menschen des 16. Jahrhunderts zugleich weltlichund geistlich zu verstehen (140) – unter anderem das Bild einerFrau, die es liebte, »mit Inhalten zu spielen und sie verwirrend zuvermischen«. (143) Diese Vieldeutigkeit der Allegorien findet eineEntsprechung in Schriften des berühmten Zeitgenossen Erasmusvon Rotterdam, und es wäre anachronistisch, wenn man geistlicheund weltliche Interpretationen voneinander trennen wollte. (141)In der Darstellung wird an verschiedenen Stellen aufgezeigt, (siehebeispielsweise 200–203; 242) welche Bedeutung die Schriften desniederländischen Bibelhumanisten Erasmus für die damalige Zeithatten – ein Spezialgebiet der im Jahr 2015 mit dem Wissenschafts-preis der Stadt Basel ausgezeichneten Historikerin Christine Christ-von Wedel. Im Schlusskapitel gelangt die Autorin unter anderem zuder Einschätzung, dass Katharina von Zimmern eine zeit ihres Le-bens angesehene Frau war, die sich in ihrer Zeit behaupten konnteund nicht nur über adliges Standesbewusstsein, sondern auch überkonfessionelle Schranken erhaben war. (242f.)270 BuchbesprechungenIm Gedächtnis Zürichs ist Katharina von Zimmern präsent alsdie Äbtissin, die Ende 1524 – die Urkunde datiert vom 8. Dezem-ber 1524 (64, Abb. 14) – der Stadt das Fraumünsterstift übergabund damit Blutvergießen, einen Bürgerkrieg, verhinderte. Sie er-hielt dafür vom Zürcher Rat eine hohe Rente (Leibgeding), Wohn-recht in der Abtei und die Befugnis, »unbevogtet über ihr Vermö-gen zu verfügen«. (69) Doch verlor sie an Achtung bei ihren Ver-wandten, zumal bei ihrem Neffen Froben Christoph Graf von Zim-mern, der in seiner Familienchronik hart über sie urteilte. (20–24)Bei der Übergabe des Fraumünsterstiftes machte Katharina vonZimmern geltend, dass sie entsprechend dem Willen ihres VatersJohann Werner von Zimmern, der sie in die Abtei gegeben habe,und des Rates handele. (60; 63 f.) In ihrer Argumentation ist keineBezugnahme auf die reformatorische Klosterpolemik zu erkennen.(57 f.; 66) Es ist auch deshalb vorstellbar, wie Christine Christ-vonWedel darlegt, dass Katharina von Personen beraten wurde, dieNetzwerken von Soldunternehmern in Zürich und Bern angehör-ten, zumal ihre Begründung der Übergabe mit dem politischen Zieldes Rates und Huldrych Zwinglis übereinstimmte, den überaus ge-fährdeten Frieden in der Eidgenossenschaft zu bewahren. (64; 66)Dies war auch das Ziel des Herzogs Ulrich von Württemberg, derals Geächteter, aus seiner Herrschaft Vertriebener damals nachZürich gekommen war. (65) Zu seinen Getreuen gehörte der Söld-nerführer, Diplomat und Beamte Eberhard von Reischach, denKatharina Anfang 1525, kurz nach der Übergabe des Fraumüns-ters, heiratete. (124f.) Eberhard war selbst aus Zürich wegen ver-botener Werbungen seit 1519 verbannt (18; 86) und hatte sichnach Schaffhausen geflüchtet – auch Katharina hatte einst flüchtenmüssen, als sie 10 Jahre alt und ihr Vater in die Acht gefallen war.(145) Katharina und Eberhard lebten zunächst in Schaffhausen,später in Diessenhofen, bis Katharina sich nach Eberhards Tod inder Schlacht von Kappel (11. Oktober 1531; 206f.) nach Zürichzurückzog, wo sie bis 1536 im ersten Stock des FraumünstersWohnrecht hatte, (210 mit Abb. 70) dann das Haus zum Brackenund später das Haus zum Mohrenkopf erwarb. (228f.) Es gibtHinweise darauf, dass das Paar eine partnerschaftliche Ehe führte.(siehe dazu 129) Katharina gebar im fortgeschrittenen Alter einenfrüh verstorbenen Sohn und eine Tochter Anna (geb. 1526/1528;271Buchbesprechungensiehe 151 und den Stammbaum auf Seite 349). Zudem hatte sie,worauf einige Spuren hindeuten, bereits in ihrer Zeit als Äbtissineine Tochter namens Regula zur Welt gebracht – eine schon frühergehegte Vermutung, die von der Autorin infolge neuer Forschun-gen erhärtet und belegt werden konnte. (12; 109–121; 349; sowie271 f.)Christine Christ-von Wedel erläutert ausführlich zahlreiche po-litische Ereignisse und Konflikte, von denen Zürich, die Eidgenos-senschaft und der süddeutsche Raum in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts erschüttert wurden. Thematisiert werden unter an-derem