Die Anfänge der physiologischen Chemie : Ernst Felix Immanuel Hoppe-Seyler (1825-1895)

Abstract

Die Biochemie, wie die physiologische Chemie seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts auch bezeichnet wird, zählt heute zu den führenden experimentellen Forschungsdisziplinen. Die entscheidende Phase ihrer Disziplinengenese fällt in das 19. Jahrhundert und ist eng mit dem Werdegang der Forscherpersönlichkeit Felix Hoppe-Seyler verbunden. Er zählt zu den bedeutendsten Repräsentanten der physiologisch-chemischen Forschung in Deutschland. In der wissenschaftshistorischen Literatur hat er dennoch bislang wenig Beachtung gefunden. So stand eine umfassende, quellengestützte Aufarbeitung seines Lebensweges noch aus. Die vorliegende Dissertationsschrift hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen. Unter Einbeziehung umfangreichen, größtenteils erstmalig für die wissenschaftshistorische Forschung erschlossenen Quellenmaterials untersucht sie den Werdegang des Wissenschaftlers Felix Hoppe-Seyler und bemüht sich, an Hand seines Lebenslaufs die Entwicklung der physiologischen Chemie im 19. Jahrhundert darzustellen. Die Untersuchung geht dabei zum einen der Frage nach, wie Hoppe-Seyler an die experimentelle Forschung herangeführt wurde; zum anderen befaßt sie sich mit forschungsrelevanten inner- und außerwissenschaftlichen Faktoren, darunter vor allem der Frage nach Hoppe-Seylers wissenschaftlichem Umfeld und der Bedeutung innerwissenschaftlicher Netzwerke. Auch wird erörtert, inwieweit die staatliche Wissenschaftspolitik und vorhandene institutionelle Rahmenbedingungen einen Einfluß auf Hoppe-Seylers wissenschaftlichen Werdegang und die Entwicklung des Faches ausübten. So folgt die Arbeit den einzelnen Lebensstationen Hoppe-Seylers, die ihn zu einem der führenden Vertreter der experimentellen Lebenswissenschaften in Deutschland werden ließen. Hoppe-Seylers Schulzeit in den Franckeschen Stiftungen zu Halle führt zu einer Auseinandersetzung mit einer der ungewöhnlichsten Bildungseinrichtungen des 19. Jahrhunderts, an der sich zeigen läßt, wie Schüler durch ein außergewöhnliches Bildungsprogramm, das einen praxisnahen und anschaulichen Unterricht favorisierte, entgegen dem Geist der Zeit schon früh an die Naturwissenschaften herangeführt wurden. Über Hoppe-Seylers Medizinstudium, seine anschließende Tätigkeit als Arzt und als Leiter der chemischen Abteilung am Berliner Institut für pathologische Anatomie unter Rudolf Virchow ergeben sich Bezüge zur Sozial- und Medizingeschichte. Als Voraussetzung für die Institutionalisierung der physiologischen Chemie galt die Einrichtung unabhängiger Ordinariate und Institute. An der Universität Berlin scheiterte sie gleichermaßen an der fehlenden staatlichen Unterstützung wie am Widerstand der medizinischen Fakultät und der einflußreichen physikalischen Physiologie um Emil Du Bois-Reymond. Die notwendige staatliche Förderung für sein Fach erhielt Hoppe-Seyler erst als Professor in Tübingen und später an der Reichsuniversität Straßburg. Die Hintergründe für diese Entwicklung werden untersucht und dargestellt. Besonders hervorzuheben ist dabei die Sonderstellung, die die 1872 neugegründete Reichsuniversität Straßburg unter den deutschen Universitäten einnahm. 1884 wurde hier das erste neuerbaute physiologisch-chemische Institut eröffnet, während Hoppe-Seyler gleichzeitig von einem neuen kooperativen Forschungsstil in den Lebenswissenschaften profitierte, in dem bereits zukünftige Strukturen der modernen biomedizinischen Forschungsorganisation sichtbar wurden

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