52 research outputs found

    Editorial

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, im Januar dieses Jahres ist Erik Olin Wright verstorben. Sein Sterben hat der einflussreiche Soziologe in einem eigenen Blog begleitet. Im Tonfall einer stets heiteren Sachlichkeit kommentiert er den Alltag im Krankenhaus, die Herausforderungen der Therapie, die Begegnungen mit Freunden, Freundinnen und Familienangehörigen und immer wieder auch die eigene soziologische Arbeit. Wright, dessen Werke zur Erweiterung des marxistischen Klassenkonzepts, zu sozialen Bewegungen und â€șrealen Utopienâ€č nicht nur in den USA breit rezipiert wurden, richtet den Blick weg von Fragen der methodischen oder theoretischen Ausrichtung hin zu den sozialen Wirkungen soziologischer Praxis. Gerade die Grenzstellung der Soziologie zwischen â€șharterâ€č erklĂ€render Wissenschaft und kĂŒnstlerischer KreativitĂ€t verschafft ihm, so scheint es, die nötige gedankliche Bewegungsfreiheit um soziologisch informierte und kontrollierte MöglichkeitsrĂ€ume auszuloten. »So, scientists make discoveries; artists, at their best, create new worlds. What about sociologists? I’ll open a can of worms: I think what is wonderful about sociology is the messy way it does both. We make discoveries about the world, reveal how it â€șreally worksâ€č as best we can. But we also invent new ways of thinking about the world that shape the way people make meaning in their lives and act in their social world. [
] In sociology there is thus a dance between a science of how things work and sociology of the creative possibility: possibility disciplined by a demand for specification of mechanisms.« [1 ]Manche wĂŒrden diese Selbstbeschreibung Wrights vermutlich aus verschiedenen GrĂŒnden ablehnen: als zu einseitig politisiert, zu normativ, zu unwissenschaftlich oder auch zu stark verengt auf die klare Benennung von â€șMechanismenâ€č. Die Liste der EinwĂ€nde ließe sich fortsetzen, und sie sind es zweifelsohne Wert, diskutiert zu werden. Dass aber jenseits interner Auseinandersetzungen um Paradigmen, Methoden oder Theorie/Empirie VerhĂ€ltnisse auch ein Blick auf die eigene Praxis des Soziologisierens, die sozialen Wirkungen der Wissensproduktion und ihre Einbettung nicht nur in disziplinĂ€re sondern auch interdisziplinĂ€re, institutionelle, politische und vielfĂ€ltige andere Kontexte lohnen könnte, wĂ€re als mögliche Akzentverschiebung vielleicht ein Ausweg aus einigen festgefahrenen aktuellen Debatten. Thomas Scheffer und Robert Schmidt zumindest formulieren einen solchen Vorschlag in ihrem Beitrag in diesem Heft, in dem sie die Diskussion um das SelbstverstĂ€ndnis der Soziologie als plurale Disziplin aus den vergangenen Heften aufgreifen und fortsetzen. Herzlich, Ihre Sina Farzi

    Die Semantik des Menschen bei Niklas Luhmann und Giorgio Agamben

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    "Die Stellung des Menschen in den sozialtheoretischen Arbeiten Niklas Luhmanns und Giorgio Agambens steht im Zentrum des Vortrags. In einer vergleichenden LektĂŒre soll aufgezeigt werden, wie die Bedeutung der Kategorie des Menschen innerhalb einer anti-humanistisch argumentierenden Gesellschaftstheorie gefasst wird und welche Problemlagen dabei entstehen. Sowohl bei Luhmann als auch Agamben erwĂ€chst das Interesse an der Thematik des Menschen aus der BeschĂ€ftigung mit Grenzfragen der Gesellschaft. Im Mittelpunkt der hier verhandelten Arbeiten steht die Frage, wie in einer prinzipiell offenen und unbegrenzten Einheit Gesellschaft dennoch interne soziale Grenzziehungen vollzogen werden, die in letzter Konsequenz markieren, was als Mensch bezeichnet werden kann oder nicht. Die Systemtheorie Niklas Luhmanns vollzieht eine der entschiedensten und meistzitierten Abwehrgesten gegen 'den Menschen' als Grundkategorie soziologischer Theoriebildung. Vor diesem Hintergrund ĂŒberrascht der 'Wiedereintritt' des Menschen in