Neues Archiv für sächsische Geschichte

Schütz, Johannes

406 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionenm. ch. härtEl/k. kraFt/d. linnEmann/r. lösEl (Hg.), Kleider in Bewegung, Petersberg 2020).„Seide, Samt und feiner Zwirn. Oberlausitzer Bekleidung zwischen 1800 und 1870“ zeigt in herausragender Weise, wie die in Museumssammlungen schlummern-den textilen Schätze, das Potenzial besitzen, kulturhistorische Fragestellungen aufzu-werfen und sie zu beantworten. Neben der aktuellen Tendenz, in großen Digitalisie-rungsprojekten die Museumsbestände zu erfassen, darf nicht aus dem Blick verloren werden, wie wichtig die Präsenz, die textile und stoffliche Materialität, das Gemacht-Sein von Kleidung, die sicht- und begreifbaren Tragespuren für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn sind.Nidderau (Hessen)  Regina LöselbirGit Mandel/birGit Wolf, Staatsauftrag: »Kultur für alle«. Ziele, Pro-gramme und Wirkungen kultureller Teilhabe und Kulturvermittlung in der DDR, transcript, Bielefeld 2020. – 306 S., brosch. (ISBN: 978-3-8376-5426-4, Preis: 25,00 E).Der Anspruch, einen anderen deutschen Staat zu begründen und die Massen nicht nur an der Regierung, sondern auch den vielfältigen Entwicklungen der „bürgerlichen Lebensführung“ zu beteiligen, beeinflusste in der DDR zentral die „Kulturpolitik“. Die vielfältigen Steuerungsversuche von Kulturrezeption ebenso wie Kunstproduk-tion in Betrieb, Schule und Freizeit waren integraler Bestandteil der „Beteiligung der Massen“ ebenso wie ein Baustein bei der Erziehung zur „sozialistischen Persönlich-keit“. Auf mehr als 2 000 Seiten hat Gerd Dietrich in seinem umfangreichen, dreibän-digen Werk diese kulturpolitischen Ideen, Maßnahmen und Umsetzungen in mannig-faltigen Verästelungen untersucht und die Reaktionen der adressierten Bevölkerung herausgearbeitet (dErs., Kulturgeschichte der DDR, Göttingen 2019). Das hier zu rezensierende Werk knüpft an diese Arbeit an und bietet eine Einführung in „Ziele, Programme und Wirkungen“ dieser kulturpolitischen Maßnahmen, die in der DDR einen erheblichen Anteil des Staatshaushalts ausmachten.Das Werk gliedert sich dabei sehr übersichtlich und sofort einleuchtend in drei Teile: Im ersten Teil werden die kulturpolitischen Programme vorgestellt und die ein-zelnen Institutionen der Kulturvermittlung kurz präsentiert. Diese „Infrastruktur“ bestand unter anderem aus Betriebsgruppen, Interessengemeinschaften und Arbeits-gemeinschaften des Kulturbundes, Kulturhäusern, Opernhäusern, Theatern, Museen – hier vor allem in der Breite die massenweise neu ausgerichteten Heimatmuseen – die verschiedenen Klubs (der Werktätigen, für die Jugend, auf dem Dorf). Diese umfas-senden kulturpolitischen Initiativen und Institutionengründungen sollten den Massen helfen, die „Höhen“ der „klassischen“ Kultur zu erklimmen, um diese zur selbstbe-wussten Arbeit an der „Volkskunst“ zu ermächtigen. Die adressierten „Werktätigen“ entzogen sich vielfachauch dem erzieherischen Impetus der Maßnahmen und wünsch-ten sich vor allem Unterhaltung und Geselligkeit von Freizeitveranstaltungen – wobei sich diese durchaus mit Kunstgenuss verbinden ließen, wenn Kunst nicht allein auf Hochkultur festgelegt wurde. An dieser Stelle wäre es wünschenswert gewesen, wenn die einzelnen Positionen von Quellen und Forschung aufeinander bezogen worden wären, da die DDR-Umfragen durchaus kritisch gelesen werden könnten.407Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenDer zweite Teil widmet sich 32 „Experteninterviews“ und wertet diese hinsichtlich der Fragestellung aus, wie die Erfahrungen mit den „Strukturen und Wirkungen von dem [sind], was wir heute als kulturelle Teilhabe und Kulturvermittlung bezeichnen“ (S. 73). Die interviewten Personen vertreten dabei unterschiedliche soziale Gruppen, politische Haltungen und generationelle Zugehörigkeiten; dadurch versprechen sich die Autorinnen eine möglichst differenzierte Sicht auf Kunst und Kultur im DDR-All-tag. Dabei wird den Expertinnen und Experten zugeschrieben, eine besondere Exper-tise in Kunst- und Kulturpolitik zu haben und dementsprechend empirisch belastbar sprechen zu können. Im Wesentlichen bestätigen die Interviewten auch das ambiva-lente Bild. Den „ambitionierten“ Zielen und politischen Indienstnahmen unterwarfen sich die adressierten Menschen nicht willenlos, vielmehr waren die Rahmenbedingun-gen für Kulturangebote vor Ort auszuhandeln und an lokale Bedingungen anzupassen. Abschließend verweisen die Interviews auf die Auseinandersetzungen der Gegenwart – verdichtet im „Dresdner Kunststreit“ – weil sie auf die Marginalisierung und Her-abwürdigung von DDR-Kunst und kulturpolitischen Errungenschaften zu sprechen kommen. Jedoch ist die Gesamtkonzeption des Kapitels durchaus fragwürdig: Der Unterschied zwischen Experten und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die im dritten Kapitel behandelt werden, wäre viel deutlicher zu problematisieren. Die Auswertung der 32 Experteninterviews zeigt eine analytische Schwäche dieser Unterscheidung auf. Ein Experte ist vor allem eine gesellschaftliche Rolle, die Sonderwissen passgenau für spezifische Situationen verfügbar hält. Indem die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus diesem Zusammenhang herausgenommen werden, da sie vermeintlich eine unmittel-bare Zeitzeugenschaft haben, die Experten wiederum als geradezu objektive Beobach-terinnen und Beobachter der Prozesse hervorgehoben werden, wird ihren Ausführun-gen ein anderer Aussagewert zugeschrieben, den sie so aber nicht haben: auf der einen Seite das erfahrungsgesättigte Sonderwissen, das sich durch „ein breites Spektrum an Erfahrungen“ bilde und auf der anderen Seite das