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"Löblich wird ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn" - Karneval in Köln, Düsseldorf und Aachen 1823 - 1914
Die Dissertation untersucht die Entstehung und die Entwicklung des modernen organisierten rheinischen Karnevals von seinen Anfängen im Jahr 1823 bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges 1914. Dabei steht die Geschichte des Karnevals in den drei Städten Köln, Düsseldorf und Aachen im Mittelpunkt. Wohlhabende Kölner Bürger reformierten im Jahre 1823 den seit Jahrhunderten gefeierten Karneval, indem sie einen Karnevalsverein gründeten, Sitzungen abhielten und einen Maskenzug am Fastnachtsmontag veranstalteten. Ähnlich wie in Köln gründeten kurze Zeit später Bürger in Düsseldorf (1825) und in Aachen (1829) einen Karnevalsverein. Das alte, närrische Brauchtum erhielt dadurch eine neue Form und einen neuen Sinn, denn das Stadtbürgertum gestaltete den Karneval nun nach bürgerlichen Maßstäben und Wertvorstellungen. Das Besitz- und Bildungsbürgertum demonstrierte in den exklusiven Karnevalsvereinen seinen kulturellen und gesellschaftlichen Führungsanspruch. In der öffentlichen Festgestaltung - vor allem in den Maskenzügen - entstand eine Möglichkeit der Repräsentation für das Bürgertum. Es werden zwei verschiedene Phasen der Politisierung des Karnevals im 19. Jahrhundert unterschieden: Zum einen erhielt der Karneval 1828 eine politische Bedeutung, als der preußische König den öffentlichen Karneval auf einige wenige große Städte beschränken wollte. Zum anderen erreichten politisch engagierte Karnevalisten in den 1840er Jahren die Einbeziehung politisch brisanter Themen in die karnevalistische Festgestaltung. Vor allem Demokraten nutzten die Karnevalsvereine im Vormärz als Forum zur Verständigung über politische Richtungen, Haltungen und Strategien. Nach der 1848/ 49er Revolution verlor der Karneval seine besondere politische Funktion, die ihm im Vormärz zugewachsen war. Ein politische Dimension behielt der Karneval jedoch insofern, als sich in der Festgestaltung weiterhin die politischen Ideale der Trägerschicht, die sich nach 1871 zunehmend national und nationalistisch gab, spiegelten. Der rheinische Karneval wird zudem im Spiegel zeitgenössischer Kritik betrachtet, die von faszinierender Beschreibung über staunende Berichte bis hin zu völligem Unverständnis für das närrische Treiben reichte. Besonders Stolz waren man im Rheinland auf ein Gedicht, das Johann Wolfgang von Goethe den Kölner Karnevalsfreunden auf deren Anfrage 1825 sandte. Goethe formulierte darin hintersinnig, das „tolle Streben“ möge „kurz und mit Sinn“ sein. Da ein zentrales Anliegen der Reformer von 1823 die disziplinierende und festordnende Gestaltung des Karnevals war, wurden die entsprechenden beiden Verse aus Goethes Gedicht in den Titel der Dissertation aufgenommen. Eine überarbeitete und um ca. 150 Abbildungen erweiterte Fassung dieser Arbeit erscheint voraussichtlich im November 2000 als Veröffentlichung des Landschaftsverbandes Rheinland, Amt für rheinische Landeskunde Bonn, im Buchhandel
Der Allgemeine Deutsche Musikverein in der Fachpresse von 1859 bis 1900: Ein Beitrag zur Geschichte der Musikkritik (Texte und Kontexte)
Ohne das fast achtzigjährige Wirken des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV) würde das deutsche Musikleben in seiner heutigen Form nicht existieren. Die kritische Edition Die Musikfeste des Allgemeinen Deutschen Musikvereins von 1859 bis 1937 (Eine Dokumentation der Veranstaltungen), herausgegeben von Jan Neubauer und Thomas Radecke, erschließt bereits erstmals grundlegende Quellen der Programme zu seinen nahezu jährlich anderen Orts veranstalteten Musikfesten und ist ebenfalls hier online abrufbar. Diese Datenbasis vertieft für den Zeitraum von vier deutschen Systemen den Diskurs über Probleme der Repertoirebildung, Institutionalisierung, Kommerzialisierung und Mediation von Musik. 