das Theorievokabular der Systemtheorie im SpĂ€twerk Niklas Luhmanns. Der Beitrag schlĂ€gt vor, diesen Wiedereintritt als Indiz einer theoretischen Krise zu interpretierten, die durch die Konfrontation mit PhĂ€nomenen sozialer Verelendung und Exklusion hervorgerufen wird. An diesem Punkt zeigt sich ein bis dahin negierter 'Humanismus', der trotz aller eindeutigen Abgrenzungen gegenĂŒber hergebrachten 'Menschenbildern' selbst nicht frei ist von normativen Merkmalen. An dieser Stelle einer theoretischen Verunsicherung sollen AnknĂŒpfungsmöglichkeiten an die sozialphilosophischen Arbeiten Giorgio Agambens zur Frage der Bezeichnung des Menschen aufgezeigt werden. In sehr viel expliziterer Form als Luhmann befasst Agamben sich mit der Frage, durch welche sozialen Mechanismen Menschen als Menschen bezeichnet werden und zu welchen Konsequenzen das Fehlen oder die Aberkennung dieser Bezeichnung fĂŒhrt. Hier bietet sich die Chance fĂŒr eine Systemtheorie der sozialen Exklusion, den prekĂ€ren und kontingenten Charakter der Bezeichnung des Menschen als Menschen und die sozialen Folgen der Abwesenheit dieser Zuschreibung schĂ€rfer zu fokussieren." (Autorenreferat

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Im SPIEGEL Nr. 34/2018 lernte ich unlĂ€ngst ĂŒber den Spitzenkandidaten der hessischen SPD Thorsten SchĂ€fer-GĂŒmbel, dass er die Probleme der »sogenannten kleinen Leute« auf Soziologendeutsch beschreibt. Das könnte eine gute Nachricht sein, legt sie doch nahe, dass Herr GĂŒmbel empirisch begrĂŒndete Vorstellungen von der Beschaffenheit dieser Probleme und trennschĂ€rfere Begriffe als den der »kleinen Leute« zur VerfĂŒgung hat, um den inhaltlichen Herausforderungen zu begegnen, die politische SpitzenĂ€mter mit sich bringen. Es war aber wohl anders gemeint. Die beiden Autoren des Portraits sahen gerade in diesem Soziologendeutsch ein eher bedauernswertes Problem des Kandidaten, das – gĂ€nzlich unabhĂ€ngig vom konkreten Fall – ein Ärgernis fĂŒr die Soziologie sein könnte. Denn, so entnehme ich der einzigen zitierfĂ€higen Definition, die ich finden konnte: Soziologendeutsch ist »Jargon, oft kombiniert mit BandwurmsĂ€tzen und Hauptwörterei, vertuscht die Plattheit eines Arguments, verhindert, dass man dieses ĂŒberhaupt versteht, lĂ€hmt so die mögliche Kritik und verspricht zugleich eine geistige Tiefe, die nicht vorhanden ist.« Keine Auskunft gibt der Text zu der Frage, warum ausgerechnet der Soziologie die Ehre zuteilwurde, Namensgeberin fĂŒr ein derart scharfes rhetorisches Schwert zu sein. Der Vorwurf, einen »Jargon« zu pflegen, traf ja zunĂ€chst vor allem das philosophische Schreiben und wurde im »Jargon der Eigentlichkeit« von Theodor W. Adorno zu einer umfassenden ideologie- und sprachkritischen Auseinandersetzung verdichtet. Noch weniger einleuchten will mir die Schlussfolgerung, andere Disziplinen, denken wir an die Physik oder die Medizin, kĂ€men mit weniger Substantivierungen zur Erfassung und Beschreibung ihrer GegenstĂ€nde aus. Oder per se mit weniger Kommata. Anders als im Fall der Soziologie scheint man hier aber gewillt zu sein, die fĂŒr Nicht-Eingeweihte ebenfalls kaum verstĂ€ndliche Fachsprache als notwendiges, weil exakteres Ausdrucksmittel hinzunehmen. Das alles soll nicht heißen, dass in einigen soziologischen Texten nicht manchmal einfacher oder klarer formuliert werden könnte – aber auch das halte ich nicht fĂŒr ein Alleinstellungsmerkmal soziologischen, sondern letztendlich jeglichen wissenschaftlichen Schreibens. Das Soziologendeutsch zumindest, das ich kenne und schĂ€tze, gewinnt ja grade aus der Differenz zur Alltagssprache seine begriffliche Klarheit – nicht nur aber eben auch bei der Thematisierung vorgeblich alltĂ€glicher PhĂ€nomene. Nun ja, ich fĂŒrchte, die wenig schmeichelhafte Fremdzuschreibung werden wir als Disziplin nicht so schnell wieder los. Da hilft im Zweifelsfall nur SelbstaufklĂ€rung: BeitrĂ€ge zur Semantik oder Begriffsgeschichte des unerfreulichen Terminus nehmen wir gerne fĂŒr unsere Rubrik »Soziologie in der Öffentlichkeit« entgegen. Und wer sein aktives Soziologendeutsch im besten Sinne intensiv pflegen möchte, ist sicher Ende September in Göttingen auf dem DGS Kongress am richtigen Ort. Zur Einstimmung finden Sie im vorliegenden Heft einen Beitrag zur Geschichte der Soziologie in Göttingen von Ina Alber-Armenat und Oliver Römer. Vielleicht sehen wir uns dann ja dort auf ein paar SĂ€tze SoziologInnendeutsch? Das wĂ€re schön! Herzlich, Ihre Sina Farzi