authentische Erleben und der un-mittelbare Einblick in den Alltag der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Diese Unter-scheidung geht nicht auf. Vielmehr handelt sich zum Großteil selbst um Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, deren Befragung mit einem spezifischen Fokus untersucht werden könnte. Dass sich darunter auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Gerd Dietrich oder Dietrich Mühlberg versammeln, irritiert zusätzlich, da sie ihre Expertise vor allem auf wissenschaftliche Beobachtungen gründen – ihnen kommt sicherlich der Status eines Experten zu, aber in anderer Bedeutung als im Buch verhandelt.Im dritten Kapitel kommen schließlich 60 weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort, erneut mit einer möglichst breiten generationellen, sozialen und politischen Streuung. Sie wurden nach dem Erleben von Kultur, von politischer Beeinflussung, nach eigenen Aktivitäten befragt, ebenso wie nach den Wirkungen und Wahrnehmun-gen der Kulturpolitik insgesamt. Zentrale Erkenntnis ist die Aneignung von Kunst und Kultur und auch die subversive Deutung, wenn die verschiedenen Lesarten erprobt und erweitert werden und Kunst somit sogar einen Freiraum zu schaffen schien. Die-ser Teil ist deutlich kürzer und im Zentrum steht eine Zitatesammlung der Interview-ten. Den Abschluss bilden zwei kurze Kapitel. Exemplarisch stellt das vierte Kapitel die Kulturvermittlungsarbeit an drei Einrichtungen vor und das fünfte Kapitel bündelt die Erkenntnisse in eine Synthese, die vor allem aktuelle Debatten um kulturelle Teil-habe historisch informieren möchte. Im Anhang finden sich dann ausgewählte Inter-viewtranskripte der Experteninterviews.Das Buch liefert eine sehr grundsätzliche Einführung in den Staatsaufbau der DDR, um die Kulturpolitik zu erklären. Es werden alle Institutionen der Kunst und Kul-turvermittlung kurz in wenigen Abschnitten vorgestellt. Damit richtet sich das Buch 408 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionennicht vorwiegend an Historikerinnen und Historiker, vielmehr scheint die Haupt-zielgruppe Studierende der Kunstvermittlung und des Kulturmanagements zu sein. Zugleich dürfte mit diesem Zielpublikum Perspektive und Zuschnitt begründet sein. Da dieses mit dem Kulturbegriff wie selbstverständlich umgeht, bedarf es vermutlich keiner Definition mehr. Jedoch hat dem Autor der Rezension die Definition gefehlt. Dass Kultur, Kulturpolitik, Kulturvermittlung und Kunstpolitik allesamt begrifflich nicht näher bestimmt werden, erschwert den Einstieg in das Buch. Die größte Irrita-tion löst jedoch der Umgang mit Quellen und Forschungsliteratur aus. Vielfach stehen Aussagen und Paraphrasen unverbunden nebeneinander, die Aussagewerte und Beleg-kraft der unterschiedlichen Texte werden nicht thematisiert, vielmehr verschwimmen hier die Ebenen. Die Aneinanderreihung von Zitaten und Fakten will Authentizität herstellen, die wenigen einordnenden Deutungen nehmen die verschiedenen Quellen – ob offizielle DDR-Propaganda oder subjektiver Erfahrungsbericht – viel zu sehr beim Wortlaut und lassen vielfach die Kritik vermissen. In den Kapiteln zur Auswertung der Interviews wird den wörtlichen Zitaten erheblicher Raum gelassen, während die Deutung und Interpretation nur in Ansätzen erfolgen. Dementsprechend heißt es im einführenden Text, dass so „die vielschichtigen Facetten der Realität der Kulturver-mittlung in der DDR zu fassen“ (S. 13) seien – ein Trugschluss, der in jedem histori-schen Proseminar ausgeräumt werden würde. Und somit ist abschließend leider fest-zustellen, dass die anspruchsvollen und vielversprechenden Vorhaben an methodischer Kurzsichtigkeit scheitern, die sicherlich durch geschichtswissenschaftliche Expertise zu vermeiden gewesen wäre.Dresden  Johannes SchützMarc Meissner, Mit Pinsel und Farbe zwischen Kohle und Chemie. Bernhard Franke & Walter Dötsch: Maler, Grafiker und Pioniere des DDR-Volkskunst-schaffens aus Bitterfeld (Wissenschaftliche Reihe des Bernhard-Franke-Förder-vereins, Bd. 1), Theuerdank Verlag, Königsbrunn 2023. – 187 S., 45 Abb., geb. (ISBN: 978-3-945350-00-3, Preis: 15,00 E).Die hier vorgestellten professionellen Künstler und Laienschaffenden waren Doku-mentaristen ihrer Zeit und Landschaft, der Bitterfelder Industrieregion. Damit bringt das Buch beachtenswerte Bausteine in die DDR-Kunst- und Kulturgeschichte, nicht zuletzt in die Regional- und Ortsgeschichte ein. Lange vor dem „Bitterfelder Weg“, vor den zentralen kulturpolitischen Konferenzen 1959 und 1964 in Bitterfeld, wurden mit der Errichtung von Werksvolkshochschulen und Kulturabteilungen Vorausset-zungen für eine betriebliche Kulturarbeit geschaffen. Hinzu kam die Bereitschaft eines zunächst kleinen Kreises von Künstlern, zu denen Bernhard Franke (1922–2004) und Walter Dötsch (1909–1987) gehörten, Verbindung mit den Betrieben aufzunehmen. Dafür gab es in den endvierziger Jahren auf der Suche nach Lebenssinn und existenziel-ler Absicherung unterschiedliche Beweggründe der Künstler. Das Angebot von jähr-lich einem Waggon Deputatkohle bewog beispielsweise 1950 Bernhard Franke, den Laienzirkel im Braunkohlenwerk Bitterfeld anzuleiten. Für ihn wie für Walter Dötsch, der ab 1949 und 1950 die betriebliche Kulturarbeit in Wolfen und Bitterfeld unter-stützte, bedeutete die Möglichkeit eines zusätzlichen materiellen oder Gelderwerbs eine bescheidene Chance und Anerkennung. Diese galt es allerdings auch gegenüber Skeptikern und Nihilisten in Künstlerkreisen zu verteidigen. Waren die künstlerischen Wege von Franke und Dötsch schließlich selbstbestimmt und enthusiastisch, so blie-ben sie von Ressentiments und Widersprüchen begleitet. Dem Jahrzehnte währenden 

