Wie ein ausländischer Schüler die Strukturen der deutschen Sprache am besten erlernen kann, ist ein Problem der Fremdsprachendidaktik, das zu lösen wohl Dezennien dauern wird. Nur aufgrund einer Analyse der einzelnen Elemente, aus denen die deutsche Sprache besteht, kann Schritt für Schritt eme Didaktisierung der deutschen Sprache für den Unterricht an Ausländer angestrebt werden

Esteve Ruescas, Olga

Catalan

Revistes Publicacions URV (Universitat Rovira i Virgili)

DIE BEDEUTUNGEN DES VERBS «WERDEN» UND MÓGLICHKEITEN IHRER DIDAKTISCHEN VERMITTLUNG IM DEUTSCHUNTERRICHT AN AUSLÁNDER Wie ein auslándischer Schüler die Strukturen der deutschen Sprache am besten erlernen kann, ist ein Problem der Fremdsprachendidaktik, das zu lósen wohl Dezennien dauern wird. Nur aufgrund einer Analyse der einzelnen Elemente, aus denen die deutsche Sprache besteht, kann Schritt für Schritt eme Didaktisierung der deutschen Sprache für den Unterricht an Auslánder angestrebt werden. Eine Form, die besonders berücksichtigt werden muss, ist diejenige, die sich auf die Verwendung des Verbs WERDEN bezieht, nicht weil die-ses Verb eme wichtigere Rolle spielt als die anderen, sondern weil die Pro-blematik seiner Tiefenstruktur ziemlich gross ist. Eine genaue Analyse von ca 3000 Sátzen aus Presse, moderner Litera-tur und gesprochener Sprache hat gezeigt, dass dieses Verb nur auf der Grundlage einer formellen Analyse verstanden werden kann. Das Wort «formell» bedeutet weder cine Anwendung der Theorien des Strukturalis-mus noch der Ideen der generativen Transformationsgrammatik. «For-mell» weist hier auf eme Beobachtung des Verháltnisses des Verbs WER-DEN in den verschiedenen Kombinationsme•glichkeiten, die dieses Verb erlaubt, hin. Eine Anwendung von Abstrakta, von zu verallgemeinernden Begriffen, muss also beiseite gelassen werden, um unsere Erklárungen nicht begrifflich zu überlasten. Die üblichen Bezeichnungen «Futur 1», «Futur 2», «Unpersónliches Passiv» u.a. sind unbegreifbar für einen Schüler, der sich zum ersten Mal mit der deutschen Sprache beschaftigt. Für ihn ist es vid l leichter, cine Darstellung der veschiedenen Strukturen, die das Verb WERDEN ermü-glicht, vor Augen zu haben. Durch cine Wiederholung sprachlicher Situa-tionen oder von Texten, in denen diese Strukturen auftauchen, kónnte er zu ihrem Verstándnis gelangen. Die traditionelle Konzeption und Erklárung dieses Verbs wird hier al-so in Frage gestellt, vor allem, wenn man cine Lektüre der sprachabge-wandten Theorien in den verschiedenen Grammatik- und Lehrbüchern Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utf6 OLGA ESTE VE RUESCAS durchgeführt hat und wenn man nach dieser Lektüre weder gültige Beis-piele noch eme fremdsprachdidaktische Anwendung des Dargestellten hat finden kÓnnen. Der Grund liegt darin, dass die Grammatiken und Lehrbücher (Deutsch für Auslánder) immer noch sehr von einer lateinischen (-griechischen) Tradition geprágt sind, einer Tradition, die im Fall des Verbs WERDEN nicht der wahren Bedeutung dieses Wortes entspricht. Um diese Tradition ablehnen zu kÓnnen, muss zunáchst gezeigt wer-den, was mit dem Verb WERDEN eigentlich gesagt werden will. Dies konnte nur auf der Basis einer genauen Analyse einer grossen Anzahl von Sátzen, in denen WERDEN auftaucht, untersucht werden. In meiner Ar-beit «Los significados del verbo werden en el alemán moderno y su didac-tización» (Tesis de Licenciatura, Barcelona 1978) wurden insgesamt 2860 Sátze mit WERDEN analysiert; der Korpus bestand aus 390.085 WÓrtern. Es muss hier hinzugefügt werden, dass die Form des Konjunktivs «wür-de» nicht