1861 als erster überregionaler deutscher Musikverein mit dem offiziellen Ziel der Integration musikalisch gegensätzlicher zeitgenössischer Richtungen und künstlerischen Nachwuchsförderung konstituiert, trat der ADMV einerseits kosmopolitisch auf, und seine Musikfeste entwickelten sich zu einem Forum für internationale zeitgenössische Musik wie einem Podium für die Wiederentdeckung älterer Musik. Hier erlebten Werke von Richard Strauss, Gustav Mahler und Arnold Schönberg frühe, vielbeachtete Aufführungen. Anderseits reiften parallel dazu protonationalistische Tendenzen zu einem Nationalismus heran, der die Musikfeste 1938 nahtlos in die nationalsozialistischen Reichsmusiktage überführen konnte. Mit dem zur Mitte des 19. Jahrhunderts ausgebrochenen Parteienstreit der Konservativen um Brahms mit der Neudeutschen Schule Liszts und Wagners trat mit der Institutionalisierung der letzteren im ADMV ein bis heute singuläres nationales Musikfestkonzept auf den Plan, das von Anbeginn medial gestützt war: die Tonkünstler-Versammlungen. Vor Ort berichteten neudeutsche Autoren pro domo für das Vereinsorgan Neue Zeitschrift für Musik, was von Rezensenten der konservativen Musikpresse scharf konterkariert wurde und so ein allseitig umfassendes Bild dieser musikalischen Novitätenmessen in ihrem stetigen Wandel abgibt. Diese Publikation ist im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt Der Allgemeine Deutsche Musikverein (ADMV, 1861–1937) – ein internationales Forum der Musik in Deutschlands Mitte am Gemeinsamen Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena der Hochschule für Musik FRANZ LISZT und der Friedrich-Schiller-Universität entstanden
Geschichte der Industriellen Mitbestimmung in Deutschland:Ursprung und Entwicklung ihrer Vorläufer im Denken und in der Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts
Ein freies und modernes Rheinufer für das alte Köln! Die Umgestaltung des Kölner Altstadtufers im Zuge der Neuordnung der Kölner Hafenanlagen und des Ausbaus der Rheinuferstraße
Das alte, linksrheinische Köln blieb wegen des Status als preußische Festungsstadt bis in das ausgehende 19. Jahrhundert auf seine im Mittelalter erlangte Ausdehnung beschränkt. Das von militärischen Anlagen dominierte Ufer litt unter desolaten Hafen- und Verkehrsbedingungen. Die ab 1880 in Planung gehende Stadterweiterung gab den Impuls für eine Umgestaltung des Kölner Ufers, das in Zukunft über seine historischen Grenzen hinaus mit einer durchgehenden Rheinuferstraße ausgestattet werden sollte. Wichtige Voraussetzungen bildeten die Neuregelung der Kehlbefestigungsfrage und der Ausbau eines modernen Verkehrshafens. Im Jahre 1898 wurde der neue Rheinauhafen eröffnet. Im Jahre 1900 folgte die Inbetriebnahme der großen Kölner Rheinuferstraße. Während sich die Forschung mit der Stadterweiterung und mit dem Ausbau des Rheinauhafens auseinandergesetzt hat, fehlt bislang eine Untersuchung der Umstrukturierungen am Ufer des alten Köln. Die vorliegende Fallstudie verfolgt den Werdegang der Bemühungen um eine Modernisierung des altstädtischen Ufers, die zunächst an der nicht lösbar scheinenden Hafenfrage zu scheitern drohten. Sie rekonstruiert die schrittweise Entwicklung dieser kommunalen Planungsaufgabe, deren Besonderheit in der baulichen Umrüstung der vorhandenen Ufer- und Werftsituation, in der Anpassung des alten Stadtkörpers an die neue Uferstraße und in einem architektonischen Wandel der stromseitigen Stadtfront bestand. Im Fokus stehen dabei folgende Fragen: Wie haben die eigentumsrechtlichen, wirtschaftlichen, technischen und städtebaulichen Faktoren zusammengewirkt? Welche spezifische Ausbildung haben die einzelnen Partien des Altstadtufers erfahren? Welche Stadtbildvorstellungen lagen den städtischen Planungen für eine bauliche Neuformulierung der Uferfront zugrunde und wie haben sich diese verändert? Inwieweit waren die Grundstückseigentümer dazu bereit, die hochbaurelevanten Planungen umzusetzen? Wie ist der Umbau des altstädtischen Ufers in den Ausbau des Gesamtufers integriert worden
Soziales Engagement von Priestern angesichts der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts
Die vorliegende Arbeit stellt zunächst die politische, gesellschaftliche und religiöse Situation ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vor und setzt sich dann mit dem Wirken dreier Kapläne (Franz Peter Eduard Cronenberg, Franz Hitze, Otto Müller) auseinander.