German

Birgit Mandel/Birgit Wolf, Staatsauftrag: »Kultur für alle«. Ziele, Programme und Wirkungen kultureller Teilhabe und Kulturvermittlung in der DDR

Ristau, Daniel

Andrea Lorz, Damit sie nicht vergessen werden! Eine Spurensuche zum Leben und Wirken jüdischer Ärzte in Leipzig // Andrea Lorz, Was ist geblieben? ... // „Uns eint die Liebe zum Buch“. Jüdische Verleger in Leipzig 1815–1938 // Channa Gildoni. ...

Zloch, Stephanie

Sachsen und der Kolonialismus im „langen“ 19. Jahrhundert

Hengst, Karlheinz

Beobachtungen zur Mitwirkung des Markgrafen von Meißen sowie der Reichsministerialen beim Landesausbau im Westerzgebirge im 12. Jahrhundert

Bünz, Enno

397Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenWie die Herausgeber im Vorwort betonen, hat Hans Schneider die Beiträge alle durchgesehen und ergänzt. Da ein Aufsatz mit Erscheinungsjahr 2021 enthalten ist, verwundert es nur ein wenig, dass drei weitere Aufsätze Schneiders zum Thema fehlen: Eine Widmungszuschrift des Augustiners Johannes Lang an einen Erfurter Ordens-bruder (1512), in: Jahrbuch für Erfurter Geschichte 15 (2020), S. 125-146; 1481 oder 1490? Der Versuch einer Klosterreform im Augustinerkloster Schmalkalden, in: Jahr-buch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 36 (2021), S. 23-28; Lorenz Süße (1469–1549): Augustinereremit und erster evangelischer Prediger in Nordhausen, in: Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen 46 (2021), S. 118-132.Der reiche Inhalt wird durch ein Orts- und Personenregister erschlossen. Von den Augustinereremitenklöstern finden sich einige Nachweise für Grimma und Waldheim, nicht aber für Altendresden, doch kann hier schon auf die im Druck befindlichen Artikel des Sächsischen Klosterbuchs verwiesen werden.Leipzig Enno BünzDie evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Generalregister, begründet von Emil Sehling, bearb. von karin mEEsE, hrsg. von Eike Wolgast, Mohr Siebeck, Tübingen 2020. – VIII, 265 S., Ln. (ISBN: 978-3-16-159138-9, Preis: 149,00 E).Die Herausgabe der evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (EKO) ge-hört zu den großen Editionsunternehmungen der deutschen Geschichtswissenschaft. Nach gut 120 Jahren Bearbeitungszeit konnten die EKO nun erfolgreich abgeschlossen werden. Was Anfang des 20. Jahrhunderts unter der tatkräftigen Herausgeberschaft des Juristen Emil Sehling begonnen wurde, konnte dann in mehreren Schüben und unter Überwindung zeitweilig großer organisatorischer und finanzieller Schwierigkeiten seit 2002 unter dem Dach der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und unter der Leitung des Frühneuzeithistorikers Eike Wolgast erfolgreich abgeschlossen werden. Als Ergebnis liegen 24 Bände in 30 Teilbänden vor, die das gesamte Heilige Römische Reich sowie das einstige Deutschordensland (Band 4), das Baltikum (Band 5) und Siebenbürgen (Band 24) abdecken. Die Abschlussfinanzierung des Akademievorha-bens machte es möglich, in einem letzten Arbeitsjahr ein Generalregister für sämtliche Bände bearbeiten zu lassen, für das Karin Meese verantwortlich zeichnet.Dass dieses Generalregister hier besprochen wird, ist auch dem Umstand geschul-det, dass das Editionsvorhaben unter der Herausgeberschaft von Emil Sehling mit zwei Bänden über „Sachsen und Thüringen nebst angrenzenden Gebieten“ eröffnet wurde. 1902 erschien der erste Halbband „Die Ordnungen Luthers. Die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete“, 1904 der zweite Halbband, dessen umständlicher Titel die Komplexität der mitteldeutschen Territorialwelt widerspiegelt: „Die vier geistlichen Gebiete (Merseburg, Meißen, Naumburg-Zeitz, Wurzen), Amt Stolpen mit Stadt Bischofswerda, Herrschaft und Stadt Plauen, die Herrschaft Ronneburg, die Schwarz-burgischen Herrschaften, die Reußischen Herrschaften, die Schönburgischen Herr-schaften, die vier Harzgrafschaften: Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Regenstein, und Stift und Stadt Quedlinburg, die Grafschaft Henneberg, die Mainzischen Besitzungen (Eichsfeld, Erfurt), die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das Erzbisthum Magdeburg und das Bisthum Halberstadt, das Fürstenthum Anhalt“. Der dritte Band (erschienen 1909) erfasste dann neben der Mark Brandenburg und Schlesien auch die „Markgrafthümer Ober-Lausitz und Nieder-Lausitz“, die im Laufe des Dreißigjähri-gen Krieges 1635 an Kursachsen fielen.398 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenZwar sind alle Bände der EKO mit Personen-, Orts- und Sachregistern erschienen, aber das nun vorliegende Generalregister bietet doch einen Mehrwert. Es wurde zwar nicht neu unter Überprüfung aller Lemmata und Seitennachweise der Bandregister bearbeitet, was in dem einen Arbeitsjahr ohnehin unmöglich gewesen wäre, sondern es wurde durch Kompilation der Bandregister zusammengeführt. Bei der Suche nach be-stimmten Personen und Dynastien, Orten und Territorien muss man nun nicht mehr die Register der Einzelbände durchforsten, sondern hat durch das Generalregister einen bequemen Zugriff, man denke nur an Lemmata wie Luther (S. 45 f., drei Druckspalten mit Nachweisen), Melanchthon (S. 49, zwei Druckspalten) oder Bugenhagen (S. 13), aber auch für Fürsten wie Moritz von Sachsen finden sich Nachweise aus immerhin neun Bänden der EKO. Einen Mehrwert bietet der Registerband vor allem „durch die Vereinheitlichung der Begrifflichkeiten und die Untergliederung in thematische Ein-heiten“, wie die Bearbeiterin betont (S. VII). Nicht aufzulösen war hingegen bei dem umfangreichen Sachregister der Umstand, dass die Bearbeiter der Einzelbände hier je nach Interessenlage unterschiedliche Akzente gesetzt haben, die sich nur durch eine völlige Neubearbeitung der Sachregister hätten ausgleichen lassen. Gleichwohl ist der Nachweis der Sachen (S. 147-265) von „Abendländisches Schisma“ bis „Zwinglianer“ das Arbeitsinstrument, das die 30 Bände EKO künftig in ganz neuer, weil systemati-scher Weise zugänglich macht. Man betrachte nur einmal das (wenig überraschend) besonders umfangreiche Lemma „Abendmahl“ (S. 147-150) mit seinen Unterbegriffen wie Brot, Erstkommunion, Handkommunion, Stehen, Vermahnung, Würdigkeit/Un-würdigkeit etc., und weitere umfangreiche Lemmata wie „Festtage“, „Katechismus“ oder „Schule“. Dabei ist im Blick zu behalten, dass eine ganz konsequente Vereinheit-lichung bei einem solchen Unternehmen nie möglich ist. Neben dem Lemma „Pfarrei“ finden sich auch „Landpfarrei“ und „Dorfpfarrei“, nicht aber „Stadtpfarrei“. Manches scheint auf zu viele Lemmata verteilt, anderes zu konsequent zusammengefasst, siehe beispielsweise unter „Register“ (S. 235 f.) die zahlreichen Nachweise für administrative Aufzeichnungen wie „Bußregister“, „Kirchenbücher“, „Rechnungsbücher“, „Tauf-bücher“ und so weiter. Hier zeigt sich wieder, dass es lehrreich ist, nicht nur die Quel-len selbst, sondern auch die zugehörigen Register zu lesen. Man findet dabei immer wieder Dinge, die man gar nicht gesucht hat.Ganz wird man auf die Register zu den Einzelbänden der EKO auch künftig nicht verzichten können, denn aus Gründen des Umfangs wurden die Nachweise für theolo-gische Schriften, Gesang- und Schulbücher sowie von Verträgen nicht in das General-register übernommen (S. VIII). Zur Einführung in die Quellenmaterie kann auch das Buch von EikE Wolgast, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts als kodifizierte Reformation (Stuttgart 2021) verwiesen werden (siehe dazu meine Be-sprechung im vorliegenden Band). Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sämt-liche Bände der EKO nun auch digital verfügbar sind (https://digi.hadw-bw.de/view/eko, Zugriff 20. August 2023), allerdings nicht – oder noch nicht – das Generalregister.Leipzig Enno Bünzeike WolGast, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts als kodifizierte Reformation. Ergebnisse eines Heidelberger Editionsvorhabens (Heidelberger Akademische Bibliothek, Bd. 6), Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2021. – VIII, 213 S., Ln. (ISBN: 978-3-520-90006-7, Preis: 19,90 E).Die Bedeutung der Kirchenordnung für die Durchsetzung der Reformation, die Etablierung evangelischer Landeskirchen und die Normierung der kirchlichen Lehre 

Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Generalregister, begründet von Emil Sehling, bearb. von Karin Meese, hrsg. von Eike Wolgast