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    Wissen Sie noch, warum Sie sich entschieden haben Soziologie zu studieren? Und wurde Ihre mehr oder weniger hehre Motivation in den ersten Studiensemestern bestĂ€tigt oder eher zertrĂŒmmert (um sich dann hoffentlich neu zu formieren)? Peter Berger beklagte augenzwinkernd schon 1963 in seiner »Einladung zur Soziologie«, dass viele seiner Studierenden sich von der Soziologie zunĂ€chst eine Art universitĂ€re BegegnungsstĂ€tte fĂŒr Menschenfreunde oder Sozialreformer erhoffen – und dann erst einmal bitter enttĂ€uscht werden mĂŒssen. Von einer Ă€hnlichen Motivlage bei StudienanfĂ€ngerinnen und StudienanfĂ€ngern im BA Soziologie berichtet Sabine Ritter auch 2017 noch im Symposion »Soziologie und Schule« in diesem Heft, das einen Teil der Arbeit des gleichnamigen DGS-Ausschusses unter Vorsitz von Reiner Keller dokumentiert. Die Autorinnen und Autoren tragen dabei Befunde zusammen, die die VerdrĂ€ngung soziologischen Wissens aus den Unterrichts- und LehrplĂ€nen durch eine zunehmende Zentrierung auf das Individuum ohne soziale KontextbezĂŒge zeigen, und entwickeln Strategien, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Besser informierte Entscheidungen bei der Studienplatzwahl wĂ€ren dabei nur ein kleiner, wenn auch allen Soziologielehrenden sicher willkommener Nebeneffekt einer StĂ€rkung und Verbesserung soziologischer Allgemeinbildung durch die Schule. Auf positive Inspiration durch Fremdbeschreibung sollte man zumindest nicht hoffen: Die raren Darstellungen von Soziologinnen und Soziologen in Literatur oder Film helfen nicht wirklich weiter. Zuletzt begegnete mir eine solche Figur in Juli Zehs Roman »Unter Leuten«: Ein Sozialwissenschaftler Ende Vierzig wagt mitsamt Frau und Kind nach Jahrzehnten den Sprung aus der prekĂ€ren UniversitĂ€tsexistenz in die brandenburgische Provinz. Der berufliche Neuanfang bei der örtlichen Naturschutzbehörde gelingt, jedoch nicht etwa wegen seiner hochgeschulten Sozioprudenz, die Clemens Albrecht und Joachim Fischer in ihrem Beitrag als Bestandteil soziologischer Bildung erlĂ€utern, sondern weil Jahrzehnte der projektförmigen Forschung ihn zum Fachmann fĂŒr die erfolgreiche BewĂ€ltigung noch so komplizierter Antragsformulare fĂŒr das Einwerben von EU-Geldern haben reifen lassen. Experten und Expertinnen im Beantragen von Fördermitteln auszubilden – das wĂ€re nun wirklich sowohl als Ausgangsmotivation wie auch als Berufsziel soziologischen Wissenserwerbs eine triste Aussicht. Und sonst so? Es ist wieder Kongressjahr! In diesem Heft finden Sie die Calls zu den Plenen fĂŒr den 39. DGS-Kongress in Göttingen »Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen« sowie die Ausschreibung fĂŒr die DGS-Preise. Das Organisationsteam und die Jurys freuen sich auf Ihre VorschlĂ€ge. Ihre Sina Farzi