Diese jungen Kapläne, die alle aktiv in der Politik (Zentrumspartei) in unterschiedlichen Positionen tätig waren, gehörten zu einer Gruppe junger Kleriker, die in der Literatur als ˌrote Kapläne/Hetzkapläneˈ bezeichnet wurden und sich früher als manche ihrer Amtsbrüder der Notwendigkeit einer Hilfestellung für die Arbeiter bewusst wurden.
Bestärkt durch die Aufklärung, die Revolutionen von 1848, das Wirken und die Schriften des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler – mit seinen Forderungen nach umfassendem Arbeiterschutz – bzw. durch Rerum novarum erkannten sie, dass die Lösung der Arbeiterfrage schlussendlich nur durch Eingliederung der Arbeiter in die Gesellschaft gelöst werden konnte.
Durch die Parteiengründungen, die ab ca. 1860 einsetzten, verstärkte sich die Sorge der Kirche, dass sich immer mehr Arbeiter von der Kirche trennen könnten. Es erfolgte eine Umgestaltung der bisherigen Vereine in zunächst christlich-soziale, deren Tätigkeitsfeld über das rein seelsorgerische Moment hinausging, den Arbeitern einerseits auch Unterhaltungsmöglichkeiten und die Gelegenheit, sich untereinander austauschen zu können, boten und andererseits auch die Möglichkeit einer wirtschaftlichen und politischen Fortbildung einschloss. Die christlich-sozialen Vereine wurden abgelöst durch die katholischen Arbeitervereine, dem Volksverein, die christliche Gewerkschaft und schließlich durch die Unterstellung der Vereine in Dachorganisationen.
Cronenberg versuchte eine Besserstellung der Arbeiter auf genossenschaftliche, eher egalitäre Weise zu erreichen. Hitze bevorzugte das paternalistische System, das der grundsätzlichen Ausrichtung der Kirche entsprach. Hingegen sah Müller nur über eine verstärkte Arbeiterbildung, die in der Lage war, Führungskräfte aus den eigenen Reihen hervorzubringen, eine Möglichkeit, Einfluss der katholischen Arbeitervereine in die politischen Gremien über die ˌpolitischen Komiteesˈ zu gewinnen. Durch die Zusammenziehung der katholischen Arbeitervereine zu Verbänden, die u.a. auf seine Anregung geschah, sollte eine bessere Koordination der sozialen Bestrebungen erreicht werden.
Selbständiges Denken und Handeln ließ sich bei allen drei Akteuren nachweisen. Allerdings waren alle drei durch die Unmöglichkeit, die Stellung eines Geistlichen mit dem eines Politikers zu vereinen, zumindest zeitweise von Zerrissenheit und Isolation betroffen.
Ziel der Bestrebungen dieser Kapläne war es, die Arbeiter aus ihrer kollektiven Ohnmacht zu befreien, ihnen Hoffnung zu geben und sie zu einer Solidargemeinschaft zu machen.This paper first presents an overview of the political, social and religious situation in the mid 19ih century and then focuses on the work of three priests (Franz Peter Eduard Cronenberg, Franz Hitze, Otto Müller).
These young priests, which all participated actively in politics through various positions in a political party (Zentrumspartei), belonged to a group of young clerics which in literature were referred to as ˈred priests / agitator priestsˈ (,rote Kapläne/Hetzkapläneˈ). Earlier than many of their colleagues, they became aware of the necessity of supporting laborers.
Strengthened by the Enlightenment, the Revolution of 1848, the work and the writings of the Bishop of Mainz Wilhelm Emmanuel von Ketteler who demanded comprehensive labor protection, and alternatively by Rerum novarum, they came to the realization that the solution to the so-called ˈlaborers questionˈ could only lie in their integration in society.