Müsegades, Benjamin

363Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionen(Nr. 387) oder Florenz (Nr. 756), sie lassen Handelsgeschäfte beglaubigen oder mieten Marktstände an. Dem Kaufmann Raffael von Florenz spielte man 1507 übel mit, erst wurde er bestohlen und anschließend bot man ihm das Diebesgut zum Rückkauf an (Nr. 865). Das vergleichsweise häufi ge Vorkommen von Nürnberg (21 Einträge) ist ein deutliches Zeichen für die engen Beziehungen, die zu dieser Zeit zwischen Leipzig und der fränkischen Reichsstadt und Wirtschaftsmetropole bestanden.Beschlossen wird der Band durch ein kurzes Literaturverzeichnis sowie durch – nach Stichproben zu urteilen – weitgehend verlässliche Indizes der Personen- und Ortsnamen sowie ausgewählter Sachen. Trotz der gegebenen Zuverlässigkeit sei eine kritische Anmerkung zur Anlage der Register gestattet. Der Bearbeiter hat auf jede Form von Verweisen verzichtet und die Schreibweise der Quellen nicht durchgehend berücksichtigt. Eine Entscheidung, die sich insbesondere bei der Suche nach Orts-namen oder Sachbegriffen nachteilig bemerkbar macht. Darüber hinaus wäre bei der Formulierung mancher Kopfregesten etwas mehr Präzision wünschenswert gewesen: So bleibt zum Beispiel im Regest von Nr. 461 unerwähnt, dass es sich bei den dort um die Verwendung von „falschem Gold“ streitenden Parteien offensichtlich um Tafel-maler handelte. Mitunter wäre auch eine stärkere Berücksichtigung der Forschungsli-teratur denkbar gewesen, so bei den etwa 70 Einträgen, die den schillernden Kaufmann Heintz Probst (oder Wiederkehrer) betreffen, der 1485 aus Franken nach Leipzig eingewandert war und weitgespannte Handelsverbindungen unterhielt (E. KROKER, Heinz Probst, ein Leipziger Wucherer, in: Neujahrsblätter der Bibliothek und des Archivs der Stadt Leipzig 4 (1908), S. 58-64; G. FISCHER, Aus zwei Jahrhunderten Leipziger Handelsgeschichte, Leipzig 1929, S. 110-112; U. SCHIRMER, Kursächsische Staatsfi nanzen (1456–1656), Stuttgart 2006, S. 126 f. und öfter). Diese Beobachtungen sollen jedoch keinesfalls den insgesamt positiven Gesamteindruck der Edition schmä-lern, sondern sind als Anregung für die Gestaltung hoffentlich noch folgender Editio-nen weiterer Leipziger Stadtbücher gedacht. Dem Bearbeiter des dritten Leipziger Ratsbuches gebührt für die geleistete Arbeit Dank und Anerkennung. Der Stadtge-schichtsforschung kann man eine rege Benutzung des dritten Leipziger Ratsbuches nur nachdrücklich empfehlen.Braunschweig  Henning SteinführerARMIN KOHNLE/MANFRED RUDERSDORF (Hg.), Briefe und Akten zur Kirchen-politik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Re-formation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung, Bd. 2: STEFAN MICHEL/BEATE KUSCHE/ULRIKE LUDWIG/KONSTANTIN ENGE/DAGMAR BLAHA/ALEXAN-DER BARTMUSS (Bearb.), 1518–1522, unter Mitarbeit von Saskia Jähnigen/Steven Bickel, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2022. – 895 S., geb. (ISBN: 978-3374-04961-5, Preis: 188,00 €).Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Vorgängers liegt nun der zweite Band der „Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Bestän-digen von Sachsen“ vor. Die Ziele und Parameter dieses für die Spätmittelalter- wie Reformationsforschung wichtigen Editionsprojekts, das bei der Sächsischen Aka-demie der Wissenschaften angesiedelt ist, wurden bereits bei der Besprechung des ersten Bands in dieser Zeitschrift durch den Rezensenten gewürdigt (NASG 89 (2018), S. 341-344), sodass sich im Folgenden der Fokus auf die Besonderheiten der neuesten Publikation aus der Leipziger Forschungsstelle richtet.364 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenWie auch schon beim ersten Band handelt es sich in mehrfacher Hinsicht um eine gewichtige Publikation. Insgesamt 1 102 Quellen in Form von Voll- oder Teilabdruck oder nur als Regest, davon werden 584 erstmals überhaupt der Forschung zugänglich gemacht, verteilen sich inklusive einleitenden Ausführungen, Ergänzungen, Nachträ-gen und Registern auf ganze 895 Seiten. Schon allein diese Zahlen verdeutlichen, dass hier der Forschung ein großes Geschenk gemacht wurde. Bei der Masse der für den Be-arbeitungszeitraum zu erschließenden Quellen mussten sich die Bearbeiterinnen und Bearbeiter vielfach darauf beschränken, den Inhalt der Überlieferung nur in Reges-tenform wiederzugeben. Natürlich wünscht sich der ‚Endnutzer‘ zu jeder Quelle den vollständigen Abdruck, aber dies ist schlichtweg nicht möglich. Hilfreich ist in diesem Kontext, dass einige der Stücke bereits durch andere Großprojekte wie die Weimarer Lutherausgabe, die Mittlere Reihe der Reichstagsakten oder die Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen veröffentlicht wurden.Den Einstieg in den Band markiert die kundige Einleitung von stEFan michEl (S. 11-29), in der er die fünf zentralen Themenbereiche vorstellt, die die dargebote-nen Quellen formen und durchziehen: die ‚Lutherschutzpolitik‘ Friedrichs des Weisen (1463–1525), die Bedeutung der sächsischen Funktionseliten für die Kirchenpolitik, die Rolle von Friedrichs Bruder Johann dem Beständigen (1468–1532), die Entwick-lung der reformatorischen Bewegung sowie der Klöster. Hilfreiche weiterführende Informationen zu zentralen grundwissenschaftlichen Aspekten sowie zu Fragen der Kommunikation zwischen Kurfürst Friedrich und seinem albertinischen Vetter Her-zog Georg von Sachsen (1471–1539) bietet bEatE kuschE mit ihren Ausführungen zu „Handschreiben und Kanzleischreiben“ (S. 31-42). Dabei kann sie deutlich heraus-arbeiten, dass die ‚Causa Luther‘ von beiden Fürsten bis April 1522 nur in den deutlich intimeren Handschreiben behandelt wurde, während sich ab diesem Zeitpunkt in der Sache eine Entfremdung zwischen den Wettinern nachvollziehen lässt, die sich auch in der durchgehenden Nutzung von Kanzleischreiben niederschlug.Insgesamt liefern die verschiedenen Quellen eine Vielzahl von Anknüpfungspunk-ten für die Forschung zum ausgehenden Mittelalter und zur beginnenden Frühen Neu-zeit, die einerseits mit den von Stefan Michel in der Einleitung skizzierten Themen-bereichen in Zusammenhang stehen, andererseits jedoch teils auch deutlich darüber hinausweisen. Sichtbar wird in vielen Schreiben, dass sich bei allen Umbrüchen nicht zuletzt auch Kontinuitäten zu den vorangehenden spätmittelalterlichen Jahrzehnten fassen lassen. Der Priester Paul Eckhart, der laut eines Schreibens Kurfürst Friedrichs an seinen Schosser in Coburg von 1519 einige Jahre zuvor einen kursächsischen Unter-tanen umgebracht hatte, inhaftiert wurde und nach seiner Freilassung den Colditzer Schosser und andere Beteiligte mit Prozessen vor geistlichen Gerichten überzog (Nr. 891, S. 221 f.), könnte direkt einem der Beiträge von Arnold Esch entsprungen sein, die so reichlich aus der Überlieferung der römischen Pönitentiarie schöpfen. Auch der Frühmessner Heinrich Hartsch, der in Kahla 1520 seine Frühmessen ausfallen ließ (Nr. 1149, S. 405 f.), wäre durchaus im 15. Jahrhundert denkbar. Aber vieles ist in seiner Intensität dann doch neu: etwa, dass die Antoniter in Wittenberg 1521 mit Steinen und Kot beschmissen wurden (Nr. 1340, S. 534).Nicht zuletzt bietet der Band aber auch eine wichtige Zusammenstellung von Quel-len zur zentralen Bedeutung der durch Austausch und Ankauf erweiterten Heiltums-sammlung Friedrichs des Weisen sowie die in diesem Kontext zu erschließende Ent-wicklung von Reliquiensammlungen verschiedener kirchlicher Institutionen und Höfe, mit denen der Kurfürst in Kontakt stand. Das Salvatorstift in Utrecht etwa erbat von ihm Reliquien der heiligen Willibrord und Bonifatius (Nr. 726, S. 104 f.). Friedrich selbst wollte von dort den rechten Arm des heiligen Friedrich sowie die Abschrift seiner Heiligenvita erhalten (Nr. 733, S. 109). Auch mit den Klöstern Frauenchiemsee 365Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionen(Nr. 910, S. 233-235) und Weida (Nr. 1062, S. 341), dem französischen Königshof (Nr. 669, S. 74 f.) sowie mit Akteuren in Mantua (Nr. 683, S. 82 f.) und in Venedig (exem- plarisch: Nr. 1032, S. 321; Nr. 1526, S. 678 f.; Nr. 1647, S. 766 f.; Nr. 1652, S. 769 f.) stand er wegen sakraler Gebeine in Kontakt.Darüber hinaus ist die Edition zudem für weitere Themen der Hofforschung eine wahre Fundgrube, wobei es teils die eher nebensächlichen Inhalte sind, die neue Ein-blicke ermöglichen. So berichtete Herzog Johann 1520 seinem kurfürstlichen Bruder davon, Tafeln (wohl Bilder) und einen Druck erhalten zu haben sowie, dass es zwischen Thomel und Hans Narr, beides wohl Hofnarren, zu einem Stechen gekommen sei, bei dem letzterer eine Flasche Wein gewann (Nr. 1007, S. 307). Mehrfach werden zudem Einblicke in die Rolle und Nutzung von Büchern an den wettinischen Höfen sicht-bar, so beim Fund zweier Gesangbücher durch den kursächsischen Hofkapellmeister Conrad Rupsch im Torgauer Schloss (Nr. 1074, S. 351) oder bei Büchersendungen Friedrichs an seinen Bruder Johann, die in Briefen erwähnt werden (exemplarisch vom Wormser Reichstag 1521, Nr. 1232, S. 457, sowie eine Übersendung medizinischer Bü-cher im selben Jahr, Nr. 1248, S. 466).Schon allein diese Nennung ausgewählter Bonmots macht deutlich, dass mit dem zweiten Band der Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Jo-hanns des Beständigen der Forschung zu Spätmittelalter und Reformationszeit erneut ein spannendes Quellenreservoir in hervorragend aufgearbeiteter Form zur Verfügung gestellt wurde, das schon jetzt Vorfreude auf die beiden noch ausstehenden Bände weckt. Aus dem hier besprochenen Werk dürften die Vertreterinnen und Vertreter der historisch arbeitenden Fächer noch lange schöpfen können.Heidelberg  Benjamin MüsegadesDie brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Band 4: Die Mittelmark, Teil 1: Mittlere Mittelmark. Aus dem Nachlass von Victor Herold, hrsg. von der Historischen Kommission zu Berlin, bearb. von christianE schuchard (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 109/1), De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2019. – VI, 559 S., geb. (ISBN: 978-3-11-059790-5, Preis: 109,95 E).Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Band 4: Die Mittelmark, Teil 2: Westliche Mittelmark. Aus dem Nachlass von Victor Herold, hrsg. von der Historischen Kommission zu Berlin, bearb. von christianE schuchard (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 109/2), De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2020. – VII, 990 S., geb. (ISBN: 978-3-11-063410-5, Preis: 139,95 E).Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Band 4: Die Mittelmark, Teil 3: Östliche Mittelmark. Aus dem Nachlass von Victor Herold, hrsg. von der Historischen Kommission zu Berlin, bearb. und ergänzt von christianE schuchard (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 109/3), De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2021. – VIII, 849 S., geb. (ISBN: 978-3-11-069605-9, Preis: 119,95 E).Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Band 4: Die Mittelmark, Teil 4: Gesamtregister, Nachträge und Berichtigungen, hrsg. von der Historischen Kommission zu Ber-