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, »I have no universal cure for the ills of sociology. A multitude of myopias limit the glimpse we get of our subject matter. To define one source of blindness and bias as central is engagingly optimistic. Whatever our substantive focus and whatever our methodological persuasion, all we can do I believe is to keep faith with the spirit of natural science, and lurch along, seriously kidding ourselves that our rut has a forward direction. We have not been given the credence and weight that economists lately have acquired, but we can almost match them when it comes to the failure of rigorously calculated predictions. Certainly our systematic theories are every bit as vacuous as theirs; we manage to ignore almost as many critical variables as they do. We do not have the esprit that anthropologists have, but our subject matter at least has not been obliterated by the spread of the world economy. So we have an undiminished opportunity to overlook the relevant facts with our very own eyes. We can’t get graduate students who score as high as those who go into Psychology, and at its best the training the latter get seems more professional and more thorough than what we provide. So we haven’t managed to produce in our students the high level of trained incompetence that psychologists have achieved in theirs, although, God knows, we’re working on it.« [1] Die Selbstbeschimpfung vor Publikum hat in der Soziologie eine so lange und ehrenhafte Tradition, dass es nur eine Frage der Zeit scheint bis das erste ihr gewidmete Handbuch veröffentlicht wird. Das hier zitierte Beispiel stammt aus Erving Goffmans posthum veröffentlichter ASA Presidential Address 1982, in der es ihm in wenigen Zeilen gelingt, gegen das eigene Fach und gleich mehrere Nachbardisziplinen auszuteilen. Heute sprĂ€che man neudeutsch wohl von einem rant. Dass gerade fĂŒr ein plurales Fach wie die Soziologie Auseinandersetzungen um die richtige Art des Soziologisierens nicht nur zentrifugale, sondern umgekehrt auch integrative Dynamiken hervorbringen, zeigt allerdings nicht zuletzt die Bedeutung der verschiedenen großen »Streite« fĂŒr die FachidentitĂ€t. Aktuell mehren sich wieder die an eine (Fach)Öffentlichkeit gerichteten BeitrĂ€ge, in denen es um die verschiedenen Arten und Weisen geht, Soziologie zu betreiben. [2] Die GrĂŒnde dieser Konjunktur sehen einige ganz grundsĂ€tzlich in der öffentlichen Auseinandersetzung um den gesellschaftlichen Stellenwert wissenschaftlicher Erkenntnisse, etwas unglĂŒcklich unter dem Label des â€șPostfaktischenâ€č verschlagwortet. Andere wiederum nehmen als Ausgangspunkt die wissenschaftsinternen Diskussionen, welche nicht zuletzt die GrĂŒndung einer Akademie fĂŒr Soziologie begleiten. In diesem Heft werden beide Perspektiven im Rahmen eines Schwerpunkts aufgegriffen: »(Er-)ZĂ€hlen – Fakten und Deutungen in einer komplexen Welt« lautete der Titel einer Podiumsdiskussion mit Daniela Grunow und Armin Nassehi, die Paula Villa und Steffen Mau im Januar in MĂŒnchen als Public Sociology Veranstaltung fĂŒr die DGS organisiert haben. Die anlĂ€sslich der Veranstaltung entstandenen BeitrĂ€ge der vier AutorInnen werfen dabei einen weniger polemischen als vielmehr reflektierenden, in Teilen sogar therapeutischen Blick auf die eigene soziologische Praxis. Ihre LektĂŒre sei vor allem jenen vielen unter Ihnen empfohlen, die sich in unserer LeserInnenumfrage mehr Auseinandersetzung und Debatte gewĂŒnscht haben - aber auch allen, die schon immer wissen wollten, wie es der Haushalt Nassehi mit der MĂŒllentsorgung hĂ€lt. Herzlich, Ihre Sina Farzin  [1] Erving Goffman 1983, The Interaction Order: American Sociological Association, 1982 Presidential Address. American Sociological Review, 48. Jg., Heft 1, 1–17, hier Seite 2. [2] Zum Beispiel Richard MĂŒnch 2018, Soziologie in der IdentitĂ€tskrise: Zwischen totaler Fragmentierung und Einparadigmenherrschaft. Zeitschrift fĂŒr Soziologie, 47. Jg., Heft 1, 1–6