The Churchˈs concern that more and more laborers would leave the Church grew with the establishment of political parties that began around 1860. Established associations consequently underwent a christian-socialist transformation, expanding their activities beyond pastoral care. They offered recreation, the possibility for laborers to interact with each other, and even included opportunities for an education in economics and politics. The christiansocialist associations were followed by the catholic laborersˈ associations (katholische Arbeitervereine), the ˈVolksvereinˈ, the christian unions and finally the restructuring of the associations under an umbrella organization.
Cronenberg attempted to achieve an improvement in the position of laborers through cooperative and egalitärian methods. Hitze preferred a paternalistic system which more closely conformed to the basic principles of the church. In contrast, Müller believed that catholic laborersˈ associations would only be able to win influence over political committees in the political caucuses if they increased the focus on educating workers so that leaders could emerge from their own ranks. Due to his interventions, catholic laborersˈ associations were brought together in unions in order to better coordinate their efforts towards social improvements.
All three protagonists are shown to have been independent thinkers and men of action. But all three also, at times, suffered from inner conflict and isolation due to the impossibility of reconciling the position of a clergyman with that of a politician.
The goal of these priestsˈ endeavors was to free laborers from their collective powerlessness, to give them hope and to form them into a mutually supportive society
Heinrich Salzmann (1859-1945) Leben und Leistung eines pharmazeutischen Standespolitikers
In Heinrich Salzmanns Lebenszeit 1859−1945 fallen die Gründung des Deutschen Reiches, die Monarchie unter Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II., der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus sowie der Zweite Weltkrieg. Derartig durchgreifende Ereignisse in führender Position altruistisch, unbestechlich und ehrenhaft zu bestehen, bedarf eines besonderen Charakters, und ein solcher zeichnete Salzmann aus. Seine Willenskraft, gepaart mit vorausschauender Intelligenz und ungewöhnlichem Fleiß, brachte ihm schon in der Jugend beste Zeugnisse ein und verschaffte ihm auch während seines weiteren Berufsweges bis hin zum promovierten Apotheker und Lebensmittelchemiker die Anerkennung seiner Lehrer und später die Achtung von Vertretern aus Politik und Forschung, wie seine zahlreichen Auszeichnungen belegen. Obendrein war er mit Besonnenheit und einer guten Portion Humor ausgestattet, so dass die DAV-Hauptversammlung 1902 in Koblenz den Richtigen zu ihrem Vorstandsvorsitzenden wählte, der dann über drei Dekaden hinweg die Geschicke der deutschen Pharmazie entscheidend mitprägte. Die Leidenschaft, mit der Salzmann in der sog. Gewerbefrage wider die regierungsseits favorisierte Personalkonzession kämpfte, und die Kritik an dem damit verbundenen, lang erwarteten ‚Entwurf eines Reichsapothekengesetzes‘ (1907) stehen beispielhaft für seine unermüdliche Bereitwilligkeit, sich für das Wohl der Standesgemeinschaft einzusetzen, obwohl ihm der Lohn speziell für diese Arbeit versagt blieb: Bekanntlich trat das Apothekengesetz erst 1960 in Kraft.
