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Bilder Fontanes gegen den Tod: vom Versteckspielen zum kryptischen Erzählen
Dieser literarische Essay schließt an meine Dissertation über eine "kryptische", dem Leser sich entziehende Erzählweise Fontanes an und zeigt, inwiefern diese sich aus der Versteckspielpassion des Knaben Theodor entwickelt haben dürfte. Über Stunden hin tief im Heu verborgen und beinahe erstickend, hätte er sich "immer nur durch die glückselige Vorstellung aufrechterhalten: "Und wenn sie dich suchen bis an den Jüngsten Tag, sie finden dich nicht." So heißt es in seinen "Kinderjahren" (1893), wo Fontane dann noch den Triumph beschreibt, nach Abbruch des Spiels sich lässig der resignierten Suchmannschaft zuzugesellen. Ein solch elitäres, von den Mitspielern nie gefundenen Lieblingsversteck war offenbar ein Exerzitium, das ein eigenes utopisches Zeitgefühl aufkommen ließ.
Eine vergleichbar zeitentrückte oder schon zeitüberschreitende Verstecksituation ließ Fontane zunächst in Gedichten und Erzählungen wiederaufleben: In "Herr von Ribbeck auf Ribbeck" als Weiterleben über den Tod hinaus, indem der Alte in seinem Birnbaum-Grabversteck die eigenen knauserigen Nachkommen überlistet; in den Erzählungen "Ellernklipp" (1881), "Unterm Birnbaum" (1885) und "Quitt" (1890) als Verstecktwerden der Opfer durch Mörder und Totschläger, die von jenen aber heimgesucht und vernichtet werden; und für die beiden Stiefkinder in "Grete Minde" (1880) als das anfängliche Sehnsuchtsbild des Vogelnestverstecks, das sich für Grete im Zeichen des Schutz- und Racheengels ambivalent erfüllen soll. Allmählich jedoch beginnt Fontane wesentliche Dimensionen seines Erzählens selber zu verstecken. Vor allem in seinen Ehebruchsromanen verknüpft er den sexualsymbolisch erzählten Akt des Ehebruchs in einer förmlichen Tiefentektonik jedesmal mit dem Erzählanfang (der sich Herkommen und Besitz der Hauptfiguren gewidmet hatte) und ebenso mit dem Erzählende (mit der Beilegung des Ehekonflikts im Duelltod des Liebhabers und im Suizid der Frau). In dem ersten dieser Romane, in "L Adultera" (1882), ist es der Mutterleib, der insgeheim als Versteck der Liebenden eingerichtet wird und darüber hinaus die Zuflucht für das Neue sichert. Auch in der bald nachfolgenden Erzählung "Schach von Wuthenow" (1882) zieht sich - wiederum verschlüsselt - der Titelheld in den Mutterleib zurück und harrt im embryonalen Zustand seiner Neuerstehung.
Schachs Rückzug aus der Gegenwart in eine pränatale Existenzform hat sich im Ruppiner See auf halbem Wege hin zu Fontanes Geburtsstadt Neuruppin zugetragen. Das zeitüberschreitende und zugleich autoreflexive Motiv arbeitete Fontane in seinem poetischen Vermächtnis "Der Stechlin" (1898) weiter aus. Hier ist es das zentrale Symbol des sagenumwobenen märkischen Sees, diese noch vom Eis der Gegenwart verschlossene Sprudel- und Trichterstelle, die bei Fontane den Charakter eines Schutzverstecks für das Kommende gewinnt und zugleich das Heraustreten aus dem Versteck ankündigt. Denn der von Zeit zu Zeit krähend aus dem See aufsteigende rote Hahn steht nicht allein für die Utopie einer altruistischen Lebensform und das Hervorbrechen der noch subversiven gesellschaftspolitischen Strömungen, sondern auch für Fontanes Erzählen selbst, dessen versteckte Textschichten irgendwann einmal zutage treten müßten.