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Als wir Sie im Herbst 2017 baten, an einer Umfrage unter den Lesern und Leserinnen der SOZIOLOGIE teilzunehmen, waren wir nicht sicher, ob wir mit viel Resonanz rechnen konnten. Viele unter Ihnen sind vermutlich immer wieder mit unverlangt zugesandten Einladungen und Aufforderungen dieser Art konfrontiert, und selbst bei durchaus ehrenhaften Anliegen beschleicht einen nach Anklicken von Unterfrage 56_3_b manchmal eine Ahnung, dass man den Nachmittag vielleicht doch sinnvoller hĂ€tte verbringen können. Wir haben unsere Umfrage daher kurz gehalten und ob es nun daran lag oder – das wĂ€re noch schöner – an Ihrem Engagement: Der RĂŒcklauf hat uns ĂŒberrascht und begeistert. Über 1.300 Personen haben sich beteiligt, und Sie finden in diesem Heft eine erste Auswertung der Ergebnisse. Ihre Antworten und Kommentare haben uns mit wertvollen Ideen und food for thoughts versorgt. In den kommenden Editorials werde ich immer wieder darauf zurĂŒckkommen und erlĂ€utern, wie wir Ihre Hinweise und Kritik umsetzen. Ein wiederholt geĂ€ußerter Wunsch ist der nach dialogischen Formaten und mehr interner Debatte. Wir werden das aufgreifen und versuchen, bestehende Formen zu verstĂ€rken und neue zu entwickeln. Dabei sind wir aber nicht zuletzt, was die Themen angeht, auf Sie angewiesen: Die SOZIOLOGIE ist in erster Linie das Forum der DGS-Mitglieder. Wir sind fĂŒr Beitragsangebote stets offen, die eine reflexive Perspektive auf unsere Disziplin entwickeln, sei es in historischer, forschungsthematischer oder praktischer Hinsicht. So stellt beispielsweise Tanja Bogusz in diesem Heft die Frage nach den Auswirkungen der historischen Differenzierung einer soziologischen und anthropologischen Beobachtung von Gesellschaft; ein Autorenkollektiv fragt nach den Erkenntnisverlusten zwischen den weitgehend unbeeindruckt voneinander arbeitenden Teilfeldern Wissenschafts- und Hochschulforschung, im Beitrag von Roman Kiefer, Christoph Panzer und Hannes Weinbrenner wird das SoziologieverstĂ€ndnis Studierender in verschiedenen Phasen ihrer Studiums und an verschiedenen Standorten untersucht, und Jo Reichertz schließlich diskutiert die praktischen Probleme bei der Bewertung kollektiver Interpretationsarbeit. Wir hoffen, mit diesen und weiteren BeitrĂ€gen schon im aktuellen Heft zu dem in der Umfrage artikulierten, selbstbefragenden Blick auf die Soziologie beitragen zu können. Ob daraus und darĂŒber hinaus Debatten entstehen, liegt nicht zuletzt an Ihnen. Wenn ich mir eine Zahl in der Befragung anders wĂŒnschen könnte, wĂ€re es die Antwort auf die Frage gewesen, ob Sie selbst schon einmal einen Text in der SOZIOLOGIE veröffentlicht haben. Nur 6% der Antwortenden haben das bereits mehrfach getan, 11% bisher einmal. Ich denke, da ist noch etwas Luft nach oben. Im Beitrag zur Auswertung der Umfrage ab Seite 204 stellen wir daher auch die verschiedenen Beitragskategorien der SOZIOLOGIE noch einmal vor; vielleicht bringt das ja die eine oder den anderen auf Ideen. Herzlich, Ihre Sina Farzi

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, FĂŒhlen Sie sich auch als Krisengewinnler? Zumindest der Disziplin, der Sie angehören, hat der SPIEGEL im letzten Oktober dieses Etikett verliehen. Die Corona-Pandemie, so die nicht ganz charmante Analogie, habe die Nachfrage nach Toilettenpapier und soziologischen Deutungsangeboten in ungekannte Höhen schnellen lassen. Wenn man die Analyse der Tiefenstruktur solcher Parallelisierungen lieber den Kollegen und Kolleginnen in der Psychologie ĂŒberlĂ€sst, kann man sich ĂŒber das öffentliche Interesse an soziologischem Wissen vielleicht einfach freuen. In diesen Tagen doziert etwa Kanzlerkandidat Olaf Scholz ĂŒber Politik in einer »Gesellschaft der SingularitĂ€ten«, um gleich noch einen Verweis auf den unter SoziologInnen eher vergessenen dystopischen Essay »The Rise of Meritocracy« von Michael Young hinterherzuschieben. Beeindruckend angewachsen ist inzwischen auch die Sammlung der soziologischen Stimmen zur Corona-Pandemie, die seit einem Jahr auf der Homepage der DGS gesammelt und verlinkt werden. Dabei stehen zumeist die sozialen Effekte der PandemiebekĂ€mpfung im Fokus, etwa fĂŒr die Verteilung von Care-Arbeit, auf die beispielsweise Jutta Allmendinger und andere immer wieder hinweisen. In den USA erklĂ€rt derweil Zeynep Tufecki einem