Zufrieden konnte Salzmann dagegen mit der Neugestaltung der Vor- und Ausbildung für Apotheker sein. Mit der für ihn typischen Beharrlichkeit hatte er zwischen 1902 und 1920 dafür gekämpft, das Maturum als Basis für angehende Kollegen gesetzlich festlegen zu lassen, um so das Anrecht auf ein akademisch vollwertiges Universitätsstudium zu sichern. Als 1904 eine korrigierte Prüfungsordnung auf der Grundlage der Primareife mit Nachweis über Lateinkenntnisse in Kraft trat, begrüßte dies Salzmann als das momentan Machbare, verlor seinen Plan jedoch nicht aus den Augen: Kurz vor Kriegsbeginn drängte er Kaiser Wilhelm II. in einer Immediateingabe, die berechtigten Ansprüche gesetzlich festzulegen, und aktivierte 1917 zahlreiche Fachgenossen der verschiedensten Sparten, in dieser Angelegenheit mit Nachdruck aufzutreten. 1920 schließlich erreichte Salzmann sein Ziel: Man etablierte das Abitur als Voraussetzung für zukünftige Pharmazeuten. Außerdem erfolgte auf seine Initiative hin die Umbenennung der bisherigen Berufsbezeichnungen und so trat an die Stelle des ‚Apothekerlehrlings’ ebenfalls im amtlichen Gebrauch der ‚Apothekereleve’ oder der ‚Apothekerpraktikant’, und der ‚Apothekergehilfe’ avancierte zum ‚Apothekerassistenten’, um der Gesellschaft auch über die Sprache den gehobenen Status dieses Berufs zu verdeutlichen. Des Weiteren unterstützte Salzmann die Einrichtung gesonderter Lehrstühle für Pharmazie, um unabhängig von Chemikern und Botanikern die Eigenständigkeit des Fachs zu demonstrieren; dabei mussten die Professoren Apotheker sein, um nicht nur die an die damalige Arzneimittelforschung angepassten neuen Inhalte, sondern zusätzlich praxisorientiert unterrichten zu können. Salzmanns innigster Wunsch nach einem erweiterten Ausbildungsgang − zweijährige Praktikantenzeit, Vorprüfung, sechssemestriges Studium und Staatsexamen − ging allerdings erst 1935 nach seiner Amtszeit in Erfüllung.
Wichtiger noch als die Stärkung der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Position der Pharmazeuten war die unmittelbare Sicherstellung ihrer Einkünfte über die Arzneitaxen. Salzmann kämpfte gegen die stetig zunehmende Macht der Krankenkassen, die ungeachtet der ihnen durch die Reichsversicherungsverordnung (RVO) gewährten Vergünstigungen immer größere Zugeständnisse von den Apothekern zu erzwingen suchten. Sein unermüdliches Ringen über 32 Jahre hinweg löste die Auseinandersetzungen zwischen den Kontrahenten zwar nicht, indes ist fraglich, ob ohne Salzmanns Kraftanstrengung die deutsche Apotheke überhaupt noch in der heutigen Form existierte: Befanden sich die Krankenkassen mithilfe der aufstrebenden industriellen Arzneifertigung doch durchaus in der Lage, ihren bereits eingeschlagenen Weg, Medikamente selbst zu vertreiben, unbeirrt fortzusetzen, zumal sie im Gegensatz zu den Pharmazeuten obendrein von dem illegalen Arzneimittelhandel außerhalb der Apotheken unberührt blieben und somit keine Umsatzeinbußen ausgleichen mussten. Es ist somit eines von Salzmanns großen Verdiensten, das Apothekenmonopol gegenüber den Krankenkassen behauptet zu haben. Diese Sonderstellung verpflichtete die Pharmazeuten allerdings zu immerwährender, namentlich für Alleinarbeitende schwer erträglicher Dienstbereitschaft, deren Umfang Salzmann über die Regelung der Sonntags- und der Nachtruhe zu bessern suchte. Bereits 1902 erreichte er zunächst für manche Bezirke eine stundenweise Sonntagspause bzw. für Orte mit zwei oder mehreren Apotheken einen Wechseldienst; doch mit dem Verweis auf das Apothekenmonopol modifizierten die jeweiligen Regierungen bis auf die gekürzte entgeltfreie nächtliche Inanspruchnahme ihre diesbezüglichen Anordnungen fast nur zum Nachteil der Pharmazeuten. Erst das Apothekengesetz von 1960 regelte den Notdienst. Ein weiteres Betätigungsfeld von Salzmann war zum einen die Umsetzung der RVO und zum anderen nach dem Ersten Weltkrieg die der Tarifverträge, die er zum Wohl der Apothekenleiter, aber auch der Angestellten federführend mitzugestalten wusste.
