Weber, Wolfgang E. J.

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OPUS Augsburg

Tagung: Fortschritt und Verlust 64                       Mitteilungen, Heft Nr. 27 Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Eva Maria Gajek, Anne Kurr und Lu Seegers, Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. 57, Göttingen: Wallstein Verlag 2019, 367 S., 42,00 €, ISBN 978-3-8353-3409-0. Der mit gut gewählten Bildern und Diagrammen ausgestattete Band der renommierten Reihe umfasst neben der über 20seitigen Einleitung insgesamt 16 Aufsätze vornehmlich jüngerer Historikerinnen und Historiker sowie einer Sozialwissenschaftlerin. Sein Anspruch besteht darin, neue Perspektiven für eine „genuin historische Reichtumsforschung“ (Einleitung, 11) zu entwickeln und zu erproben.  Reichtum wird [dabei] nicht nur als Differenzerfahrung in Einkommen und Vermögen verstanden, sondern auch in seiner sozialen und kulturellen Dimension sowie in seiner räumlichen Ausprägung erfasst. (12)  Der erste Teil des Bandes setzt vor diesem Hintergrund an der „Innenansicht“ des Reichtums an (35–119). In ihm geht es zunächst um „Akteure, Lebenswelten und Netzwerke“. T. Riotte stellt kritisch unser „zumeist Zufallsfunden geschuldet[es]“ (40, FN 28) Wissen über das Vermögen des vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts herrschenden bzw. in seinen soziokulturellen Positionen mehr oder weniger geschmälert verbliebenen deutschen Hochadels zusammen. Was er eruiert, sind indessen zwei wesentliche Anpassungsstrategien der Häuser und ihrer Experten zur Vermögenssicherung und -steigerung: Geldanlagen zumal auf auswärtigen Finanzmärkten und vor allem staatsnahes Unternehmertum. Wer ihnen dabei assistierte, waren wiederum bestimmte Privatbankiers, die dadurch ihre eigenen familiär-dynastischen Sozialstrategien förderten, wie anschaulich unmittelbar anschließend I. Köhler herausarbeitet. J. Fingers Analyse der Gestaltungschancen großer Unternehmerfamilien in der NS-Zeit vertieft und erweitert gewohnt souverän diese Perspektive am Fall der Firma Dr. Oetker/R. Kaselowski; besonders interessant erscheint hier, wie sich der Familienreichtum in die Ideologie der ‚Volksgemeinschaft‘ einordnen ließ. M. Reimer schließt den Abschnitt ab mit einer noch eher explorativen Untersuchung von „Praktiken des Reichtums im Dresden der Nachkriegszeit“, d.h. in der frühen DDR, wobei die Familie Bienert im Fokus steht (98–119). Der zweite Abschnitt des ersten Bandteils nimmt spezifisch „Räume, Mobilität, Orte“ des Reichtums in den Blick (121–197). M. Schallenberg vergleicht und verknüpft dazu Reichtum und Mäzenatentum am Beispiel Hamburgs einer- und New Yorks andererseits; ihm erscheint die halb analytische, halb metaphorische Rede von einem „fließenden transatlantischen Kulturraum der Reichen“ (120–121, 143 u.ö.) eine wesentliche Betrachtungsperspektive. E.M. Gajek steuert zu dem maßgeblich von ihr verantworteten Band eine derjenigen raumanalytischen Fallstudien bei, die der Verfasser dieser Rezension einst vergeblich in ein neues raumkulturell-historisches Graduiertenkolleg des IEK einzubringen suchte, nämlich zum NEUES AUS DEM IEK Mitteilungen, Heft Nr. 27 65 Villenviertel als Reichtumsort. S. Derix wendet sich forschungslogisch unvermeidlich demgegenüber den überörtlichen Infrastrukturen und der räumlichen Mobilität des Reichtums zu; was ihren Aufriss besonders wertvoll macht, sind ihre gelegentlichen Rückblicke in die Phasen vor dem 20. Jahrhundert. Ebenfalls mit transnationalen Reichtumssicherungs- und -vermehrungspraktiken hier durch Banken befasst sich anschließend Chr. Koppers nüchtern-scharfe Studie zu Verhältnissen und Entwicklungen in Deutschland seit den 1970er Jahren. Der Leser erfährt allerhand zur Transformation Luxemburgs zum Anlageparadies für Vermögende und zur damit einhergehenden „sinkenden steuerlichen Gesetzestreue in vermögenden Kreisen“ (197). Im „Aussenansicht“ überschriebenen zweiten Bandteil (199–362) werden zunächst „Öffentlichkeiten, Repräsentationen, Wahrnehmungen“ anvisiert. L. Seegers befasst sich mit den vergleichsweise hohen Einkünften von Filmstars der NS-Zeit und deren Umgang mit ihrem Reichtum, wobei dem Genderaspekt weitere Vertiefung hätte gewidmet werden können. Dem aktuell wieder besonders diskutierten Repräsentations- und Legitimitätsbeschaffungselement Kunstmäzenatentum wendet sich A. Kurr zu, mit dem erfreulichen Resultat manchen kritischen Einblicks in die einschlägige Geschichte des Kölner Museums Ludwig sowie dem kulturhistorisch wichtigen Befund, dass „der globale Trend der wachsenden Exklusivität privater Kunst weiterhin ungebrochen“ scheint (247). T. Bodenstedt nimmt sich dagegen die Debatte über Reichtumsvererbung seit den 1980er Jahren vor und kommt u.a. zu dem interessanten Schluss, dass sich diese durch eine „Geschlechterblindheit“ auszeichne, indem sie die Unterschiede zwischen Erbinnen und Erben unter dem übergreifenden Aspekt der Fortsetzung und Verschärfung ökonomisch-sozialer Ungleichheit begrabe (270f.). Dass auch das private Musikkabelfernsehen – insbesondere MTV – die Reichsperformanz und damit die Wahrnehmung und Einschätzung des Reichtums in der breiteren Öffentlichkeit deutlich beeinflusst, arbeitet zum Schluss dieses Abschnitts überzeugend M. Lüthe heraus. Der folgende Abschnitt bietet „Zahlen, Vermessungen, Sichtbarmachungen“ wieder anhand von vier Beiträgen. R. Banken wagt sich an eine statistische Untersuchung der großen Vermögen in Deutschland zwischen 1928 und 1940. Obwohl er einräumt, nur „Grundstrukturen“ erfasst haben zu können (311 u.