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    Das semantische Netzwerk der Positionsverben. Von der konkreten Position bis zum abstrakten Zustand.

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    Da Positionsverben ihren Ursprung in den menschlichen Körperhaltungen haben, sind sie in den meisten Weltsprachen vorhanden (Newman 2002, Ameka & Levinson 2007). Prototypisch drücken sie eine konkrete Position aus (1): (1) Ich habe Rückenschmerzen, weil ich den ganzen Tag nur sitze. Trotz des fast universellen Charakters dieser Verben variiert ihr Gebrauchsmuster in den verschiedenen Weltsprachen stark. Während in den romanischen Sprachen ihre Verwendung auf eine konkrete Positionsbedeutung beschränkt ist, geht sie in den germanischen Sprachen weit darüber hinaus. So werden sie in der satelliten-orientierten Sprache Deutsch (Talmy 2000) in weitaus vielfältigeren Kontexten verwendet (u. a. Fagan 1991, Serra-Borneto 1996, De Knop & Perrez 2014, Hermann 2021). Durch eine Übertragung menschlicher Eigenschaften kommen diese Verben nämlich auch mit Tieren, Pflanzen, Gegenständen und abstrakten Entitäten vor. Die deutschen Positionsverben durchlaufen außerdem ein Kontinuum, das von einer sehr konkreten räumlichen Bedeutung zu einer bildhaften oder metaphorischen Bedeutung führt. So werden sie nicht nur für die konkrete Position von Entitäten, sondern auch für deren (konkrete oder abstrakte) Lokalisierung verwendet: (2) Der Mann sitzt seit 2 Jahren im Gefängnis. (3) Das Wort steht nicht im Wörterbuch. (4) Brüssel liegt in Belgien. Darüber hinaus können deutsche Positionsverben eine noch abstraktere Bedeutung aufweisen und somit einen Zustand (oder Vorgang) zum Ausdruck bringen. Dies ist der Fall bei prototypischen Funktionsverbgefügen (FVG): (5) Der Baum steht in Blüte. (6) Der Zug wird in Bewegung gesetzt. Obwohl dieses Position-Zustand-Kontinuum allen deutschen Positionsverben gemeinsam ist, wird in diesem Beitrag gezeigt, dass einige dieser Verben im Kontinuum mehr oder weniger stark vertreten sind. Weiter verfügt jedes Positionsverb über ein breites Spektrum an Bedeutungslesarten, die keineswegs willkürlich miteinander verbunden sind, sondern sich ebenfalls in einem logisch-strukturierten semantischen Netzwerk befinden. Jede Position ruft zahlreiche Bildschemata hervor, aus denen sich verschiedene Konzeptualisierungen ergeben. Hier ist ein Beispiel für das Verb stehen: Die stehende Position gilt als Standardposition des Menschen, in der er unterschiedliche körperliche Erfahrungen wahrnimmt, wie u. a. das Gleichgewicht, die Vertikalität und den Widerstand (Gibbs et al. 1994). Aus diesen Erfahrungen (oder Bildschemata) ergeben sich verschiedene Konzeptualisierungen, die die unterschiedlichen Bedeutungslesarten des Positionsverbs motivieren, z. B.: (7) Der Teller steht auf dem Tisch. (Konzeptualisierung „auf seiner Basis sein“; Bildschema: Gleichgewicht) (8) Dieser Mann steht seit Jahren unter Kontrolle. (Konzeptualisierung „Kontrolle und Dominanz“; Bildschema: Vertikalität) (9) Ich stehe hinter seiner Entscheidung. (Konzeptualisierung „Kraft“; Bildschema: Widerstand) In diesem Beitrag werden die Hauptergebnisse unserer semantischen Analysen für folgende Positionsverben präsentiert: stehen, sitzen, liegen und stellen, setzen, legen, versetzen. Wir konzentrieren uns auf deren Vorkommen mit obligatorischen Präpositionalphrasen in sogenannten „verbalen Mehrwortverbindungen“. Dazu gehören Kollokationen (ins Internet stellen), Idiome (auf der Hand liegen) und Funktionsverbgefüge (in Bewegung setzen). Wir stützen uns für diese Analyse auf eine Sammlung von Mehrwortverbindungen aus zwei komplementären Korpus-Untersuchungen (qualitative Daten aus dem DeReKo und quantitative aus dem Sketch Engine). Das Ziel dieser Präsentation besteht darin, die semantische Motiviertheit, die hinter dem Gebrauch der Positionsverben steckt, ans Licht zu bringen. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass der Gebrauch der Positionsverben in verbalen Mehrwortverbindungen sich anhand ihrer zugrundeliegenden Konzeptualisierungen und Bildschemata erklären lässt. Literatur Ameka, Felix K. & Stephen C. Levinson (Hrsg.) (2007): The Typology and Semantics of Locative Predicates: Posturals, Positionals, and Other Beasts. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. De Knop, Sabine & Julien Perrez (2014): Conceptual metaphors as a tool for the efficient teaching of Dutch and German posture verbs. In Review of Cognitive Linguistics 12(1), 1–29. Fagan, Sarah (1991): The Semantics of the Positional Predicates liegen/legen, sitzen/setzen, and stehen/stellen. Die Unterrichtspraxis 24, 136–145. Gibbs, Raymond W. Jr., Dinara A. Beitel, Michael Harrington & Paul E. Sanders (1994): Taking a Stand on the Meanings of Stand: Bodily Experience as Motivation for Polysemy. Journal of Semantics 11, 231–251. Hermann, M. (2021). Eine kontrastive Analyse von verbalen Mehrwortverbindungen mit Positionsverben im Deutschen und im Niederländischen. Dissertationsschrift (Manuskript) Bruxelles: Université Saint-Louis Bruxelles. Newman, John (Hrsg.) (2002): The Linguistics of Sitting, Standing and Lying. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. Serra-Borneto, Carlo (1996): „Liegen” and „stehen” in German: a study in horizontality and verticality.". In Eugene H. Casad (Hrsg.), Cognitive Linguistics in the Redwoods: The Expansion of a New Paradigm in Linguistics, 459–505. Berlin, New York: De Gruyter Mouton. Talmy, Leonard. 2000. Toward a Cognitive Semantics, Vol. 1: Concept Structuring Systems. Cambridge: MA: MIT Press

    Das semantische Netzwerk der Positionsverben: Von der konkreten Position bis zum abstrakten Zustand

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    Da Positionsverben ihren Ursprung in den menschlichen Körperhaltungen haben, sind sie in den meisten Weltsprachen vorhanden (Newman 2002, Ameka & Levinson 2007). Prototypisch drücken sie eine konkrete Position aus (1): (1) Ich habe Rückenschmerzen, weil ich den ganzen Tag nur sitze. Trotz des fast universellen Charakters dieser Verben variiert ihr Gebrauchsmuster in den verschiedenen Weltsprachen stark. Während in den romanischen Sprachen ihre Verwendung auf eine konkrete Positionsbedeutung beschränkt ist, geht sie in den germanischen Sprachen weit darüber hinaus. So werden sie in der satelliten-orientierten Sprache Deutsch (Talmy 2000) in weitaus vielfältigeren Kontexten verwendet (u. a. Fagan 1991, Serra-Borneto 1996, De Knop & Perrez 2014, Hermann 2021). Durch eine Übertragung menschlicher Eigenschaften kommen diese Verben nämlich auch mit Tieren, Pflanzen, Gegenständen und abstrakten Entitäten vor. Die deutschen Positionsverben durchlaufen außerdem ein Kontinuum, das von einer sehr konkreten räumlichen Bedeutung zu einer bildhaften oder metaphorischen Bedeutung führt. So werden sie nicht nur für die konkrete Position von Entitäten, sondern auch für deren (konkrete oder abstrakte) Lokalisierung verwendet: (2) Der Mann sitzt seit 2 Jahren im Gefängnis. (3) Das Wort steht nicht im Wörterbuch. (4) Brüssel liegt in Belgien. Darüber hinaus können deutsche Positionsverben eine noch abstraktere Bedeutung aufweisen und somit einen Zustand (oder Vorgang) zum Ausdruck bringen. Dies ist der Fall bei prototypischen Funktionsverbgefügen (FVG): (5) Der Baum steht in Blüte. (6) Der Zug wird in Bewegung gesetzt. Obwohl dieses Position-Zustand-Kontinuum allen deutschen Positionsverben