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    Durch Eigennutz zum Gemeinwohl: Individualisierung, Reformation und der "Geist des Kapitalismus" : zur Entstehung und Bedeutung von Leonhard Fronspergers Schrift "Von dem Lob deß Eigen Nutzen" aus dem Jahre 1564

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    Im Jahr 1564 veröffentlicht der Ulmer MilitĂ€rexperte und -schriftsteller Leonhard Fronsperger die Schrift "Von dem Lob deß Eigen Nutzen", in der er darlegt, dass die konsequente Verfolgung des eigenen Nutzens als individuelle Handlungsmaxime im Ergebnis zu einer Förderung des Gemeinwohls fĂŒhrt. Das etwas mehr als hundert Seiten umfassende Werk wird in Frankfurt am Main, einem Zentrum des europĂ€ischen Buchdrucks und -handels, verlegt und findet ErwĂ€hnung im ersten veröffentlichten Katalog der Frankfurter Buchmesse. Fronsperger prĂ€sentiert seine fĂŒr die damalige Zeit durchaus revolutionĂ€re These in der Form eines satirischen Enkomions und unterlegt sie mit einer umfangreichen Gesellschaftsanalyse. Er stellt fest, dass die politischen Herrschaftsformen, die gesellschaftlichen Institutionen und die wirtschaftlichen Handelsbeziehungen auf einer konsequenten Verfolgung des eigenen Nutzens aller Akteure beruhen und dass sich die von der Kirche geforderte Ausrichtung des individuellen Handelns am Gemeinwohl in der RealitĂ€t nicht finden lĂ€sst. Vielmehr hĂ€lt er die Kritik der Theologen am egoistischen Handeln des Einzelnen fĂŒr falsch, empfindet er doch den Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Großen und Ganzen als gut funktionierend. Im Folgenden dokumentieren wir zunĂ€chst die Biografie des Autors, die Entstehung und Verbreitung des Werks und seine besondere literarische Form. Anschließend diskutieren wir die zentrale These in drei verschiedenen geistesgeschichtlichen Kontexten, die jeweils von besonderer Bedeutung fĂŒr die Herausbildung der neuzeitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftstheorien sind. Erkenntnis- und staatstheoretisch weist Fronspergers Werk deutliche Parallelen zu den Analysen auf, die NiccolĂČ Machiavelli und spĂ€ter Giovanni Botero in Italien zur Bedeutung der auf den individuellen fĂŒrstlichen Interessen basierenden StaatsrĂ€son bzw. zu den TriebkrĂ€ften erfolgreicher Stadtentwicklung vorlegten. Markante Unterschiede gibt es dagegen zu den Ansichten der deutschsprachigen Reformatoren im Anschluss an Luther, die zwar die Unterscheidung zwischen geistlicher und weltlicher SphĂ€re propagieren und damit die Entwicklung einer eigenstĂ€ndigen Moral fĂŒr das Wirtschaftsleben befördern, dort allerdings mehrheitlich die Orientierung am "Gemeinen Nutzen" propagieren. Indem Fronsperger dagegen die Verfolgung des Eigennutzes fordert, nimmt er wirtschafts- und gesellschaftstheoretische Einsichten ĂŒber das Wesen und die Auswirkungen der Arbeitsteilung vorweg, die erst 150 Jahre und spĂ€ter von Bernard Mandeville und Adam Smith in England und Schottland formuliert wurden. Das Werk Fronspergers bietet damit ein herausragendes Beispiel dafĂŒr, wie sich aus dem Zusammenspiel von wirtschaftlichem Erfolg, einem realistischen Menschenbild und manchen Aspekten der Reformation in deren Folge ein neues normatives VerstĂ€ndnis von den AntriebskrĂ€ften ökonomischer und gesellschaftlicher Dynamik entwickelt, das spĂ€ter als der "Geist des Kapitalismus" bezeichnet wird
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