untersucht worden ist, da der Konjunktiv an sich schon eme eigene Problematik aufweist. Was den formellen Gebrauch betrifft, gibt es vier verschiedene Kom-binationsgruppen mit WERDEN: Die erste Gruppe besteht aus Sátzen, in denen die Kombination WERDEN + INFINITIV - z.B. «Er wird arbeiten» - auftaucht. Die Pro-blematik besteht hier darin, dass nicht klar ist, ob diese Form einen moda-len oder einen temporalen Wert hat. Die herkÓmmlichen Grammatiken, die meist in der Nachfolge der lateinischen Tradition stehen, beharren auf der Temporalitát, geben aber zu, dass diese Kombination auch manchmal modale Nuancen haben kann, ohne dass das Temporale in ihnen vers- / chwindet. Das Temporale bezieht sich hier auf die Zukunft und wird des-wegen «Futur 1» genannt, genauso wie in der Tempus-Tafel des Lateinis-chen. 23'80/o der Gesamtzahl der analysierten Sátze gehórt zu dieser ersten Gruppe. Und 23'5% zeigt, dass das Verb WERDEN in Kombination mit einem Infinitiv in der deutschen Sprache einen rein modalen Wert enthált. Bei al! diesen Sátzen war die Ersatzprobe mÓglich. Durch diese Probe wird untersucht, ob die Zeitreferenz sich im Satz anden, wenn das Verb WERDEN nicht erscheint oder durch ein anderes Element ersetzt wird. In einer grossen Zahl von Beispielen bezieht sich die Zeitreferenz auf die Zu-kunft. Aber diese Tatsache hángt nicht von dem Verb WERDEN ab, sonst halle die Ersatzprobe nicht funktioniert, und es ware nicht mÓglich gewesen, Sátze zu bilden, in denen das Verb WERDEN nicht erscheint, und die sitia ti utzdeni auf dk Zukunft bezichen. Dieser Bezug auf clic Zu kunft liegt in der eigenen Modalitat. Die verschiedenen Modalitátstypen haben alle irgendeine Beziehung zur Zukunft: Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utf• 1)11 Hl 1)11;11,M,1-% DhS VE MIS« HWEN 7 1. Vermutung Man ahnt, dass etwas in der Gegenwart oder in der Zukunft ges- chehen kann. «Mein Zug fuhr vor viereinhalb Stunden und wird jetzt, wenn nichts dazwischengekommen ist, kurz vor Modlin sein». «Es wird vermutlich Veránderungen in dieser Gegend geben». 2. Befehl Ein Befehl kann sich nur auf die Zukunft beziehen, denn der Wunsch des Befehlenden kann nur nach seiner Aussage erfüllt werden. «Ja. Sie werden Tabak verarbeiten!» 3. Warnung Eine Warnung ist ein Hinweis auf Gefahr, auf etwas, vas noch nicht geschieht oder geschehen ist. «Gut, machen Sie, was Sie wollen, aber ich sag Ihnen, Sie werden es bereuen!» 4. Drohung Hier handelt es sich um eme Ankündigung von etwas Bósem, das geschehen kann. «Ich werde euch gleich das Quartier aufsagen und den Reis werde ich euch zurückschütten!» 5. Absicht Eine Absicht ist ein Entschluss, etwas in der Zukunft zu tun. «Ich weiss den Tag genau, an dem sich Mahlke seine Erfindung wieder vom Hals nahm, V. und werde spáter davon berichten». 6. Überzeugung Man kann an etwas Gegenwártiges, Vergangenes oder Zukünftiges fest glauben. «Dort werdcn Sie ihn also bestimmt treffen». 7. Befürchtung Hier hat man Sorge vor einem Geschehen, das noch nicht passiert ist, aber das stattfinden kiinnte. «Der Neubau von Mietwohnungen wird zum Erliegen kommen, wenn das Mietpreisrecht nicht reformiert wird». 