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    My own private radio

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    "My own private Radio" stellt die These auf, daß es eine 3. Revolution der Musik gibt. Helmut Rösing postulierte 1997 zwei Revolutionen der Musik, die Verschriftlichung und die Schallaufzeichnung, die er mit der Elektrifizierung verband. Die "Digitale Revolution" des Computerzeitalters ist fĂŒr Rösing nur eine weitere AusprĂ€gung der zweiten Revolution, der Schallaufzeichnung. Um die These der Arbeit zu beweisen, daß es sich um eine 3. Revolution in der Musik handelt, wurde die Revolutionstheorie nach Schieder herangezogen. Wichtige AusprĂ€gungen der Definition Schieders sind die Geschwindigkeit einer Revolution (im Gegensatz zur langsamen und stetigen Entwicklung der Evolution), die tiefgreifenden gesellschaftlichen Änderung und ihre Auswirkung auf die Gesetzgebung. Die vorliegende Arbeit stellt die ZusammenhĂ€nge eines umfangreichen Systems rund um Musikkonsum, Radio sowie Individualisierung dar und ĂŒberprĂŒft anhand der Darstellung, ob es sich dabei um eine Revolution handelt. In der Arbeit wird auch ein neuer Begriff fĂŒr diesen neuen Umgang der User mit Musik geprĂ€gt: „Playlistening“. Radio wird aus juridischer und technisch-systemischer Sicht definiert. Es werden musiksoziologische, musikpsychologische und medientheoretisch relevante Grundlagen vorgestellt, die Medialisierung der Musik von den automatischen Musikinstrumenten bis zu modernen TontrĂ€gern und der Übertragung von Musik ĂŒber Telephonradios, terrestrische und digitale Radios nach dem Broadcast-Prinzip bis hin zum Internet aufgezeigt. Das neue Medium Internet wird als Massenmedium definiert und seine Verbreitung als Ausgangspunkt fĂŒr eine Demokratisierung auch im Sinne der Brechtschen Radiotheorie gewertet, die nach einer Kommunikation in beide Richtungen (anders als das Broadcast-Prinzip) und einer Beteiligung der BĂŒrger am Medium verlangte. Die Funktionen des Internet als Massenmedium werden betrachtet und besonders InteraktivitĂ€t und Involvement als Grundlagen der weiteren AusfĂŒhrungen gewĂ€hlt. Aus der Individualisierung ist die Entwicklung des on-demand-Mediums Internet genauso verstĂ€ndlich wie aus dem Drang zu uneingeschrĂ€nkter Kommunikation. Die Individualisierung des Internet lĂ€ĂŸt es als Alternative zum Radio erscheinen, es eroberte sich binnen kurzer Zeit einen Platz in der Medienwelt vor allem der jĂŒngeren Generationen. Internet ist das erste Massenmedium mit User Generated Content, Inhalten, die nicht mehr ausschließlich von Medienprofis, sondern allen BĂŒrgern mit ausreichenden Kenntnissen und technischem Equipment wie Computer, Breitbandanschluß und Webspace veröffentlicht werden können. Das Internet entwickelte sich seit 2004 zum Web 2.0, dem Social Web, mit hoher BĂŒrgerbeteiligung und einer unĂŒberschaubaren Anzahl von Weblogs - vergleichbar veröffentlichten TagebĂŒchern. Die Blogs wandelten sich bald zu einer Konvergenz der Medienformate, ursprĂŒnglich nur Text-Blogs konnten sie bald auch Audio- oder Videodateien enthalten. Mithilfe von RSS-Feeds ist es interessierten Usern möglich, sich ĂŒber Änderungen der von ihnen abonnierten Inhalte automatisch verstĂ€ndigen zu lassen. 2004 wurde aus den Audio-Blogs das sogenannte Podcasting, eine neue Art, RadiobeitrĂ€ge fĂŒr zeitsouverĂ€ne Nutzung von Medien zu veröffentlichen. Heute bieten terrestrische Radios ebenso Podcasts an wie Privatanwender, UniversitĂ€ten oder Firmen. Podcasting ist fĂŒr die Industrie als gezieltes Werbemedium zusehends interessant, da Podcasting ein Pull-Medium ist (aktiver Bezug von - im Gegensatz zum Radio oder TV inaktive Belieferung mit - Inhalten). Hohes Involvement und die neue MediensouverĂ€nitĂ€t der User, rasante Geschwindigkeit der Verbreitung von Podcast­ing innerhalb eines Jahres, massenhafte Verbreitung von aktivem "Radio von allen" und die zeitsouverĂ€ne Nutzung dieses neuen "Radioformats" sind Beweise fĂŒr den revolutionĂ€ren Charakter dieses neuen Mediums. VerĂ€nderungen im Musikkonsum werden anhand der Telephonradios ThĂ©Ăątrophone (Paris kommerziell ca. 1890 bis 1932), Electrophone (London 1895 bis 1925) und Telephon HirmondĂł (Budapest 1893 bis 1940er) und ihrem Niedergang durch das terrestrische Radio nach dem Broadcast-Prinzip erlĂ€utert. Die Betrachtungen inkludieren FM-Transmittter, Network Music Player und Musik ĂŒber das Internet, wo etablierte terrestrische Radios nicht nur Podcasts zum zeitsouverĂ€nen Medienkonsum, sondern auch zeitgleich - oder von reinen Internetradios ausschließlich im Internet - ausgestrahlte Programme anbieten. Die Entwicklung von zeitsouverĂ€nem Medienkonsum und die Konvergenz mit dem Funktionsprinzip Radio wird anhand der Playliste dargestellt und die Änderung der Arbeitsweise der Musikredakteure vor und im Computerzeitalter