Jahrzehntelang führte Fontane eine Art Geheimprozeß gegen Lebenszeremoniell und -berechtigung der herrschenden Schichten Preußens. Auf nicht absehbare Zeit mußte er dabei seine Leser ausschließen und auch die eigene erzählerische Argumentation in ihrer Radikalität und Raffinesse verborgen halten. Diesem problematischen Zeitverhältnis und den Verlusten darin ist mit den üblichen Vorstellungen von Überlieferungsgeschichte nicht mehr beizukommen, weshalb ihm einige abschließende (tiefen-)hermeneutische Überlegungen gelten
Tötungsarten und Ermittlungspraktiken : Zum literarischen und kriminalistischen Wissen von Mord und Detektion
Cécile - Werkanalyse eines literarischen Suizids unter dem Gesichtspunkt soziologischer Handlungsmodelle
Die vorliegende Dissertationssschrift widmet sich der Analyse des Romans 'Cécile' von Theodor Fontane unter dem Gesichtspunkt soziologischer Handlungsmodelle. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Erklärung und Interpretation der Suizidhandlung der Figur Cécile. Hiefür werden aus der strukturell-individualistischen Suizidtheorie von Christa Lindner-Braun Hypothesen deduktiv abgeleitet, die anschließend innerhalb der literarischen Beobachtung überprüft werden. Es zeigt sich, daß die Figur Cécile in der literarischen Darstellung alle notwendigen - aus der Theorie abgeleiteten - Voraussetzungen erfüllt, bezogen auf die Suizdhandlung, die Handlungstendenz zum Suizid, die Motivationsstruktur und die situationalen Randbedigungen. Zudem konnte nachvollzogen werden, warum die Figur im Rahmen sozialer Institutionen nur mangelhaft in Gesellschaft eingebunden ist. Zu diesem Zweck wird auf Stigmatisierungseffekte, die Ehr- und Duellkulur im Deutschen Kaiserreich, den politischen und historischen Kontext und die Auswirkungen gesellschaftlicher Vorstellungen von Liebe eingegangen
Konstruktionen weiblicher Libertinage im Fin de Siècle anhand ausgewählter Prosawerke Arthur Schnitzlers und Franziska zu Reventlows
In der vorliegenden Dissertation geht es um Konstruktionen weiblicher Libertinage im Fin de Siècle anhand ausgewählter Prosawerke Arthur Schnitzlers und Franziska zu Reventlows. Diese Arbeit setzt sich demnach mit Autor*innen auseinander, die ihre Frauengestalten immer wieder in gesellschaftlichen Grauzonen verortet und so eine Vielzahl libertinärer weiblicher Figuren geschaffen haben; aufgrund der gattungsinternen Vergleichbarkeit wird die Textgrundlage jedoch auf eine Auswahl von Prosawerken beschränkt, die nach den drei Themenfeldern Mutterschaft, Tabubruch und Ortlosigkeit kategorisiert bearbeitet werden. Vorab erfolgt in einer theoretischen Hinführung die Beschäftigung mit der feministischen Literaturtheorie bis hin zu den Gender Studies; wobei Judith Butlers Theorie der Geschlechterperformativität fokussiert wird. In der darauf folgenden historischen Herleitung des Libertinage-Konzepts geht es zunächst um eine mentalitätsgeschichtliche sowie literarische Einordnung, bevor der Libertinage-Begriff auf die Gegebenheiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bezogen wird. In einem letzten theoretischen Abschnitt wird ein sozialhistorischer Überblick der bürgerlichen Gesellschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert vorgestellt, der das Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt entfaltet, in dem sich die später analysierten Protagonistinnen bewegen. Auf der Basis dieser Befunde erfolgt die Analyse der ausgewählten Werke, die nach den drei genannten thematischen Schwerpunkten gruppiert werden. Dabei wird jeweils zunächst die soziale Einbindung der Protagonistinnen erläutert und anschließend die Konstruktionen der Weiblichkeit dieser Figuren - mit Rückgriff auf den einleitend vorgestellten Theorierahmen - betrachtet.This dissertation deals with constructions of female libertinage in the Fin de Siècle on the basis of selected prose works by Arthur Schnitzler and Franziska zu Reventlow, who are known as authors who repeatedly located their female characters in social gray areas and thus, created a multitude of libertine female figures. For reasons of comparability within the genre, however, the textual basis is limited to a selection of prose works, which are categorized according to the three thematic fields of motherhood, breaking taboos, and placelessness. Firstly, a theoretical introduction deals with feminist literary theory and extends to gender studies, focusing on Judith Butlers theory of gender performativity. In the following historical derivation of the concept of libertinage, the focus is first on a historical mentality and literary classification, and then the concept of libertinage is related to the circumstances of the 19th and early 20th century. In the final theoretical section, a socio-historical overview of bourgeois society in the 19th and early 20th centuries is presented, which reveals the tension between tradition and progress in which the protagonists, who are analyzed later, operate. On the basis of these findings, the analysis of the selected works takes place, which are grouped according to the three thematic foci mentioned above. In each case, the social integration of the protagonists is first explained and then the constructions of femininity of these figures - with recourse to the theoretical framework presented in the introduction - are considered.von Yvonne Ruhose ; Betreuende Hochschullehrer Prof. Dr. Norbert Otto Eke, PD Dr. Stefan ElitTag der Verteidigung: 31.05.2021Universität Paderborn, Dissertation, 202
