Leseverständnis gilt als wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Lösen von Modellierungsaufgaben. Im Beitrag wird berichtet, inwiefern die Modellierungsleistung von Neuntklässlern und ihre Freude an der Aufgabenbearbeitung (N=165) durch das Stellen von Leseverständnisfragen und die damit einhergehende tiefere Beschäftigung mit dem Aufgabentext positiv beeinflusst werden kann

Chang, Yu-Ping

Krawitz, Janina

Schukajlow, Stanislaw

Yang, Kai-Lin

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Janina KRAWITZ, Stanislaw SCHUKAJLOW, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, DE, Yu-Ping CHANG, Kai-Lin YANG, National Tai-wan Normal University, TWN   Leseverständnisfragen und ihre Auswirkungen auf Freude und Leistungen beim mathematischen Modellieren: Was nutzt ein tieferes Situationsverständnis? Leseverständnis gilt als wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Lösen von Modellierungsaufgaben. Im Beitrag wird berichtet, inwiefern die Mo-dellierungsleistung von Neuntklässlern und ihre Freude an der Aufgabenbe-arbeitung (N=165) durch das Stellen von Leseverständnisfragen und die da-mit einhergehende tiefere Beschäftigung mit dem Aufgabentext positiv be-einflusst werden kann.  Leseverständnis beim mathematischen Modellieren Modellierungsaufgaben stellen im Gegensatz zu eingekleideten Textaufga-ben substantielle Anforderungen an die Übersetzung zwischen dem Real-kontext und der Mathematik. Um Modellierungsaufgaben lösen zu können, muss die Realsituation verstanden, strukturiert und vereinfacht werden, be-vor sie in ein mathematisches Modell übersetzt wird. Bereits das Verstehen der Realsituation kann Schülerinnen und Schülern Schwierigkeiten bereiten und zu Fehlern im Modellierungsprozess führen (Leiss, Schukajlow, Blum, Messner, & Pekrun, 2010). Da die Realsituation von Modellierungsaufgaben fast immer durch einen Text beschrieben wird, kann das Leseverständnis als notwendige Bedingung für erfolgreiches Modellieren angeführt werden. Auch empirisch konnte der Zusammenhang zwischen dem Leseverständnis und der Modellierungsleistung nachgewiesen werden (Leiss et al., 2010). Für Textaufgaben wurde der Zusammenhang selbst unter Kontrolle von technischen Lesefähigkeiten bestätigt (Vilenius-Tuohimaa, Aunola, & Nurmi, 2008). In der Leseforschung wird außerdem seit längerem unter-sucht, welche Interventionen sich förderlich auf das Leseverständnis auswir-ken. Dabei zeigte sich, dass das Stellen von Verständnisfragen zu einem Text einen positiven Effekt auf das Leseverständnis hat (Levin & Pressley, 1981). Inwiefern sich der förderliche Einfluss von Leseverständnisfragen auch auf die Modellierungsleistung überträgt, ist allerdings eine offene Frage. Prospektive Freude bei der Bearbeitung von Modellierungsaufgaben Ob Schülerinnen und Schüler bei der Aufgabenbearbeitung Freude empfin-den, ist davon abhängig, ob sie der Bearbeitung einen positiven Werte bei-messen und ob sie das Gefühl haben, die Aufgaben zu beherrschen (Kon-trolle) (Pekrun, 2006). Da das Gefühl der Kontrolle über eine Aufgabenlö-sung stark von der Leistung der Schülerinnen und Schüler abhängig ist, lässt U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 573  sich ein positiver Zusammenhang zwischen Leistung und Freude in der je-weiligen Domäne ableiten. Auch empirisch konnte dieser Zusammenhang nachgewiesen werden. In der Studie von Schukajlow und Krug (2014) wurde speziell für das Modellieren gezeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Modellierungsleistung und der Freude bei der Bearbeitung von Modellierungsaufgaben besteht. Hinweise auf die positive Wirkung von vo-rangegangenen