Salzmanns steter Einsatz zielte immer nur darauf ab, Beistand zu leisten und Not zu lindern, wozu die Verwaltung alter bzw. die Einrichtung neuer Hilfsfonds – darunter die Salzmann-Stiftung − ebenso gehörten wie letztlich auch die Schaffung der Handelsgesellschaft Deutscher Apotheker: Hageda. Die Berliner Apothekerschaft hatte sich berechtigterweise über die Belieferung mit minderwertigem Verbandszeug geärgert und bereits im November 1902 die Bildung einer Wirtschaftsgenossenschaft zum Ein- und Verkauf von textilen Materialien zur Wundversorgung vorgeschlagen; die Anregung wurde dann am 30. Dezember mittels Gründung der Hageda umgesetzt und Salzmann zum Vorsitzenden des ersten Aufsichtsrats gewählt. Der schließlich verabschiedete Vertrag legte als Gegenstand des Unternehmens den gemeinsamen Einkauf und die Herstellung von pharmazeutischen Präparaten, medizinischen Verbandstoffen und Arzneispezialitäten fest, beabsichtigte also von Anfang an eine Ausdehnung auf die Produktion. Hierbei zeigten sich einmal mehr Salzmanns Weitsicht und sein taktisch kluges Verhalten: Denn obwohl er die großindustrielle Fabrikation von Medikamenten als Vorstandsvorsitzender des DAV offiziell attackierte, war ihm andererseits klar, dass er diesen Prozess nicht aufhalten konnte; eine standeseigene Beteiligung daran erschien ihm deshalb mehr als sinnvoll und gerade für wirtschaftlich schwächere Kollegen überlebenswichtig. Es verwundert somit nicht, dass sich der DAV Ende 1903 mit der Frage beschäftigte, ob und wie die Ausdehnung des Unternehmens auf das ganze Deutsche Reich zu realisieren sei. Darüber hinaus hielt Salzmann die gemeinschaftliche Fabrikation von Spezialitäten, deren Herstellung nicht in jedem Apothekenlaboratorium möglich war, für ebenso gewinnbringend wie die Rezeptur von gewissen Präparaten im Großen durch besonders ausgerüstete Apotheker, die ihren Absatzmarkt im Kreis der Mitglieder fanden. 1908 schließlich gründete man das ‚Spezialitätenunternehmen des Deutschen Apotheker-Vereins’. Der gemeinsame Einkauf und die Eigenproduktion konnten allerdings nur dann durchschlagenden Erfolg nach sich ziehen, wenn man eine regionale Zersplitterung vermied und von Berlin aus zentral die Geschäfte leitete. Die ersten beiden Zweigniederlassungen der Hageda wurden 1904 in München und in Köln eröffnet. Es folgten 1908 in Dresden, 1911 in Breslau und Hamburg, 1912 in Frankfurt am Main und 1916 in Essen weitere Filialen. Ferner trat die Hageda 1921 mit der Firma E. Glück Nachfolger in Königsberg in eine Interessengemeinschaft. Niederlassungen in Erfurt und Kassel lehnte Salzmann 1921 wegen pekuniärer Schwierigkeiten ab, nicht aber die ihm lukrativ erscheinende Errichtung einer Seifenfabrik in Berlin-Weißensee. Bereits 1908 hatten die österreichischen Kollegen in Wien, 1914 die ungarischen Apotheker in Budapest und ein Jahr später sogar Fachgenossen aus Konstantinopel Anträge auf Gründung von Zweigstellen eingebracht, die Salzmann jedoch – hauptsächlich aus politischen Motiven − abschlägig beschied. Auch die Danziger Pharmazeuten hatten 1906 Salzmann aufgefordert, eine Filiale in ihrer Stadt zu etablieren, ein Wunsch, dem (allerdings erst 1919) durch die Bildung der Tochtergesellschaft ‚Gedania‘ entsprochen wurde.
Unter Salzmanns Regie entstand nicht zuletzt 1909 das ‚Vereinshaus Deutscher Apotheker‘, in dem sowohl DAV als auch Hageda und Berliner Apotheker-Verein gemeinsam untergebracht waren; es gab damit eine Zentrale, von der aus die Geschicke der Kollegen selbst während des Ersten Weltkrieg hinweg gelenkt werden konnten. Salzmann kam seinen Aufgaben als DAV-Vorsitzender dabei weiterhin mit unendlichem Fleiß nach und entwickelte fast übermenschliche Kräfte, um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Im Rahmen der großen Umwälzungen nach dem Krieg übernahm 1919 bekanntlich die Sozialdemokratie die Regierungsverantwortung. Salzmann befürchtete daher mit Recht eine Sozialisierung der Apotheken und arbeitete dafür, den Stand in Erwartung drohender politischer Auseinandersetzungen so eng wie möglich zusammenzuschließen, um eine Vergesellschaftung der Apotheken auf jeden Fall zu unterbinden. Aufgrund der Inflation und der Verarmung der Bevölkerung ging der Arzneimittelverbrauch so stark zurück, dass ein Großteil der Apotheken dem Ruin entgegensah. Der DAV-Vorsitzende wehrte sich: Hatte er während des Ersten Weltkriegs an die verschiedenen Regierungen 162 Eingaben – d. h. alle 10 Tage eine – adressiert, so verdoppelte er 1919 deren Zahl und steigerte diese dann noch einmal im Folgejahr.