Armin Kohnle/Manfred Rudersdorf (Hg.), Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532 // Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung, Bd. 2: Stefan Michel/Beate Kusche/Ulrike Ludwig et al.

Morgenstern, Ulf

376 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenJuditH Matzke/frank MetascH (Hg.), Nach Amerika! Überseeische Migra-tion aus Sachsen im 19. Jahrhundert (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 66), Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2021. – 391 S., geb. (ISBN: 978-3-96023-378-7, Preis: 80,00 E).Aus Anlass des 200. Geburtstags von Ottokar Dörffel aus Glauchau, der 1854 nach Brasilien auswanderte, fand 2018 in Chemnitz, wo der Nachlass Dörffels aufbewahrt wird, eine Tagung statt. Sie nahm den Lebensweg Dörffels zum Anlass, um das Thema der transatlantischen Migration aus Sachsen umfassender zu beleuchten. Der vorlie-gende Band vereint die Tagungsvorträge in Aufsatzform und dokumentiert Faksimiles einer Dokumenten-Ausstellung, die im Rahmen der Konferenz gezeigt worden war. Nach einer kundigen Einleitung der Herausgeber, die den regionalen Fokus vom Königreich Sachsen in die globalen Zusammenhänge weitet, sowie zwei einführenden Texten von mathias bEEr (S. 15-40) und lutz vogEl (S. 41-56) über den migrations-historischen Forschungsgang beziehungsweise die besonderen sächsischen Rahmenbe-dingungen für überseeische Auswanderung im 19. Jahrhundert folgen 15 Aufsätze zu Einzelthemen. Den Auftakt macht eine Untersuchung des Amerika-Engagements der Familie von Schönburg (S. 57-72). Ausgerechnet der auf seine angestammten Hoheits-rechte pochende Fürst Otto Victor, ein hochadliger Waterloo-Veteran, der als einer der Väter der sächsischen Verfassung von 1831 gilt, war führend bei deutschsprachigen Siedlungsprojekten in Texas, an der sogenannten Moskitoküste im Osten Nicaraguas und im südbrasilianischen Joinville engagiert, wobei nur das letzte, 1857 umgesetzte Vorhaben erfolgreich war. Und auch das nur mäßig, wie der erwähnte Ottokar Dörf-fel als aufmerksamer Zeuge der wirtschaftlichen Entwicklung des Schönburgischen Besitzes (immerhin 22 Hektar Land) seiner Mutter zu berichten wusste (S. 68). Die in Deutschland gebliebenen Erben des Fürsten, für die die überseeische Herrschaft ursprünglich wohl als Lebensgrundlage gedacht war, verkauften den Besitz 1898 an die Hamburgische Kolonisationsgesellschaft zurück. „Zwischen Abenteuer und Kalkül“ – so der Titel von michaEl WEtzEls Aufsatz – hatte die Waage sich offenkundig zur Seite des Abenteuers geneigt. Diese Ambivalenz könnte auch über den übrigen Aus-wandererschicksalen des Bandes stehen. Der Leser lernt, dass den Migrationswilligen vor der Überfahrt detaillierte Bera-tung durch Ratgeberliteratur zur Verfügung stand (S. 73-88). Ein weiterer Beitrag be-schäftigt sich auf der Grundlage von vier Siedlungen mit nennenswertem deutschspra-chigem Anteil mit dem Spezifikum der protestantischen Akkulturation (S. 89-118, ein weiterer behandelt die altlutherische Auswanderung, S. 293-314). Alle Beispiele kön-nen hier nicht erwähnt werden, zu heterogen sind die persönlichen Motivationen, die Destinationen in der Neuen Welt und die zeitliche Spanne der behandelten Auswan-dererschicksale und ihrer Nachkommen. Der gemeinsame Nenner ist die Herkunft aus dem Königreich Sachsen. Ein Editionsteil mit faksimilierten Dokumenten aus den für die Chemnitzer Ausstellung und für die Beiträge dieses Bandes herangezogenen Quellenbeständen rundet das Buch ab (S. 343-376).Judith matzkE, die auch Herausgeberin der Auswandererbriefe des Ehepaars Dörffel ist (Halle/Saale 2019), fasst die Ergebnisse ihrer Briefedition in einem sozial-geschichtlich dichten Aufsatz zusammen, der unter anderem den Spracherwerb, die Ernährungsgewohnheiten und das Freizeitverhalten behandelt (S. 119-147). Trotz äußerer Erfolge lässt sie ihren Protagonisten Dörffel gegen Ende seines langen Lebens auf der Südhalbkugel 1903 etwas resigniert an einen alten Glauchauer Logenbruder schreiben: „Ich bleibe daher Einsiedler in meinem kleinen Lande.“ (S. 146). Ob das drei Jahrzehnte nach der Gründung des Deutschen Reiches in seiner sächsischen Hei-mat ähnlich gewesen wäre, bleibt eine müßige Frage.Friedrichsruh  Ulf Morgenstern