Leistungen auf die Freude liefern Untersuchungen, in denen sich die Zeugnisnote in Mathematik als ein Prädiktor für die Freude im nächsten Schuljahr herausgestellt hat (Ahmed, van der Werf, Kuyper, & Minnaert, 2013). Wir konnten allerdings keine Studie finden bei der die Le-severständnisleistung in Zusammenhang mit der Freude beim mathemati-schen Modellieren betrachtet wird. Forschungsfragen Für die Untersuchung ergeben sich damit die folgenden Forschungsfragen: 1. Wirkt sich der Einsatz von Leseverständnisfragen positiv auf die Mo-dellierungsleistung aus? 2. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Modellierungsleistung und der Richtigkeit der Beantwortung der Leseverständnisfragen?  3. Wirkt sich der Einsatz von Leseverständnisfragen auf die prospektive Freude zum Lösen der Modellierungsaufgaben aus? Bezüglich der Forschungsfragen haben wir folgende Erwartungen: Durch das Beantworten der Leseverständnisfragen werden die Schülerinnen und Schüler angeregt sich intensiver mit dem Text zu beschäftigen, was zu einem tieferen Verständnis der Situationsbeschreibung und damit auch zu einer besseren Modellierungsleistung führen soll. Des Weiteren vermuten wir einen positiven Zusammenhang zwischen der richtigen Beantwortung der Leseverständnisfragen und der prospektiven Freude bei der Aufgaben-bearbeitung der Modellierungsaufgaben. Ob bereits das Stellen der Lesever-ständnisfragen einen Effekt auf die prospektive Freude hat, ist eine offene Frage. Einerseits kann tieferes Verständnis der Situation Valenz der Aufga-benbearbeitung und Kontrollerwartungen steigern und somit Freude positiv beeinflussen. Andererseits können aber auch die umgekehrten Effekte auf-treten. Methode Die Untersuchung basiert auf einer Teilstichprobe, welche im Rahmen des taiwanesisch-deutschen Projekts TaiGer erhoben wurde. Es nahmen sieben Klassen von drei verschiedenen Realschulen teil (N=165; 46 % weiblich; im U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 574  Schnitt 15,12 Jahre alt). Die Schülerinnen und Schüler wurden zufällig einer Experimental- (EG) und einer Kontrollbedingung (KG) zugewiesen. Die Schülerinnen und Schüler beider Bedingungen erhielten einen 60-minütigen Test. In der Testversion für die Experimentalbedingung wurden zu drei Re-alkontexten jeweils eine Situationsbeschreibung angeboten sowie zwei Le-severständnisfragen und zwei Modellierungsaufgaben gestellt. Die Freude wurde in Anlehnung an Schukajlow et al. (2012) prospektiv und aufgaben-bezogen operationalisiert: Die Schülerinnen und Schüler haben die Model-lierungsaufgaben zu jeder Situationsbeschreibung zunächst nur gelesen und auf einer fünfstufigen Likert-Skala eingeschätzt, ob ihnen die Bearbeitung der zwei Aufgaben Spaß machen würde. Erst danach haben sie die Model-lierungsaufgaben bearbeitet. Lernende der KG erhielten den gleichen Test ohne Leseverständnisfragen. Die Vergleichbarkeit der Gruppen wurde durch den Einsatz eines innermathematischen Leistungstest bestätigt. Die Lösungen der Leseverständnisfragen wurden dichotom als richtig oder falsch kodiert. Bei der Kodierung der Modellierungsleistung wurde ein drei-stufiges Kodierschema (von richtig bis falsch) verwendet. Um die Lesever-ständnisleistung der Schülerinnen und Schüler einzuschätzen, wurde der Mittelwert über die Antworten der sechs Leseverständnisfragen gebildet. Da die gestellten Fragen verschiedene Aspekte der Situationsbeschreibungen angesprochen haben, war die interne Konsistenz erwartungsgemäß niedrig (Crobachs α=.518). Die Skalen zum Modellieren und zur Freude weisen eine akzeptable Reliabilität auf (Modellieren: Crobachs α=.719; Freude: Cro-bachs