ö.), dürften seine zahlreich tabellarisch umgesetzten Befunde die einschlägige Diskussion künftig maßgeblich mitbestimmen; das gilt auch für die nüchterne Auslotung des Anteils der großen Vermögen an der NS-Rüstungsfinanzierung. S. Niederacher rekonstruiert in ihrer wohltuend unverblendeten Fallstudie anschließend die – allgemein und spezifisch extrem ungleichen – Vermögen jüdischer Frauen und Männer in Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. J. Gieseke nimmt sich ebenso klar die Frage vor, ob es im SED-Staat Reichtum gab und wie er sich verstand bzw. von der Partei und von der Bevölkerung eingeschätzt wurde. Was sich zeigt, ist ein komplexes Bild, in dem allerdings der Superreichtum und die selbstbewusst-provokante Reichtumsselbstdarstellung fast vollständig fehlen. Der Schlusssatz des Autors verdient auch im vorliegenden Rahmen ausdrückliche Zitierung: „Es wäre eine Tagung: Fortschritt und Verlust 66                       Mitteilungen, Heft Nr. 27 genauere Untersuchung wert, inwiefern die ‚Reichen‘ der staatssozialistischen Gesellschaft auch in der postkommunistischen Vereinigungsgesellschaft ihre Vorteile reproduzieren konnten“ (347). Auch aus kulturhistorischer Perspektive ergänzungsfähig erscheint trotz wichtiger kritischer Einräumungen (u.a. 358–359 zum Instrument der Befragung und zur offiziösen und amtlichen Statistik) der abschließende Beitrag aus der sozialwissenschaftlichen Feder von D. Spannagel. Er zitiert zustimmend u.a. die Aussage der ehemaligen SPD-Spitzenpolitikerin Andrea Nahles von 2016: „Es gibt inzwischen eine Oligarchie der Reichen in diesem Lande“ (361), verzichtet aber darauf, auf die forschungslogisch unmittelbar anknüpfende sozialwissenschaftliche Netzwerkforschung hinzuweisen, und gönnt den Dimensionen der wechselnden Wahrnehmung, Einschätzung und des Umgangs mit dem Reichtum auch in den Fußnoten so gut wie keine Beachtung. Was er vermittelt, ist aber immerhin eine (wohl noch) aktuelle tabellarische Darstellung der deutschen „Reichtumsquoten“ (360).   Das selbst gewählte Ziel des Bandes, zur Konzeption einer angemessenen Reichtumsforschung beizutragen, kann insgesamt als eindrucksvoll eingelöst betrachtet werden. Auch die Kulturgeschichte ist den drei Initiatorinnen und Herausgeberinnen des Bandes zum Dank verpflichtet. Es ist zu wünschen, dass die vorliegend entwickelten Ideen, Impulse und Perspektiven nicht versanden, sondern breit rezipiert und genutzt werden.  WOLFGANG E.J. WEBER Tobias Roth, Welt der Renaissance, Köln: Galiani Berlin 2020, 640 S., 89 €, ISBN: 978-3-86971-205-5. Tobias Roth verfolgt in Welt der Renaissance ein anspruchsvolles Vorhaben: Texte von nicht weniger als 68 Autor.innen versammelt er in seinem „Großlesebuch” (13). Einige unter ihnen lagen bisher nicht in Übersetzung vor und sind nun erstmals einem deutschsprachigen Publikum zugänglich. Roths Corpus bietet einen Längsschnitt durch fast zweihundert Jahre italienischer Literatur, vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, beginnend mit Petrarca, beschließend mit Tasso. Den Grundstock bilden Roths zwischen 2011 bis 2017 per Mail erschienene Berliner Renaissancemitteilungen, „eine Art Zeitschrift mit Übersetzung im Anhang und Erläuterungen in der Mail’ (19). Dieser Bestand sei für den vorliegenden Band „ausgejätet, ergänzt und überarbeitet“ (19) worden. Der Großteil der ausgewählten Texte stammt von Akteur.innen des 15. Jahrhunderts.  Auf eine kurze Einführung, in der Roth erst die „Welt der Renaissance, wie sie sich in diesem Großlesebuch präsentiert [… als] eine Welt einer italienischen Renaissance“ (13) ausweist und anschließend durch fast zweihundert Jahre italienischer Geschichte galoppiert, folgen die Übersetzungen in 68 Kapiteln, chronologisch geordnet nach dem Geburtsjahr ihrer Verfasser.innen. Der Aufbau 

Rezension: Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Eva Maria Gajek, Anne Kurr und Lu Seegers, Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. 57, Göttingen: Wallstein Verlag 2019

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Rezension: Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Eva Maria Gajek, Anne Kurr und Lu Seegers, Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. 57, Göttingen: Wallstein Verlag 2019

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