Judith Matzke/Frank Metasch (Hg.), Nach Amerika! Überseeische Migration aus Sachsen im 19. Jahrhundert

Die Wettiner werden Kurfürsten. 1423 als Wendejahr der sächsischen Geschichte

Schimke, Dörthe

414 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionenmalschutz, denn ungeachtet aller konservatorischen Bemühungen ist die umfassende Dokumentation des Denkmalbestandes in Wort und Bild unverzichtbar. Schon des-halb kann man nur hoffen, dass die Dokumentation der Gedächtnismale der Martin-Luther-Kirche zu Markkleeberg in vielen anderen Orten Nachahmung findet. Das vorliegende Buch liefert ein Modell, das man vielerorts ebenfalls sehen möchte.Leipzig Enno Bünzandreas deHMer, Aux Morts. Grabskulptur in Dresden 1880–1930, Schnell & Steiner, Regensburg 2020. – 176 S., 142 farb. Abb., geb. (ISBN: 978-3-7954-3581-3, Preis: 35,00 E).Denkmäler und die Debatten, die sich mit ihnen verbanden, standen in den letzten Jahren verstärkt im Fokus der Forschung, wie etwa bei der 2019 vom ISGV veranstal-teten Tagung „Provokation der Erinnerung. Denkmalsdebatten vom 19. Jahrhundert bis heute“. Um 1900 gab es für Modelleure, Steinmetze und Bildhauer angesichts der hohen Nachfrage nach öffentlichen Denkmalen und der plastischen Ausschmückung von Gebäuden viel zu tun. Dresden verfügte um die Jahrhundertwende über eine be-sondere Fülle an frei zugänglichen Skulpturen. Ein Teil dieser Kunstwerke wurde zu Zwecken der Memoria geschaffen und befand sich hinter Friedhofsmauern. Eben- diesen Zeugnissen der Dresdner Sepulkralkultur zwischen 1880 und 1930 widmet sich der Band des Kunsthistorikers Andreas Dehmer. Der einleitende Beitrag des Verfas-sers (S. 7-21) bietet einen gleichsam kompakten wie profunden Einstieg in die Dresd-ner Grabskulptur dieser Zeit. Ausgehend von drei Zeitabschnitten, (1880/90, 1900, 1910/20) und angereichert durch viele Quellenzitate zeigt der Autor anhand verschie-dener Beispiele auf, dass Dresdens Sepulkralkultur „gerade in den Dekaden des ausge-henden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts [...] eine einzigartige Blütezeit“ erlebte (S. 21). Die Residenzstadt bot mit ihrer reichen Friedhofslandschaft, soliden Möglich-keiten zu einer künstlerischen Ausbildung und einer breiten Palette an gewerblichen Anbietern für Grabskulptur den geeigneten Nährboden für diese Entwicklung. Der Autor spiegelt zugleich die Debatten, die sich um 1900 auch in Dresden gegen die zu-nehmend als beliebig empfundene Friedhofskultur – bedingt durch die üblich gewor-dene industrielle Herstellung von Grabskulpturen als Katalog- und Massenware – ent-spannen. Wie in anderen Lebensbereichen hätte es auch innerhalb der Sepulkralkultur einen „Drang zur Abkehr von erstarrten Traditionen“ (S. 16) gegeben. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg wurden figürliche Grabskulpturen auf Friedhöfen unüblich, Reduktion, Rationalität und Funktionalität hielten Einzug in die Grabkunst. Heute sei das Interesse an Grabskulpturen wieder gestiegen, so Andreas Dehmer in seinem abschließenden Blick in die Gegenwart.Dem einleitenden Beitrag schließt sich der Hauptteil des Buches an (S. 25-164): eine lexikalische Zusammenstellung von 48 Künstlern und zwei Künstlerinnen, die Grabskulpturen auf Dresdner Friedhöfen schufen. Darunter finden sich bekannte Namen, wie Robert Diez (1844–1922) und Max Klinger (1857–1920), aber auch solche, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wie der der Bildhauerin Clotilde Schilling (1858–1934), die ihr eigenes Familiengrabmal mit der Skulptur einer sitzen-den Trauernden auf dem Trinitatisfriedhof schuf (S. 64 f.). Die Biogramme zu den Künstlerinnen und Künstlern, die mit Literaturhinweisen ausgestattet wurden, bieten sowohl biografische Informationen als auch eine Verortung sowie kunsthistorische Beschreibung und Einordnung der Grabskulpturen. Besonders hervorzuheben sind die vom Autor selbst aufgenommenen Abbildungen, die die Grabskulpturen perfekt 415Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionenin Szene setzen und das großformatige Werk zu einem echten Bildband machen. Ästhetik und Anmut der Grabskulpturen spiegeln sich in den vielen in ansprechen-der Qualität ganz- und teilweise doppelseitig abgedruckten Fotografi en wider. Auch die kunsthistorischen Beschreibungen zu den Kunstwerken lassen sich so anschaulich nachvollziehen. Dem lexikalischen Teil des Bandes folgen zwei kompakte und gleich-zeitig informative Beiträge von ASTRID NIELSEN zu den Denkmalen für Gefallene des Ersten Weltkriegs in Dresden (S. 167-171) und von BEATRICE TEICHMANN, welche für die Übernahme von Grabpatenschaften in Dresden wirbt (S. 173). Insgesamt liegt mit dem Band von Andreas Dehmer eine profunde wie optisch ansprechende Publikation zur Dresdner Sepulkralkultur für die Zeit um 1900 vor, die Lust auf den einen oder anderen Friedhofsspaziergang in Dresden macht.Dresden  Dörthe SchimkeKATRIN LÖFFLER, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2022. – 216 S., geb. (ISBN: 978-3-95797-138-8, Preis: 22,00 €).Neben der größten orthodoxen Synagoge Sachsens in Apels Garten gehörte in Leipzig auch der jüdische Friedhof im Johannistal zu jenen Orten, die in der Zeit des Natio-nalsozialismus zerstört wurden und in der öffentlichen Wahrnehmung lange als „ver-gessen“ galten. Ihre profane Nachnutzung als Parkplatz und Gartenanlage verstärktediesen Zustand. Den Expertinnen und Experten zur jüdischen Geschichte und zur öffentlichen Erinnerungskultur in der Messestadt sind beide Orte natürlich bekannt. Es ist insbesondere dem zivilgesellschaftlichen Engagement zu verdanken, dass be-reits 2021 eine kleine Broschüre zur Geschichte der Ez-Chaim-Synagoge erscheinen konnte.Nunmehr liegt mit dem Buch der Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Katrin Löffl er endlich auch eine sehr lesenswerte Abhandlung zur Geschichte des ers-ten neuzeitlichen jüdischen Friedhofs in Leipzig vor. Dieser wurde 1814 eingeweiht und bis 1864 von der Israelitischen Religionsgemeinde genutzt. Schätzungsweise 380 Jüdinnen und Juden, die in Leipzig lebten oder sich hier zu Messezeiten aufhielten, lagen auf dem etwa 1 100 Quadratmeter großen Areal begraben. Zu ihnen zählten namhafte Persönlichkeiten aus der Gründungszeit der Israelitischen Religionsgemein-de, die sich 1848 konstituierte, wie Eduard Boas oder Adolph Bendix, Händler und Messmakler, der bis heute in bestimmten Kreisen als Wunderrabbi verehrte Schalom Josef Friedmann, aber auch weniger bekannte Persönlichkeiten. Es ist das Verdienst von Löffl er, gerade letztere in den Fokus ihrer Studie zu rücken, darunter auch Frauen wie die Leichenwäscherin Adelheid Joseph, der sogar ein kleiner Exkurs gewidmet ist (S. 39-41).Insgesamt gliedert sich die Studie in drei Teile: Detailliert rekonstruiert Löffl er zunächst die Geschichte des Friedhofs und die staatliche Regulierung des jüdischen Bestattungswesens im 19. Jahrhundert. Ausführlich beschreibt sie die Profanisierung und Abräumung des Friedhofs in der Zeit des Nationalsozialismus 1937, die ihren Ausgangspunkt in einer Beschwerde des benachbarten Kleingartenvereins hatte, der eine Sicherung des Friedhofsareals einforderte (S. 48). Verbliebene Gebeine wurden dabei exhumiert und auf den Neuen Israelitischen Friedhof an der Delitzscher Straße überführt, wo die meisten ungekennzeichnet in einer großen Gemeinschaftsgrabanlage beigesetzt wurden. Nur eine kleine Auswahl an Grabsteinen des alten Friedhofs im Johannistal wurden ebenfalls dorthin überführt, die anderen zerschlagen. Fortan und bis in die Gegenwart wurde und wird das Areal als Gartensparte genutzt.