Als 1933 die NSDAP von den Krankenkassen, der Ärzteschaft, den Drogisten und auch vom DAV eine Gleichschaltung vorzunehmen verlangte, musste Salzmann am 22. April mit seinem gesamten Vorstand zurücktreten. Im Mai 1938 zwang ihn der Reichsapothekerführer Albert Schmierer zudem, nach 32 Jahren seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der Hageda niederzulegen. Nun blieben ihm nur noch die Ranke-Apotheke und seine Familie. Die letzte Wegstrecke war von weiterem Verlust gekennzeichnet: Salzmann büßte durch die Bombardements auf Berlin in der Nacht zum 15. Februar 1944 gleichzeitig Apotheke und Wohnhaus ein. Eine Bleibe fand das alte Ehepaar bei einer Tochter in Castrop, wo der verdiente pharmazeutische Standespolitiker dann am 28. Juni 1945 gestorben ist. Dass sein Name seither zunehmend in Vergessenheit geriet und seine Lebensleistung bis heute nicht die angemessene Würdigung erfahren hat, war denn auch der Anlass, mit der vorliegenden Arbeit eine für die deutsche Pharmazie einst maßgebende und zudem menschlich integre Persönlichkeit einer größeren Öffentlichkeit wieder in Erinnerung zu rufen
Hundert Jahre für den Naturschutz
HUNDERT JAHRE FÜR DEN NATURSCHUTZ
Hundert Jahre für den Naturschutz / Fischer, Helmut (Rights reserved) ( -
Acta Borussica : Neue Folge, 2. Reihe: Preussen als Kulturstaat, Abteilung II: Der preußische Kulturstaat in der politischen und sozialen Wirklichkeit. Band 8: Von der Kirchengesellschaft zur Kirche in der Gesellschaft. Frömmigkeit, staatliches Handeln und die frühe Politisierung preußischer Katholiken (1815-1871)
Zwischen 1815 und 1871 lässt sich eine zunehmende Politisierung des Katholizismus in Preußen beobachten. Das belegen die Frömmigkeitsformen vieler Katholiken sowie ihre oppositionelle Haltung zu staatlichen Vorschriften, die in ihr Glaubensleben eingriffen. Gleichzeitig zeigen die Quellen, wie die Regierungspoltik gegenüber der katholischen Kirche immer weniger vom Monarchen und zunehemnd von Ministern bestimmt wurde
Bernhard Stasiewski (1905-1995): Osteuropahistoriker und Wissenschaftsorganisator
Theologie und Hochschule Heft
"From the country of educational museums". Teaching material exhibitions und educational museums in Bavaria between 1875 and 1945
Etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden erstmals ständige Lehrmittelausstellungen als Präsentationen von eigens für Unterrichtszwecke hergestellten Lehrmaterialien mit der Dominanz von Büchern und Schulmöbeln des Primarschulbereichs. Federführend beim Aufbau waren in der Hauptsache die Kultus- beziehungsweise Schulverwaltungen und Lehrervereine, die mit diesen Einrichtungen unterschiedliche Ziele im Rahmen ihrer Schulpolitik und Verbandsinteressen verfolgten. Die Beschickung mit geeigneten Gegenständen übernahmen Buch- und Lehrmittelverlage sowie Herstellerfirmen von Schuleinrichtungsgegenständen, die damit gleichsam kommerzielle Interessen verknüpften. Abgesehen von der herbartianischen Pädagogik war es die Popularisierung des Mediums Ausstellung, die unmittelbar zu deren Gründung beitragen sollte. Neben den fürstlichen Kunstkammern kamen insbesondere denen seit dem 19. Jahrhundert in kurzer Abfolge durchgeführten Welt- und Gewerbeausstellungen und denen aus diesen Veranstaltungen sich herausbildenden Gewerbe- beziehungsweise Kunstgewerbemuseen große Bedeutung zu. Der ab der Reichsgründung einsetzende und bis zum Ersten Weltkrieg sich erstreckende Ausstellungs- und Museumsboom wirkte sich auch auf die Lehrmittelausstellungen aus. Deutschland gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den Ländern mit den meisten Institutionen dieser Art, die sich zudem explosionsartig über Europa ausbreiteten. In Bayern entstanden zwischen 1875 und 1914 insgesamt zehn solcher Einrichtungen, womit dieses Land die meisten im süddeutschen Raum besaß. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg gerieten die Lehrmittelausstellungen in existentielle Nöte und stellten nach und nach ihren Betrieb ein. Die letzten Lehrmittelausstellungen fielen den Kriegsereignissen 1944/45 zum Opfer. Ein Wiederaufbau erfolgte nicht. Mitverantwortlich für den Bedeutungsschwund der Lehrmittelausstellungen war das sich wandelnde Beziehungsgeflecht, bestehend aus Pädagogik, Volksschulpolitik, Lehrmittel- und Schuleinrichtungsherstellern, Ausstellungs- und Museumswesen sowie Lehrervereinen. In Anbetracht der zeitlichen Ausdehnung waren die Lehrmittelausstellungen einer veränderten pädagogischen Auffassung von Unterrichtsgestaltung und deren bildungspolitischer Umsetzung, anders gelagerten Hersteller- und Vereinsinteressen, einem Bedeutungswandel des Ausstellens ebenso wie den Auswirkungen zeitgeschichtlicher Ereignisse und Krisenzeiten ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, die Lehrmittelausstellungen am Beispiel Bayerns in diesem Beziehungszusammenhang und unter Bezugnahme auf die präsentierten Objekte darzustellen, um zu ihrer Innenstruktur und Operationsweise vorzudringen. Dies dient als Basis für die Klärung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Schlussendlich wird aufgezeigt, durch welche Institutionen die Tätigkeiten der Lehrmittelausstellungen nach 1945 weitergeführt worden sind. Dabei wird auch auf die Situation im geteilten Deutschland eingegangen.The mid-nineteenth century saw the rise of permanent teaching material exhibitions which showcased teaching materials for primary schools, particularly books and school furniture. School administration and teacher associations were in charge of the construction/installation of these exhibitions, thereby following different agendas in line with their school politics and their associations’ interests. Publishing houses for books and teaching material as well as manufacturing companies for school furniture placed the goods at the disposal - in the process also following commercial interests. Apart from Herbart’s theory of education, it was the popularization of the medium ‘exhibition’ in general which strongly contributed to the foundation of these exhibitions. Besides baronial art chambers, museums for crafts and applied arts emerged out of universal exhibitions and fairs and gained increased importance in the 19th century. From 1871 until the beginning of the First World War there was a boom of exhibitions and museums which also affected exhibitions for teaching material. Germany was one of the countries with most exhibitions of this kind, which quickly spread over Europe at the beginning of the 20th century. Altogether ten such institutions developed in Bavaria between 1875 and 1914, more than in the other parts of Southern Germany. In the aftermath of the First World War many of the teaching material exhibitions suffered greatly or went out of business. The last teaching material exhibitions fell victim to the events of war in 1944/45. There was no intent to reconstruct them. Partly responsible for the decreased interest in teaching material exhibitions were the changing relationships between educational sciences, primary and secondary school politics, manufacturers of teaching material and school furniture, exhibitions and museums as well as teacher associations. Considering the time span of their existence, the teaching material exhibitions were exposed to changing educational concepts and education policies, to different interests of manufacturers and associations, to a change in the relevance of exhibitions in general as well as to the effects of contemporary events and times of crisis. Summing up, this doctoral thesis strives for the goal of presenting the teaching material exhibitions and their networks of relationships by the example Bavaria. Apart from this it demonstrates how useful these institutions had been. At last it points out what kind of institutions continued the activities of the teacher material exhibitions after the year 1945. The situation in Divided Germany is described as well
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