mithilfe computergestĂŒtzter Musikprogrammiersoftware erlĂ€utert. Exemplarisch werden kurz einige professionelle Systeme vorgestellt, um dann anhand des frei verfĂŒgbaren Mediaplayers VLC und der weitverbreiteten Software iTunes die Playlist neben Podcasting als zweites zentrales Element der 3. Revolution der Musik aufzuzeigen. Hier wird vom Autor der neue Begriff "Playlistening" eingefĂŒhrt und damit der spielerische Umgang mit Musik am MP3-Player - dank der umfangreichen Mediatheken in oft endlosen Listen - oder auf Internet-Musikportalen, die sich teilweise als "Radio" bezeichnen (last.fm, pandora.com, laut.fm), demonstriert. Selbstzusammengestelltes Programm oder zeitsouverĂ€ne Nutzung selbsterstellter BeitrĂ€ge sowie das in dieser Arbeit neu definierte "Playlistening" werden als Beweis fĂŒr die 3. Revolution der Musik gewertet. Die VerĂ€nderungen im Musikkonsum werden anhand der Reaktion der Musikindustrie auf Internet, MP3 und P2P-Tauschbörsen skizziert, Stagnation, Festhalten an althergebrachten Businessmodellen und mangelnde Adaption an die rasante VerĂ€nderung des neuen Mediums wird als eine Vorausbedingung fĂŒr eine Revolution gewertet, die sich auf zwei Ebenen Ă€ußert. Einerseits verĂ€ndert sich das (Konsum-)Verhalten der User, die davor immer nur "KĂ€ufer oder Konsumenten" waren, was durch den Übergang von der PassivitĂ€t zur AktivitĂ€t eine gesellschaftliche, demokratisierte VerĂ€nderung darstellt. Andererseits ist die Reaktion auch und vor allem auf juridischer Ebene zu sehen, die VerschĂ€rfung der Urheberrechtsgesetze ist eine Konsequenz aus der illegalen Verwendung von P2P-Netzwerken und Tauschbörsen, ebenso die Klagewelle der Musikindustrie zur Abschreckung der User. Kritik am Verhalten der jeweils anderen fĂŒhrt nach wie vor zu Diskussionen um die Wahrung der Persönlichkeits- oder Urheberrechte. Die heftigen juridischen Auseinandersetzungen und die Demokratisierung sind im Sinne Schieders als Beweise fĂŒr die 3. Revolution in der Musik zu sehen. Die VerĂ€nderung im Musikkonsum und im Umgang mit Musik hĂ€ngen an einigen wichtigen Vorbedingungen. Eine Miniaturisierung der Technik, gepaart mit immer billigerer Hard- und Software, machen den "Radioredakteur zu Hause" (Podcaster) erst möglich, ebenso eine Standardisierung von Formaten (MP3 ist quasi das Standard-Dateiformat fĂŒr Musik im Internet) und AbspielgerĂ€ten. Durch die Open Source Gemeinde - auch eine "Community" im Internet, existiert das Angebot an billiger oder kostenloser Software fĂŒr Blogs, Audio- und Videoschnitt. Die Software zum Abspielen von Musik und Erstellen von Playlists wird ĂŒblicherweise von grĂ¶ĂŸeren Konzernen kostenfrei zum Download zur VerfĂŒgung gestellt, doch - wie in den Anfangstagen der Musikindustrie - sind etliche der Anbieter von Musikportalen gleichzeitig auch die Hersteller von GerĂ€ten zum Abspielen dieser Musik. Durch DRM - Digital Rights Management Systeme - werden Formatkriege um die wirtschaftliche Vormachtstellung von Systemen und Formaten ausgetragen. Die InteroperabilitĂ€t zwischen heruntergeladener Musik (oder den durch DRM geregelten Nutzungsrechten an Musik) und AbspielgerĂ€ten fremder Hersteller ist nicht mehr gewĂ€hrleistet, User verlangen nach dem Ende von DRM und dem Besitz von Musik. Die Physis der Musik Ă€ndert sich, sie wird körperlos (ohne physisch zu handhabenden TontrĂ€ger) und ist auf den MP3-Playern oder via Internet immer verfĂŒgbar. Anders als zu Zeiten eines Walkman oder Discman steht heute auf ubiquitĂ€ren MP3 Playern ein Vielfaches der Songs oder Titel permanent zur VerfĂŒgung, Musik wird also im Alltag der Menschen hĂ€ufiger und individualisierter als Alternative zum fremdgestalteten und stilistisch eng begrenzten Formatradios genutzt, die Playlist ermöglicht eine Adaption der individualisierten Programmabfolge etwa zum Mood Management. Eine VerĂ€nderung der Physis der Musik zum körperlosen, via Internet bezogenen Datenstrom ermöglicht einen neuen Umgang mit Musik und gibt dem User die Zeit- und MediensouverĂ€nitĂ€t, mittels Podcasting oder Playlistening sein individuelles "Radio" (metaphorisch und als neues individualisiertes Medium) zu betreiben. Die UbiquitĂ€t der MP3-Player wird somit zur UbiquitĂ€t der Musik und gemeinsam mit Playlistening und Podcasting zu einem Beweis fĂŒr die 3. Revolution der Musik, die eine radikale VerĂ€nderung in Umgang, Besitz, VerfĂŒgbarkeit, Physis, Individualisierung und Verwendung bewirkt. Die Aufgezeigten VorgĂ€nge und ZusammenhĂ€nge um Musikindustrie, User, Internet, Podcasting, Playlistening, Formatkrieg, Standardisierung, Demokratisierung, juridischen Auseinandersetzungen, Physis, Konsum und UbiquitĂ€t lassen auf eine 3. Revolution der Musik schließen, deren Auswirkungen noch weit in die Medienbranche und die Gesellschaft hineinreichen werden
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