Andreas Dehmer, Aux Morts. Grabskulptur in Dresden 1880–1930

Steinführer, Henning

361Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenGemeines Sachsenrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 2012, Sp. 77-84). Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass die Stadt-schreiber als ausgebildete Juristen ihre Kenntnisse, Methoden und Interpretations-künste zur Wirkung bringen wollten und damit nicht nur ihr persönliches, sondern auch das Ansehen des Stadtgerichts zu steigern gedachten. Und schließlich könnte es sein, dass die Stadtschreiber den Bestand künftiger Urteile sichern wollten, wenn letz-tere von Parteien mit der Appellation angefochten wurden, um sie von einer höhe-ren Instanz überprüfen zu lassen. Denn Urteile, die mit dem ius commune vereinbar waren, genossen an den oberen, im Umgang mit dem römisch-kanonischen Recht gewöhnlich vertrauteren Gerichten eine größere Wertschätzung.Insgesamt sind die gelehrten Randbemerkungen das Zeichen für eine schleichende Akkulturation des römisch-kanonischen Rechts, auf die hier nur fl üchtig eingegangen werden konnte und daher weiterer rechtshistorischer Forschungen bedarf. Dafür ist die vorliegende Edition eine wichtige Grundlage. Über das Rechtliche hinaus gewährt die Edition gewinnbringende Einblicke sowohl in die personalen, familien- und orts-historischen Verhältnisse als auch in die Kulturgeschichte. Nach alledem ist den Her-ausgebern und Editoren, die keine Rechtshistoriker sind, ein Werk gelungen, das hohe Anerkennung verdient. Göttingen  Wolfgang SellertJENS KUNZE (Bearb.), Das dritte Leipziger Ratsbuch 1501–1512. Edition (Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 20), Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2020. – XXIV, 565 S., 7 s/w Abb., geb. (ISBN: 978-3-96023-354-1, Preis: 49,00 €).Stadtbücher gehören zu den wichtigsten Quellen der Stadtgeschichtsforschung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die in großer Zahl überlieferten Stadtbücher wurden in der Regel auf Veranlassung der Räte als wichtigste schriftliche Hilfsmit-tel der kommunalen Verwaltung geführt und spiegeln inhaltlich deren breite Zustän-digkeit für die unterschiedlichsten Lebensbereiche der vormodernen Stadt wider. Das Spektrum reicht von der allgemeinen Verwaltung über das Finanzwesen bis hin zur Rechtspfl ege. Die Stadtbücher ermöglichen damit tiefe Einblicke unter anderem in die politischen, rechtlichen, sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Beziehungen einer Stadt, die mithilfe anderer Quellen kaum zu erlangen sind. Angesichts dieser Tatsa-chen sind Editionen von Stadtbüchern in der Forschung stets sehr willkommen. Im deutschsprachigen Raum im Allgemeinen und in Sachsen im Besonderen sind auf die-sem Gebiet in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Beispielhaft seien hier nur die mittlerweile auf neun Bände angewachsene und bis ans Ende des 16. Jahrhunderts reichende Edition der Dresdener Stadtbücher (zuletzt erschienen: E. MELNIK/J. OBERSTE (Bearb.), Alturteilsbuch der Stadt Dresden, Leipzig 2022) oder die von polnischen und deutschen Kollegen gemeinsam betriebene Herausgabe des ältesten Görlitzer Stadtbuches (C. SPEER/K. FOKT/M. MIKUŁA (Bearb.), Liber Vetus-tissimus Gorlicensis, 3 Bde., Görlitz 2017–2020) genannt.Diese positive Einschätzung trifft grundsätzlich auch für die Erschließung der Leipziger Stadtbücher zu, so hat der Unterzeichnete 2003 eine Edition der beiden ältesten Ratsbücher 1466 bis 1500 vorgelegt, der Jens Kunze 2013 eine Edition des Schöffenbuches (1420–1478) folgen ließ. Im Jahr 2020 ist die hier zu besprechende, ebenfalls von Jens Kunze bearbeitete Edition des dritten Bandes der Leipziger Rats-bücher (1501–1512) erschienen. Ermöglicht wurde die Bearbeitung durch ein dankens-werterweise von der Stadt Leipzig gefördertes Forschungsprojekt.362 Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): RezensionenDas dritte Ratsbuch dokumentiert in beeindruckender Fülle die Geschäftstätigkeit des Leipziger Rates am Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Stadt Leipzig erlebte zu die-ser Zeit eine Phase dynamischen Wachstums, das in engem Zusammenhang mit dem Aufschwung des Bergbaus im Erzgebirge und dem enormen Bedeutungszuwachs der Leipziger Jahrmärkte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stand.Kunzes Edition beginnt mit einer Einleitung, in der das dynamische Wachstum der Stadt Leipzig um 1500 gewürdigt und das inhaltliche Profi l des Ratsbuches vorgestellt wird (S. IX-XXIV). Die kodikologische Beschreibung der 286 Blätter umfassenden, deutschsprachigen Papierhandschrift ist leider sehr knapp ausgefallen. So gibt es keine Ausführungen zum Format, zu den Wasserzeichen oder zur Lagenformel der Hand-schrift. Der ebenfalls im Stadtarchiv Leipzig erhaltene ursprüngliche Coperteinband (Bestand Einbanddecken) fi ndet im Gegensatz zu der von Gustav Wustmann im späten 19. Jahrhundert aus ästhetischen Gründen veranlassten, repräsentativen Neubindung keine Erwähnung. Die angewandten Editionsgrundsätze und das Abkürzungsver-zeichnis sind nicht Teil der Einleitung, sondern wurden in den Anhang aufgenommen.Der eigentliche Editionsteil (S. 1-505), dessen Gestaltung eng an die Edition der beiden Vorgängerbände angelehnt ist, bietet den gesamten Inhalt des Ratsbuches als Volltextedition. Die einzelnen Einträge wurden durchnummeriert (Nr. 1-1241) sowie jeweils mit einer modernen Datierung und einem Kopfregest versehen. Die von der Leipziger Ratskanzlei vorgenommene Binnengliederung des Bandes nach Geschäfts-jahren wird ebenfalls übernommen und durch Überschriften kenntlich gemacht. Das Geschäftsjahr des jeweils amtierenden Ratsdrittels endete in Leipzig mit dem jähr-lichen Ratswechsel am Sonntag Invocavit, also dem sechsten Sonntag vor Ostern. Zu Beginn der Einträge des jeweiligen Jahres