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Per analogiam carnis: Zeitgeschichte diesseits und jenseits der Haut
"Vor bald zwanzig Jahren prägte die Verfasserin den Begriff der 'Geschichte des Körpers'. Die Forderung, das epochenspezifische Erlebnis des eigenen Körpers als etwas historisch Gewordenes zu verstehen, schien damals unerhört. Der Körper kam bestenfalls in der Kunst-, Symbol- oder Medizingeschichte vor, als der Körper des Modells, der Körper des Anderen, der Körper des Patienten. Darum ging es ihr von Anfang an nicht. Sie forderte das Studium der Wandlungen der 'somatischen' Selbstwahrnehmung als einen Grundpfeiler für Geschichte. Im Rückblick ist diese Forderung dringlicher nötig denn je. Seit damals hatte der Körper eine rasante Karriere in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Körperstudien füllen Regale und die Studierenden lernen ohne zu mucken, ihr Inneres als Schreibunterlage sozialer Programmatik zu besprechen. 'Körper' wurde zum 'Träger kultureller Codierungen' und als 'soziale Konstruktion' zur Selbstverständlichkeit. Konstrukte aus dem Labor, der Statistik, der Systemtheorie, den Betriebs- und Verwaltungswissenschaften wurden in wenigen Jahren zu 'Fleisch' in der Selbstwahrnehmung. Werden Konzepte der Wissenschaften zu Haut und Knochen im Selbst- und Lebensgefühl oder spiegeln die Gene, das Immunsystem, die neuronale Steuerung Grundkonzepte einer präzedenzlosen gesamtgesellschaftlichen Konstellation, der die Sozial- und Naturwissenschaftler nun physische Konsistenz geben? Dankt die Gesellschaft ihre Begrifflichkeit dem von Biologen entdeckten oder konstruierten Körper? Oder ist die Biologie eine Mattscheibe, durch die das, was im Alltagsbewusstsein gilt, dann auch durch die Physis - im Dunkel, wo Biologen, Genetiker, Neurologen ihre Mythopoiesis betreiben - Gültigkeit gewinnt? Diesen Fragen lässt sich nur nachgehen, wenn die Forscherin darin geübt ist, die Selbstverständlichkeiten der letzten Jahrzehnte aus historischer Distanz zu betrachten und sich mit somatischer Askese an der Aufforderung zur Entkörperung der Sinne zu befremden." (Autorenreferat
Vererbung und Selbstmanagement: Wie "Gen" den eigenen Leib zum Risiko macht
Die Autorinnen untersuchen in einem Projekt das "Unwesen", das das Wörtchen "Gen" in der Umgangssprache anrichtet. Sie nennen es das "Alltags-Gen" und konzentrieren sich auf die semantischen und praxeologischen Umrisse von "Gen", wenn es in der Umgangssprache vorkommt. Im ersten Teil wird knapp und stichwortartig das bisherige körpergeschichtliche Themenfeld absteckt und die Methodik der soziosomatischen Semantik erklärt, das Projekt der Körpergeschichte als "Bedeutungskunde der epochenspezifischen Prägung der Wahrnehmung" vorgestellt. Der zweite Teil macht folgende Punkte plausibel: Erstens wird klargestellt, dass es nicht eine wissenschaftliche Tatsache, sondern ein Irrglaube ist anzunehmen, die eigene Zukunft würde in Form eines genetischen Programms oder eines genetischen Fehlers bereits in einem stecken. Zweitens wird auf die Folgen dieser Hypostasierung statistischer Konstrukte als körperliches Etwas aufmerksam gemacht: Der eigene Leib wird zum Genträger, zum "statistischen Risikoprofil", und damit zur Ressource für das Management von Populationen (Biopolitik). (ICA2
Embodied Action, Enacted Bodies. The Example of Hypoglycaemia.
We all know that we have and are our bodies. But might it be possible to leave this common place? In the present article we try to do this by attending to the way we do our bodies. The site where we look for such action is that of handling the hypoglycaemias that sometimes happen to people with diabetes. In this site it appears that the body, active in measuring, feeling and countering hypoglycaemias is not a bounded whole: its boundaries leak. Bits and pieces of the outside get incorporated within the active body; while the centre of some bodily activities is beyond the skin. The body thus enacted is not self-evidently coherent either. There are tensions between the body¿s organs; between the control under which we put our bodies and the erratic character of their behaviour; and between the various needs and desires single bodies somehow try to combine. Thus to say that a body is a whole, or so we conclude, skips over a lot of work. One does not hang together as a matter of course: keeping oneself together is something the embodied person needs to do. The person who fails to do so dies
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