Einleitung:
Eine uneingeschränkte Funktion von neuronalen Zellen ist unerlässlich für jeden Aspekt des menschlichen Verhaltens. Wahrnehmung, Erinnerung, Lernen sowie jegliche Art von Bewegung sind grundsätzlich von der Aktivität unseres Nervensystems abhängig. Eine Ursache oder Konsequenz der meisten neurologischen Erkrankungen sind daher Veränderungen oder Störungen der synaptischen Aktivität.
Um wirksame Behandlungen von neurologischen Störungen zu entwickeln, müssen synaptische Signale wieder in das zuvor verletzte neuronale Netzwerk integriert werden. Besonders nach schweren Läsionen, wie z.B. nach Traumata und Rückenmarksverletzungen, sowie durch Beeinflussung von Tumorgewebe oder epileptischen Anfällen wird vermehrt Narbengewebe gebildet, welches die Regeneration von neuronalen Ausläufern und damit synaptischen Signalen in das verletzte Gewebe nahezu vollständig inhibiert. Diese Art von Verletzung kann daher zu irreparablen Schäden der mentalen oder physischen Leistungsfähigkeit von Patienten führen.
Fragestellung:
Wir streben an, den sehr ineffizienten Vorgang der neuronalen Regeneration nach Verletzungen von Nervengewebe durch die Exposition in Hypergravitation zu induzieren.
Unsere Hypothese ist, dass artifiziell erhöhte Schwerkraft eine potentiell sehr innovative und wirkungsvolle Methode darstellen könnte, um Komponenten des neuronalen Zytoskelettes zu stabilisieren, was weiterhin dazu führen sollte, dass die Projektionen der Nervenzellen der Inhibition des neuronalen Narbengewebes entgegenwirken und in gesteigertem Maße wachsen (regenerieren) können. Daher sollten die Ausläufer unter Einfluss von Hypergravitation viel ausgeprägter in der Lage sein auszuwachsen und sich anschließend neu in geschädigtes Gewebe zu integrieren.
Weiterhin soll die neuronale Entwicklung und Aktivität bei Exposition mit ionisierender Strahlung untersucht werden, um Strahlung als Risikofaktor für neurodegenerative Erkrankungen z.B. in der bemannten Raumfahrt zu bewerten.
Methodik:
In der vorliegenden Studie werden primäre murine hippokampale Neuronen eingesetzt, welche ein nah-verwandtes Modell-System für humane Nervenzellen darstellen. Die neuronale Entwicklung unter dem Einfluss von Hypergravitation (2g) und Strahlenexposition wird bei allen Entwicklungsstadien im Vergleich zu Kontrollen (1g, unbestrahlt) untersucht, wie z.B. das Neuritenwachstum, die Polarisation, die Synaptogenese, sowie abschließend die Integration in ein maturiertes, funktionelles neuronales Netzwerk.
Ergebnisse:
Die Exposition von primären Neuronen an erhöhte Gravitation (2g) induzierte ein gesteigertes Auswachsen initialer Neuriten (ca. 30%), sowie ein erhöhtes Neuriten-Wachstum (Elongation) (ca. 20%) im Vergleich zu Kontrollen bei 1g. In späteren Entwicklungsstadien wurden trotz potentiellen Veränderungen des neuronalen Zytokslettes maturierte synaptische Kontakte ausgebildet. Weiterhin wurden primäre Astrozyten (Glia-Zellen, die neuronales Narbengewebe nach Verletzungen bilden) durch Hypergravitation in ihrem Wachstum und ihrer Ausbreitung (Narbenbildung) gehemmt. Diese Beobachtungen sind in großer Übereinstimmung mit einem stabilisierten Tubulin- und einem destabilisierten Aktin-Zytoskelett.
Schlussfolgerungen:
Unsere Ergebnisse belegen, dass neuronale Regeneration durch den Einfluss von Hypergravitation in primären Neuronen induziert und das Wachstum von primären Astrozyten (Glia-Zellen) durch die Kultivierung unter Hypergravitationsbedingungen gehemmt wird. Dieser Ansatz kann für weitere Studien angewandt werden, um die grundlegenden Mechanismen aufzuklären und die Effizienz neuronaler Regenerationsprozesse steigern zu können