wurden zunächst die Inhaber der wichtigs-ten Ratsämter, etwa des Baumeister- oder Waagemeisteramtes, sowie die vereidigten Bediensteten des Rates, vom Stadtschreiber bis zum Torwärter, aufgeführt. Es folgen in meistenteils chronologischer Reihung Eintragungen über vom Rat selbst vorgenom-mene oder von Dritten vor diesem mit der Bitte um schriftliche Dokumentation ver-lautbarte Geschäfte aus den Jahren 1501 bis 1512.Pro Jahr wurden durchschnittlich etwas mehr als hundert Geschäfte verzeichnet. Vergleicht man diese Zahl mit den Werten des ältesten erhaltenen Ratsbuches, das 1466 angelegt und bis 1489 geführt wurde, so bedeutet dies eine Verdreifachung der schrift-lich dokumentierten Geschäftstätigkeit innerhalb weniger Jahrzehnte. Ein eindrucks-voller Beleg für die in den Jahren um 1500 allenthalben zu beobachtende Zunahme der Schriftlichkeit.Die Eintragungen im Ratsbuch haben ein denkbar breites inhaltliches Profi l. Einen Schwerpunkt bildet das Verwaltungshandeln des Leipziger Rates, etwa im Bereich der von der Stadt betriebenen wirtschaftlichen Infrastruktur (unter anderem die städti-schen Mühlen oder das Marktwesen). Der weitaus überwiegende Teil der Einträge ist aber dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen und betrifft Rechts-geschäfte, welche die Bürger untereinander oder mit Fremden abschlossen. Entspre-chend vielfältig sind die Betreffe: sie reichen von Schuld- und Grundstücksgeschäften über Erb- und Vormundschaftsangelegenheiten bis hin zu Handelsgeschäften aller Art oder dem Engagement im erzgebirgischen Bergbau. Ohne einzelne Einträge hervorzu-heben sei hier nur festgestellt, dass dem Leser die Vielfalt und Komplexität der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsbeziehungen innerhalb der Stadt in eindrucksvoller Form vor Augen geführt werden. Wie der Bearbeiter in seiner Einleitung ausführt, sind im Stadt-buch nicht weniger als 2 500 Personen namentlich erwähnt. Eine erstaunliche Zahl, wenn man bedenkt, dass Leipzig zu dieser Zeit wohl noch etwas weniger als 10 000 Einwohner zählte.Mitunter werden auch schlaglichtartig die von Leipzig aus bestehenden Fern-handelsbeziehungen erhellt, so erscheinen Kaufl eute aus Brünn (Nr. 1150), Breslau 363Neues Archiv für sächsische Geschichte 94 (2023): Rezensionen(Nr. 387) oder Florenz (Nr. 756), sie lassen Handelsgeschäfte beglaubigen oder mieten Marktstände an. Dem Kaufmann Raffael von Florenz spielte man 1507 übel mit, erst wurde er bestohlen und anschließend bot man ihm das Diebesgut zum Rückkauf an (Nr. 865). Das vergleichsweise häufi ge Vorkommen von Nürnberg (21 Einträge) ist ein deutliches Zeichen für die engen Beziehungen, die zu dieser Zeit zwischen Leipzig und der fränkischen Reichsstadt und Wirtschaftsmetropole bestanden.Beschlossen wird der Band durch ein kurzes Literaturverzeichnis sowie durch – nach Stichproben zu urteilen – weitgehend verlässliche Indizes der Personen- und Ortsnamen sowie ausgewählter Sachen. Trotz der gegebenen Zuverlässigkeit sei eine kritische Anmerkung zur Anlage der Register gestattet. Der Bearbeiter hat auf jede Form von Verweisen verzichtet und die Schreibweise der Quellen nicht durchgehend berücksichtigt. Eine Entscheidung, die sich insbesondere bei der Suche nach Orts-namen oder Sachbegriffen nachteilig bemerkbar macht. Darüber hinaus wäre bei der Formulierung mancher Kopfregesten etwas mehr Präzision wünschenswert gewesen: So bleibt zum Beispiel im Regest von Nr. 461 unerwähnt, dass es sich bei den dort um die Verwendung von „falschem Gold“ streitenden Parteien offensichtlich um Tafel-maler handelte. Mitunter wäre auch eine stärkere Berücksichtigung der Forschungsli-teratur denkbar gewesen, so bei den etwa 70 Einträgen, die den schillernden Kaufmann Heintz Probst (oder Wiederkehrer) betreffen, der 1485 aus Franken nach Leipzig eingewandert war und weitgespannte Handelsverbindungen unterhielt (E. KROKER, Heinz Probst, ein Leipziger Wucherer, in: Neujahrsblätter der Bibliothek und des Archivs der Stadt Leipzig 4 (1908), S. 58-64; G. FISCHER, Aus zwei Jahrhunderten Leipziger Handelsgeschichte, Leipzig 1929, S. 110-112; U. SCHIRMER, Kursächsische Staatsfi nanzen (1456–1656), Stuttgart 2006, S. 126 f. und öfter). Diese Beobachtungen sollen jedoch keinesfalls den insgesamt positiven Gesamteindruck der Edition schmä-lern, sondern sind als Anregung für die Gestaltung hoffentlich noch folgender Editio-nen weiterer Leipziger Stadtbücher gedacht. Dem Bearbeiter des dritten Leipziger Ratsbuches gebührt für die geleistete Arbeit Dank und Anerkennung. Der Stadtge-schichtsforschung kann man eine rege Benutzung des dritten Leipziger Ratsbuches nur nachdrücklich empfehlen.Braunschweig  Henning SteinführerARMIN KOHNLE/MANFRED RUDERSDORF (Hg.), Briefe und Akten zur Kirchen-politik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Re-formation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung, Bd. 2: STEFAN MICHEL/BEATE KUSCHE/ULRIKE LUDWIG/KONSTANTIN ENGE/DAGMAR BLAHA/ALEXAN-DER BARTMUSS (Bearb.), 1518–1522, unter Mitarbeit von Saskia Jähnigen/Steven Bickel, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2022. – 895 S., geb. (ISBN: 978-3374-04961-5, Preis: 188,00 €).Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Vorgängers liegt nun der zweite Band der „Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Bestän-digen von Sachsen“ vor. Die Ziele und Parameter dieses für die Spätmittelalter- wie Reformationsforschung wichtigen Editionsprojekts, das bei der Sächsischen Aka-demie der Wissenschaften angesiedelt ist, wurden bereits bei der Besprechung des ersten Bands in dieser Zeitschrift durch den Rezensenten gewürdigt (NASG 89 (2018), S. 341-344), sodass sich im Folgenden der Fokus auf die Besonderheiten der neuesten Publikation aus der Leipziger Forschungsstelle richtet.

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