der Ittinger Sturm, das Auftreten Zwinglis als Prediger, derHuttenhandel, das Soldwesen, die Bauernunruhen, die Täuferfragesowie die Badener Disputation bis hin zu den beiden KappelerKriegen 1529 und 1531 sowie dem Schmalkaldischen Krieg1546/47. Dies ist eine der großen Stärken des Buches. Ohne Er-klärungen würde man die Geschehnisse jener aufgewühlten Jahr-zehnte nicht verstehen, und es wäre kaum möglich, sich vorzustel-len, was es die Menschen in einer Zeit »starker Parteibildungenund religiöser Intoleranz« (243) gekostet haben mag, wenn siesich, wie Katharina, »einer ausgrenzenden Konfessionalisierung«(244) zu entziehen suchten. So zeugt es von Großherzigkeit undMut, dass Katharina es zuließ, dass eine ihrer Stieftöchter und ihreTochter Anna sich katholisch verheirateten. (225–227; 243) Alseine der neuen Erkenntnisse deutet sich auch an, dass es in Züricheinflussreiche Personen gab, »welche die Grundlagen der Refor-mation befürworteten, aber der unduldsamen Politik Zwinglis ge-genüber skeptisch blieben«. (19) Wie Katharina über Zwingli ge-dacht haben mag, liegt im Verborgenen. (vgl. 159f.)Zürich wurde damals mit der im Sommer 1525 gegründeten»Schola Tigurina« zu einem Mittelpunkt »biblischer und huma-nistischer Gelehrsamkeit«, (198) in dem mit der Edition derFroschauerbibel von 1531 »die noch junge Tradition des Bibelhu-manismus« (203) aufblühte. Auch im Fraumünster war reforma-torisch gepredigt worden, (32) und Katharina von Zimmern hatreformatorische Schriften gelesen. (32–40) Im Jahr 1998 wurde einSammelband gefunden, der deutsche Schriften enthält, die zwi-schen 1520 und 1524 erschienen und von denen zwei Werke einehandschriftliche Widmung an Katharina aufweisen. (32, 271–274)272 BuchbesprechungenEinige Werke befassen sich mit den Auswirkungen der Reformati-on, ein Thema, das sie in ihrem Amt als Äbtissin gewiss interessierthaben wird. (32) Es findet sich auch Zwinglis Schrift »Von göttli-cher und menschlicher Gerechtigkeit« von Juli 1523 darunter, dieZwingli Katharina eigenhändig widmete. (38f. mit Abb. 10) Chris-tine Christ von Wedel führt aus, dass es plausibel scheint, dass derReformator die Äbtissin mit dem Text vertraut machen wollte,denn er rechtfertigte sich damit gegen den Vorwurf der Unruhe-stiftung, (vgl. 40) und er könnte vermutet haben, dass sie solcherKritik nicht abweisend gegenüberstand, zumal dem Fraumünsterseit 1523 Zinsen verweigert wurden und es zu Bilderstürmen kam.(40 f.) An dieser Stelle sei dankbar auf den von Marlis Stähli erar-beiteten, umfangreichen Teil im Anhang hingewiesen, in dem die-ser Handschriftensammelband und zahlreiche weitere handschrift-liche Quellen aus dem Zeitraum von 1519 bis 1608 detailliert mitihren historischen Hintergründen beschrieben und herausgegebensind. (270–327) Dort findet sich auch auf Seite 271 die Angabe,dass der erwähnte Sammelband mit Reformationsschriften ausdem Nachlass von Sebastian Uriel Appenzeller (1531–1589)stammte – jenem Sohn von Sebastian Appenzeller und Regula(Schwarz), der die Spuren für den Nachweis legte, dass seine Mut-ter Regula von Katharina von Zimmern und Eberhard von Reisch-ach abstammte. (siehe dazu 116–121; 271f.)Das Buch ist reich illustriert. Verweise am Seitenrand auf die imAnhang edierten Quellen erleichtern die Benutzung. Es ist unteranderem mit einem Verzeichnis gedruckter und handschriftlicherQuellen und Archivalien, einem Personenregister und Stammbäu-men (der Familien von Zimmern, von Reischach, von Mandach,Göldli und von Waldburg) sowie einer Zeittafel über Personen undEreignisse versehen und ist auf diese Weise ein ausgesprochen schö-nes Werk geworden. Zu wünschen bleibt, dass die Geschichte jenesruhelosen Jahrhunderts in künftigen Arbeiten gleichfalls so gründ-lich untersucht und so anschaulich dargestellt wird.Judith Steiniger, Zürich

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Christine Christ-von Wedel, Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. Katharina von Zimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit, 2019

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