α=.738). Ergebnisse und Diskussion Entgegen der Erwartungen erwies sich der Einfluss der Leseverständnisfra-gen auf die Modellierungsleistung (Forschungsfrage 1) als nicht signifikant. Tendenziell korreliert die richtige Beantwortung der Leseverständnisfragen mit der Modellierungsleistung (Forschungsfrage 2) (r(79)=.198, p=.076). Auf die Freude der Aufgabenbearbeitung hatte der Einsatz der Leseverständ-nisfragen keinen signifikanten Einfluss (Forschungsfrage 3). Allerdings zeigte sich ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen der richtigen Beantwortung der Leseverständnisfragen und der prospektiven Freude bei der Bearbeitung der Modellierungsfragen (Forschungsfrage 3; r(79)=.220, p=.048). Die positive Wirkung, die das Stellen von Fragen auf das Leseverständnis hat (Levin & Pressley, 1981), führte entgegen unserer Erwartungen nicht zu einer besseren Modellierungsleistung. Der positive Zusammenhang zwi-schen Leseverständnis und Modellierungsleistung, wie er in früheren Stu-dien gefunden wurde (Leiss et al., 2010; Vilenius-Tuohimaa et al., 2008) U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 575  kann nur von der Tendenz her bestätigt werden. Möglicherweise waren die Übersetzungsprozesse in eingesetzten Modellierungsaufgaben zu anspruchs-voll, so dass auch Schülerinnen und Schüler mit einem guten Verständnis der Situationsbeschreibung daran scheiterten. Der positive Zusammenhang, zwischen der richtigen Beantwortung der Leseverständnisfragen und der prospektiven Freude liefert einen Hinweis darauf, dass das erfolgreiche Be-arbeiten von Leseverständnisfragen Erfolgserlebnisse für Schülerinnen und Schüler bieten kann, die zu einer größeren Freude beim Bearbeiten von Mo-dellierungsaufgaben führt. Literatur Ahmed, W., van der Werf, G., Kuyper, H., & Minnaert, A. (2013). Emotions, selfregu-lated learning, and achievement in mathematics: a growth curve analysis. Journal of Educational Psychology, 105(1), 150-161.  Leiss, D., Schukajlow, S., Blum, W., Messner, R., & Pekrun, R. (2010). The Role of the Situation Model in Mathematical Modelling-Task Analyses, Student Competencies, and Teacher Interventions. Journal für Mathematik-Didaktik, 31(1), 119-141.  Levin, J. R., & Pressley, M. (1981). Improving children’s prose comprehension: Selected strategies that seem to succeed. In C. M. Santa & B. L. Haves (Eds.), Children's Prose Comprehension: Research and Practice (pp. 44–71). Newark, NJ: International Read-ing Association. Pekrun, R. (2006). The Control-Value Theory of Achievement Emotions: Assumptions, Corollaries, and Implications for Educational Research and Practice. Educational Psy-chology Review, 18(4), 315-341.  Schukajlow, S., & Krug, A. (2014). Are interest and enjoyment important for students' performance? In C. Nicol, S. Oesterle, P. Liljedahl, & D. Allan (Eds.), Proceedings of the Joint Meeting of PME 38 and PME-NA 36 (Vol. 5, pp. 129-136). Vancouver, Can-ada: PME. Schukajlow, S., Leiss, D., Pekrun, R., Blum, W., Müller, M., & Messner, R. (2012). Teaching methods for modelling problems and students’ task-specific enjoyment, value, interest and self-efficacy expectations. Educational Studies in Mathematics, 79(2), 215-237.  Vilenius-Tuohimaa, P. M., Aunola, K., & Nurmi, E. (2008). The association between mathematical word problems and reading comprehension. Educational Psychology, 28(4), 409-426.   U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 576

Leseverständnisfragen und ihre Auswirkungen auf Freude und Leistungen beim mathematischen Modellieren: Was nutzt ein tieferes Situationsverständnis?

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