8. Hoffnung Eine Hoffnung ist ein Wunsch nach etwas Zuküntigem. «Ich hoffe, rwerden gut miteinander auskommen». Bei ah l diesen Satztypen zeigt sich, dass das Verb WERDEN cine mo-dale Funktion hat. Es gibt trotzdem eme geringe Anzahl von Sátzen, bei denen dieses Verb einen klaren temporalen Wert hat. Bei 0'3% der Ge-samtzahl von Sátzen lásst sich die Ersatzprobe nicht anwenden. Wenn das Verb WERDEN auftaucht, haben diese Sátze einen klaren Bezug auf die Zukunft, wáhrend die Zeitreferenz eindeutig Gegenwart ist, wenn dieses Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utf8 OLGA ISTFVF RUI SGAS Verb nicht erscheint. Ich muss hinzufügen, dass diese Tatsache nur in Fra-gesátzen angetroffen wurde. Der Grund ist nicht untersucht worden, da er wahrscheinlich in der Semantik der verschiedenen Verben liegt. Diese Fra-ge bleibt also offen, als mógliches Untersuchungsobjekt künftiger Arbei-ten. SATZ OHNE DAS VERB WERDEN Modalitát schon erkennbar Modalitát nicht erkennbar «Ja. Sie verarbeiten Tabak!» «Es gibt Veránderungen in (Befehl) dieser Gegend» (?) Móglichkeit der Unmóglich keit Erscheinung emes Adverbs, Erscheinung emes der Erscheinung das die Modalitát bestimmt Modaladverbs emes Modaladvebs WERDEN vertritt das Adverb WERDEN vertritt Nur WERDEN kann WERDEN + Adverb bleiben das Adverb die Modalitát zusammen verstárken WERDEN + Adverb bleiben zusammen Die zweite Gruppe besteht aus Sátzen mit der Kombination WERDEN + PARTIZIP PERFEKT. Insgesamt bilden sie 54'3%. Die traditionellen Nominierungen sind «Passiv», «Unpersónliches Passiv» u.a. Es ist aber gar nicht klar, was man unter diesen Begriffen versteht. Deswegen ware es besser, diese Benennungen abzulehnen und einfach die Satztypen, in denen die oben genannte Kombination auf-taucht, zu zeigen. Diese sind námlich: 1. Subs., + P + Práp. + Subs. «Sie liegt als schwimmendes Kriegsmarinenmuseum in Gdingen und wird von Schulklassen besucht». 2. Subs., P «Ein guter Mensch wird nicht leicht vergessen». 3. P + GPriip.Ort • «Im Hotel Prinz Heinrich wird hinter Doppeltüren geliebt». 4. Es + 52 + P «Es werden Souvenirs verkauft». Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utfDIE BEDEUTUNGEN DES VERBS «WERDEN » 9 5. Es+P «Es wird geschmust und geschmaust». Subs. (oder S) bedeutet Substantiv, und es wird zwischen Subs. und Subs., unterschieden, weil wir im Aktiv diese Unterscheidung auch ma-chen kiinnen: Subs., entspricht dem Subjekt ( = Agens im Passiv) und Subs., dem Akkusativ ( = Subjekt im Passiv); P ist das Verb (Prádikat); Prüp. bedeutet Práposition und GPrtip.Ort heisst Práposition + Substantiv, wenn Vsich diese Gruppe auf Ort bezieht. In diesen Strukturen fehlen manchmal einige Elemente, und zwar die Elemente Subs., und Subs. wáhrend P immer vertreten ist. Wenn P ohne Subs., oder Subs. , erscheint, gewinnt die verbale Aktion an Wichtigkeit. In unseren Beispielen gibt es eme graduelle Eliminierung der Elemente, sei es, weil der Tater (Subs. = Agens) schon bekannt ist, sei es, weil man den Tater nicht bekanntmachen will. War für eme Nominierung jede von den oben genannten Strukturen hat, ist vóllig unn¿Stig für ihr Verstándnis. Wenn man solche Nominierun-gen ablehnt, kann man zu einer Vereinfachung der Form WERDEN + PARTIZIP PERFEKT kommen. Man muss nur jede Struktur von den restlichen unterscheiden kórmen. Dafür ist es wichtig, dass die verschiede-nen Strukturen in bestimmten Situationen auftauchen: in Situationen, wo der Tater eme wichtige Rolle spielt; in Situationen, wo es nicht nótig ist, den Tater zu nennen; in Situationen, wo nur die Aktion des Verbs zu beachten ist: -Wichtigkeit des WERDEN + PART.PERF Inhalts der ver- STRUKTUR 1 balen Aktion «Mein lieber Móbius,..., wir werden von Pflegern bewacht». -Wichtigkeit des WERDEN+PART.PERF. Inhalts der ver- STRUKTUREN 2 und 4 balen Aktion «Ihre Produkte werden in über 100000 speziellen La-den verkauft». «Es werden Souvenirs ver-kauft». + Wichtigkeit WERDEN + PA RT PERF des Inhalts der STRUKTUREN 3 und 6 verbalen Aktion «Im Inneren der Brücke wurde gelacht». «Es wird getanzt». Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utf10 OLGA ESTE VE RUESCAS Die dritte Gruppe umfasst 19'407o der Gesamtzahl von Sátzen. Hier taucht WERDEN allein, als Vollverb, auf. Diese Gruppe bietet die we-nigsten Schwierigkeiten, erstens weil der Sinn des Verbs evident ist, zwei-tens weil alle Grammatiken und Lehrbücher hier übereinstimmen. Durch eme Diskriminierung zwischen zwei Sátzen, einem mit dem Verb sein, einem anderen mit dem Verb werden, kann die Funktion dieses Verbs als Vollverb verstanden werden: Darstellung emes Vorgangs. «Sein Essen wird kalt». «Sein Essen ist kalt». Zur vierten und letzten Gruppe gehÓrt nur ein 0'307o. Die Erklárung dieser Gruppe ist dieselbe wie die für die erste Gruppe (werden + Infini-tiv), námlich: das Verb WERDEN hat bei der Struktur WERDEN + PARTIZIP PERFEKT + INFINITIV modalen Wert. Durch die Ersatz-probe hat sich herausgestellt, dass dieses Verb eme Erwiderung in eme Vermutung umwandelt. Diese Vermutung kann sich auf die Vergangen-heit oder auf die Zukunft beziehen. «Der Kampf wird ihn angestrengt haben». «Wenn Sie so weiterarbeiten, werden Sie in einer Woche geordnet haben, was ich einundfünfzig Jahre lang nicht ordnen mochte». Wenn die MÓglichkeit besteht, dass das Verb WERDEN sich auf die Vergangenheit bezieht, dann ist es absurd zu verallgemeinern und zu sa-gen, dass das Verb WERDEN die Form der Zukunft bildet. Die lateinis-che Tradition nennt die oben erwáhnte Struktur «Futur 2». Ob es sich um Zukunft handelt oder nicht, haangt nicht vom Wesen des Verbs WER-DEN ab, wie es die verschiedenen Grammatiken und Lehrbücher zu erklá-ren versuchen. Man ist bestrebt, die lateinische Tradition auf cine neue Realitát zu beziehen: den modalen Wert des Verbs WERDEN. Es wáre leichter für den Schüler, wenn diese Erklárung schon von Anfang an abge-lehnt würde und wenn aufgrund der wahren Bedeutung des Verbs WER-DEN (Modalitát cine Erklárung erfolgen kÓnnte, die dieser genau ent-spráche. Die Erscheinung von WERDEN bestimmt die Satz mit Verb im Modalitát von Vermutung Perfekt ohne WERDEN Modalitát nicht bezogen auf die Vergan- «Der Kampf hat ihn auch erkennbar genheit oder auf die angestrengt». Zukunft. WERDEN = Modaladverb Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utfDIE BEDEUTUNGEN DES VERBS «WERDEN" 11 Die Folgerung, die man aus diesen Beobachtungen ziehen kann, ist, dass eme Verwendung von abstrakten Nominierungen (wie Z.B. «Futur 1», «Futur 2», «Unpersónliches Passiv»,...) nicht nótig ist, um den Schü-lern den Sinn einiger Strukturen, in diesem Fa!! der Strukturen, wo WER-DEN auftaucht, klarzumachen. Die rein formelle Erklárung der verschie-denen Bedeutungen dieses Verbs reicht, um zu seinem Verstándnis zu kommen. Eine Darstellung durch zu abstrakte Begriffe ist nur verwirrend. Mag meine Beschreibung im ersten Moment komplizierter erschei-nen, so ist sie zumindest redlicher, indem ich mit ihr die meistirreführen-den traditionellen Begriffe aufgebe zugunsten einer dem heutigen Sprach-gebrauch adáquateren Deskription. Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utf Universitas Tarraconensis. Revista de Filologia, núm. 4, 1983 Publicacions Universitat Rovira i Virgili · ISSN 2604-3432 · https://revistes.urv.cat/index.php/utf

Die bedeutungen des verbs «werden» und möglichkeiten ihrer didaktischen vermittlung im deutschunterricht an aüslander

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Die bedeutungen des verbs «werden» und möglichkeiten ihrer didaktischen vermittlung im deutschunterricht an aüslander

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