wachsenden Publikum unermĂŒdlich nicht nur die absehbaren Folgen der Pandemie, sondern die Bedeutung sozialer Ursachen fĂŒr die Verbreitung von Ansteckungen und den Grad der Bereitschaft, Verhaltensregeln einzuhalten. Und in diesem Heft sind gleich zwei hochrangige Wissenschaftspreise fĂŒr Vertreter unserer Disziplin zu vermelden. Das ist doch irgendwie auch eine gute Nachricht inmitten krisenhafter Zeiten, oder nicht? Blickt man in das vorliegende Heft, steht dabei nicht zu befĂŒrchten, dass die Disziplin vor lauter erfolgreicher »public sociology« die internen Diskussionen aus dem Blick verliert. Axel T. Paul und Matthias Leanza fĂŒgen der Debatte um die Perspektiven einer postkolonialen Soziologie, die 2018 in Heft 4 mit der Emaildiskussion zwischen Manuela Boatcă, Julian Go und mir ihren Anfang nahm, ein weiteres Kapitel zu und es wird spannend sein zu sehen, ob nun alle Argumente ausgetauscht wurden. Kanzlerkandidaten und ihre SoziologielektĂŒre hin oder her – einen ersten Höhepunkt des Superwahljahrs 2021 haben wir ĂŒbrigens schon hinter uns gebracht: Die Gremienwahlen der DGS sind abgeschlossen und Sie finden in diesem Heft das Wahlprotokoll mit allen Ergebnissen. FĂŒr mich bedeutet diese Wahl den Abschied aus dem Vorstand und der Redaktion. Ich danke Karin Lange und Sylke Nissen fĂŒr die Zusammenarbeit in den letzten vier Jahren, die mir meine Arbeit als Herausgeberin stets leicht gemacht hat, und freue mich auf Heft 3 der SOZIOLOGIE – dann wieder als Leserin. Herzlich, Ihre Sina Farzi

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, Sie sind gut in das Jahr 2021 gestartet. Mit allzu viel Wehmut haben Sie 2020 vermutlich nicht verabschiedet. Oder etwa doch? Denn wĂ€hrend man sich alltagsweltlich zunehmend nach weniger Verunsicherung und mehr â€șalterâ€č statt â€șneuerâ€č NormalitĂ€t sehnte, kam und kommt man soziologisch aus dem Staunen kaum heraus: darĂŒber, wie entschieden nationale Politik das soziale Leben in allen Facetten pandemiebedingt regulierte (oder anderenorts eben nicht), wie schnell Alltagsroutinen neu definiert werden können – HĂ€ndeschĂŒtteln wird durch fist bumps und EllenbogengrĂŒĂŸe ersetzt – oder wie tief von Knappheitsphantasmen angetriebene, sehr spezifische KonsumwĂŒnsche eigentlich kollektiv blicken lassen. Nicht zuletzt fĂŒr die soziologische BeschĂ€ftigung mit der Wissenschaftskommunikation lieferte das vergangene Jahr Material fĂŒr gleich mehrere zukĂŒnftige ForschungsverbĂŒnde. Das vielgescholtene »Defizitmodell«, also die Vorstellung, dass wissenschaftliche Erkenntnisse monologisch aus der Wissenschaft heraus in die Öffentlichkeit vermittelt werden, erschien auf einmal nicht mehr ganz so angestaubt angesichts der Begeisterung, mit der Viele zum Beispiel virologischen Podcasts folgten. Und auch die Unvereinbarkeiten der Funktion und Form wissenschaftlichen und medial inszenierten Streitens, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder fĂŒr ZĂŒndstoff sorgten, dĂŒrften noch einiges an kommender sozialwissenschaftlicher BeschĂ€ftigung nach sich ziehen. Jenseits der interessierten Beobachtung und wissenschaftlichen Analyse pandemiebedingter Wissenschaftskommunikation betreffen die tieferliegenden Fragen aber auch die Soziologie selbst. Wie und in welcher Form wissenschaftliche Erkenntnisse jenseits der eigenen scientific community kommuniziert werden sollen oder können und an wen sich solche Kommunikationsangebote ĂŒberhaupt konkret richten, sind zentrale aktuelle Fragen, die nicht zuletzt durch politische Aufforderungen und neue Vorgaben bei der Verteilung von Drittmitteln an Dringlichkeit gewinnen. Bereits im letzten Heft haben wir von der DGS co-initiierte Stellungnahmen zur aktuellen Debatte um die Wissenschaftskommunikation veröffentlicht, denen sich inzwischen zahlreiche wissenschaftliche VerbĂ€nde und Gesellschaften aus unterschiedlichen sozial-, kultur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen angeschlossen haben. Der so angestoßene interdisziplinĂ€re Dialog findet seine Fortsetzung auch in diesem Heft, in dem wir eine Online-Diskussion anlĂ€sslich des digitalen Workshops zur Wissenschaftskommunikation in den Gesellschaftswissenschaften dokumentieren, den die DGS gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften im vergangenen Herbst organisiert hat. Inwieweit die in der Positionierung der DGS zum Grundsatzpapier des BMBF zur Wissenschaftskommunikation angestrebte Etablierung eines konstruktiven Austauschs mit der Politik gelingt, wird das neue Jahr zeigen. Herzlich, Ihre Sina Farzi

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    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, »Civil inattention« nannte Erving Goffman eine soziale Kunstfertigkeit, in der es insbesondere die Bewohner dicht bevölkerter GroßstĂ€dte unweigerlich zu einiger Kennerschaft bringen, wenn sie sich regelmĂ€ĂŸig in öffentlichen RĂ€umen bewegen. Ein unendlich feines Reservoir von Gesten, Blicken, Requisiten wird genutzt, um den anderen unbekannten Anwesenden zu signalisieren, dass man selbst bei grĂ¶ĂŸter körperlicher NĂ€he die Grenzen des GegenĂŒbers kennt und keine Bedrohung empfindet oder selbst darstellt. Der Blick auf die eigenen Schuhspitzen im ĂŒberfĂŒllten Bus, das Offenhalten der KaufhaustĂŒr fĂŒr den nĂ€chsten Passanten, die vertiefte LektĂŒre im Bahnabteil, obwohl bei den Mitreisenden gegenĂŒber gerade ein Familienstreit Fahrt aufnimmt – all diese kleinen, eingespielten Routinen haben wir in den vergangenen Wochen in atemberaubender Geschwindigkeit verlernt, vielleicht mĂŒsste man sagen: uns abtrainiert. Wo man ĂŒberhaupt noch mit grĂ¶ĂŸeren Gruppen unbekannter Menschen einen Raum teilt, ist man nun im Gegenteil darauf bedacht, Aufmerksamkeit fĂŒr das Einhalten von physischen AbstĂ€nden zu zeigen und nicht sozial zu demonstrieren. Dass der eigene und der andere Körper nun gĂ€nzlich ungewollt zu Unsicherheitsfaktoren in einem infektiösen Geschehen werden, fĂŒhrt zu einer Ersetzung der routinisierten Gesten durch solche, die zuvor vielleicht als Ablehnung verstanden worden wĂ€ren – und nun Ausdruck von »civil attention« fĂŒr mein GegenĂŒber sind: das ZurĂŒckweichen, wenn man im Supermarkt gleichzeitig denselben engen Gang ansteuert; das kurze Wegdrehen des Kopfes und Anhalten des Atems wenn man doch zu nah aneinander vorbeilĂ€uft und der schnelle Schritt nach hinten, wenn einem im kurzen GesprĂ€ch auf der Straße der Abstand zu klein erscheint. Wie schnell und umfassend sich seit MĂ€rz alltĂ€gliche Gewohnheiten, soziale Routinen und NormalitĂ€tsverstĂ€ndnisse Ă€ndern und anpassen mussten, konnte einen alltagsweltlich mal Ă€ngstigen, mal amĂŒsieren und soziologisch mindestens in Staunen versetzen. Die Binse, dass man soziologisch immer etwas beobachtet, dessen Teil man zugleich ist, konnte in den vergangenen Wochen jeder erleben, der es sich nicht gleich wieder in hergebrachten Deutungsmustern gemĂŒtlich machen wollte. Dass dieses Verstricktsein in den eigenen Gegenstand aktuell auch forschungspraktisch ganz eigene Probleme aufwirft, nimmt Jo Reichertz in diesem Heft zum Anlass, zur gemeinsamen Diskussion auf dem SozBlog aufzurufen: Insbesondere im Bereich der qualitativen Forschung sind aktuell geplante Projekte und Qualifizierungsarbeiten vor große Herausforderungen gestellt. Was bleibt von der teilnehmenden Beobachtung in Zeiten sozialer Distanzierung? Welche Risiken darf, kann oder sollte man eingehen, wenn Feldaufenthalte anstehen? Wie reagieren Organisationen, Institutionen, Teams auf die neuen Bedingungen? Diese und weitere Fragen stehen auf dem SozBlog zur gemeinsamen Diskussion, die LektĂŒre lohnt ebenso wie die eigene Beteiligung. Zumindest fĂŒr den diesjĂ€hrigen Kongress stellen sich viele der genannten Herausforderungen nicht und werden durch andere ersetzt: Wir sehen uns im September nicht in Berlin, sondern auf unseren Bildschirmen. Die Entscheidung, den gesamten Kongress digital stattfinden zu lassen, ist nicht leichtgefallen – ermöglicht aber hoffentlich vielen von Ihnen eine unbesorgte Teilnahme. Und auch wenn viele der informellen PausengesprĂ€che und Kaffeeverabredungen dieses Jahr nicht wie gewohnt stattfinden können, finden sich sicher andere lohnende Formen des gemeinsamen fachlichen Austauschs. Herzlich, Ihre Sina Farzi