gemeinsam ist, wird in diesem Beitrag gezeigt, dass einige dieser Verben im Kontinuum mehr oder weniger stark vertreten sind. Weiter verfügt jedes Positionsverb über ein breites Spektrum an Bedeutungslesarten, die keineswegs willkürlich miteinander verbunden sind, sondern sich ebenfalls in einem logisch-strukturierten semantischen Netzwerk befinden. Jede Position ruft zahlreiche Bildschemata hervor, aus denen sich verschiedene Konzeptualisierungen ergeben. Hier ist ein Beispiel für das Verb stehen: Die stehende Position gilt als Standardposition des Menschen, in der er unterschiedliche körperliche Erfahrungen wahrnimmt, wie u. a. das Gleichgewicht, die Vertikalität und den Widerstand (Gibbs et al. 1994). Aus diesen Erfahrungen (oder Bildschemata) ergeben sich verschiedene Konzeptualisierungen, die die unterschiedlichen Bedeutungslesarten des Positionsverbs motivieren, z. B.: (7) Der Teller steht auf dem Tisch. (Konzeptualisierung „auf seiner Basis sein“; Bildschema: Gleichgewicht) (8) Dieser Mann steht seit Jahren unter Kontrolle. (Konzeptualisierung „Kontrolle und Dominanz“; Bildschema: Vertikalität) (9) Ich stehe hinter seiner Entscheidung. (Konzeptualisierung „Kraft“; Bildschema: Widerstand) In diesem Beitrag werden die Hauptergebnisse unserer semantischen Analysen für folgende Positionsverben präsentiert: stehen, sitzen, liegen und stellen, setzen, legen, versetzen. Wir konzentrieren uns auf deren Vorkommen mit obligatorischen Präpositionalphrasen in sogenannten „verbalen Mehrwortverbindungen“. Dazu gehören Kollokationen (ins Internet stellen), Idiome (auf der Hand liegen) und Funktionsverbgefüge (in Bewegung setzen). Wir stützen uns für diese Analyse auf eine Sammlung von Mehrwortverbindungen aus zwei komplementären Korpus-Untersuchungen (qualitative Daten aus dem DeReKo und quantitative aus dem Sketch Engine). Das Ziel dieser Präsentation besteht darin, die semantische Motiviertheit, die hinter dem Gebrauch der Positionsverben steckt, ans Licht zu bringen. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass der Gebrauch der Positionsverben in verbalen Mehrwortverbindungen sich anhand ihrer zugrundeliegenden Konzeptualisierungen und Bildschemata erklären lässt. Literatur Ameka, Felix K. & Stephen C. Levinson (Hrsg.) (2007): The Typology and Semantics of Locative Predicates: Posturals, Positionals, and Other Beasts. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. De Knop, Sabine & Julien Perrez (2014): Conceptual metaphors as a tool for the efficient teaching of Dutch and German posture verbs. In Review of Cognitive Linguistics 12(1), 1–29. Fagan, Sarah (1991): The Semantics of the Positional Predicates liegen/legen, sitzen/setzen, and stehen/stellen. Die Unterrichtspraxis 24, 136–145. Gibbs, Raymond W. Jr., Dinara A. Beitel, Michael Harrington & Paul E. Sanders (1994): Taking a Stand on the Meanings of Stand: Bodily Experience as Motivation for Polysemy. Journal of Semantics 11, 231–251. Hermann, M. (2021). Eine kontrastive Analyse von verbalen Mehrwortverbindungen mit Positionsverben im Deutschen und im Niederländischen. Dissertationsschrift (Manuskript) Bruxelles: Université Saint-Louis Bruxelles. Newman, John (Hrsg.) (2002): The Linguistics of Sitting, Standing and Lying. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. Serra-Borneto, Carlo (1996): „Liegen” and „stehen” in German: a study in horizontality and verticality.". In Eugene H. Casad (Hrsg.), Cognitive Linguistics in the Redwoods: The Expansion of a New Paradigm in Linguistics, 459–505. Berlin, New York: De Gruyter Mouton. Talmy, Leonard. 2000. Toward a Cognitive Semantics, Vol. 1: Concept Structuring Systems. Cambridge: MA: MIT Press
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