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    Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit in kollaborativen VerbĂŒnden und Gruppen stellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor eine Vielzahl von Herausforderungen, die nur wenig mit den individuellen Forschungsfragen zu tun haben. Dass insbesondere die Steuerung der großen »Forschungstanker« einige Probleme mit sich bringen kann, ist keine neue Erkenntnis. Ein frĂŒhes Zeugnis der TĂŒcken projektförmiger Forschung publizierte Apsley Cherry-Garrad 1922 in einem Reisebericht ĂŒber eine Antarktis-Expedition, wobei der Text in Passagen durchaus auch dem damals noch nicht zu voller BlĂŒte gereiften Genre des wissenschaftlichen Abschlussberichts zugeschlagen werden kann. Der wenig missverstĂ€ndliche Titel – The Worst Journey in the World – offenbart zwar noch Luft nach oben in Bezug auf die inzwischen ĂŒblichen Selbstbelobigungsrituale in derlei Texten, schreckt aber wie auch das gesamte Werk nicht vor der klaren Benennung von Fallstricken zurĂŒck. So können beispielsweise aufgrund der internen Organisationsstruktur ungĂŒnstige soziale Dynamiken entstehen (»Polar exploration is at once the cleanest and most isolated way of having a bad time which has been devised.«). Oder der intrinsisch motivierte Forschungsdrang wird schon im Vorfeld durch Fragen nach Anwendungsbezug und Verwertbarkeit der erwarteten Erkenntnisse ausgebremst (»  nearly all will say, â€șWhat is the use?â€č For we are a nation of shopkeepers  «). Als Antwort auf den Umgang mit all diesen FĂ€hrnissen und UnwĂ€gbarkeiten empfiehlt Cherry-Garrad einen festen Blick auf das eigentliche Ziel: Erkenntnisgewinn um seiner selbst willen und konkret materialisiert im Gegenstand, den es zu erforschen gilt (»If you march your Winter Journeys you will have your reward, so long as all you want is a penguin’s egg«). Die körperlichen Risiken, die Forscher und Forscherinnen in heutigen Sonderforschungsbereichen mit soziologischem Profil eingehen, sind zwar im Vergleich zu den frĂŒhen Tagen der Polarforschung ĂŒberschaubarer. Viele andere der genannten Aspekte haben jedoch wenig an AktualitĂ€t eingebĂŒĂŸt oder sich sogar verschĂ€rft. Doch bevor wir uns in die Debatte um Praxistransfers und die ökonomische oder politische NĂŒtzlichkeit soziologischer Wissensproduktion verstricken, richten wir den Blick noch einmal auf das Pinguinei. Wie, so könnte die Frage lauten, muss ein funktionales Äquivalent beschaffen sein, welches dem Ei gleich das gemeinsame Arbeiten in Gruppen zumindest soweit fokussiert und motiviert, dass nicht alles unverbunden nebeneinander lĂ€uft? Zumal, anders als im Fall der Antarktis-Reisegesellschaft, ProjektverbĂŒnde selbst in Berlin vermutlich nicht vollstĂ€ndig auf das Verstellen von Exitoptionen durch die lebensfeindliche Umwelt setzen können. Der Beitrag von Martina Löw und Hubert Knoblauch in diesem Heft ist ein Erfahrungsbericht aus dem inneren eines laufenden Forschungsverbundes, in dem diese Frage in etwas anderen Worten gestellt und mit Blick auf die eigene Praxis beantwortet wird. Er sei Ihnen wie das gesamte Heft zur LektĂŒre empfohlen. Ich hoffe, Sie sind gut in 2020 angekommen, vielleicht sehen wir uns ja – zum Beispiel im September in Berlin. Es ist Kongressjahr und Sie finden in diesem Heft unter anderem die Calls fĂŒr die geplanten Plenen, vielleicht ist ja etwas Passendes dabei. Herzlich, Ihre Sina Farzi
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